| # taz.de -- Integrationsprobleme bei Fischen: Bla, bla, blub | |
| > Wegen des Klimawandels müssen viele Dorsche umziehen – und treffen auf | |
| > ortsansässige Populationen, deren Sprache sie nicht verstehen. | |
| Bild: Darf ich mal dorsch, bitte? Sagte der Kabeljau – und wunderte sich, das… | |
| Auch am Haken / hört man ihn nie quaken“, lobpreiste einst Funny van Dannen | |
| den Fisch aufgrund einer seiner erfreulichsten Eigenschaften: seiner | |
| Stummheit. In Wirklichkeit aber halten nicht mal die Schuppentiere die | |
| Klappe. Einer der wirtschaftlich bedeutsamsten Vertreter ist sogar ein | |
| ausgemachtes Plappermaul. | |
| Der Kabeljau, auch Dorsch genannt, ist nicht nur ausnehmend gesellig, er | |
| tratscht auch gern: Mit Hilfe der Schwimmblase kann er Laute erzeugen, mit | |
| denen Mitfische vor herannahenden Gefahren gewarnt, Unterwasser-Territorien | |
| abgesteckt und potenzielle Geschlechtspartner bezirzt werden. | |
| Ein Forscherteam um den Meeresbiologen Steve Simpson von der britischen | |
| Universität Exeter hat nun herausgefunden, dass das Gequassel die Bestände | |
| des Kabeljaus ernsthaft in Gefahr bringt. Die sind ohnehin schon schwer | |
| angeschlagen, weil er einer der am häufigsten ge- und schließlich | |
| überfischten Arten überhaupt ist. Island riskierte zwischen 1958 und 1975 | |
| sogar einen bewaffneten Konflikt mit Großbritannien, um sich die | |
| Fischgründe zu sichern. | |
| Anlass der sogenannten Kabeljaukriege war der Rückgang der Art im | |
| Nordatlantik, weshalb Island seine Fischereigrenzen mehrfach von | |
| ursprünglich drei auf schließlich 200 Seemeilen ausweitete, um die Netze | |
| weiterhin vollzubekommen. Die Briten schickten daraufhin von Kriegsschiffen | |
| begleitete Trawler aus, man schnitt sich gegenseitig die Netze ab und | |
| rammte einander, bis 1977 endlich Ruhe über Wasser einkehrte. | |
| ## Zu laut, zu kalt | |
| Unter Wasser aber herrschte weiter Krieg, und zwar gegen die Fische. | |
| Biologen schätzen, dass die atlantischen Kabeljaubestände seit 1960 um 90 | |
| Prozent eingebrochen sind. Zwar gelten inzwischen strengere Regularien, die | |
| eigentlich zur Regeneration des Bestands führen sollten. Aber nun drohen | |
| die Tiere ihrer kommunikativen Ader zum Opfer zu fallen. | |
| Zum einen ist es schlicht zu laut geworden im Meer. Vor lauter | |
| Motorengedröhne können die Kabeljaue vor der britischen Küste ihr eigenes | |
| Grunzen nicht mehr verstehen. Finden sie doch mal ein ruhiges Eckchen, | |
| lauert schon das nächste Problem: Der Klimawandel führt dazu, dass | |
| Kabeljaue aus südlicheren Beständen sich nach Norden aufmachen. Zur | |
| Entwicklung ihrer Brut brauchen sie kaltes Wasser. In den südlicheren | |
| Brutgebieten aber wird es immer öfter zu warm, sodass sie sich nicht mehr | |
| fortpflanzen können. Im Norden vermischen sich die Zuwanderer dann mit den | |
| ortsansässigen Kabeljaubeständen. Und das führt zu Integrationsproblemen. | |
| Die Kabeljaue aus verschiedenen Beständen sprechen nämlich, wie Simpson und | |
| seine Leute nun ermittelten, nicht dieselbe Sprache. Sie stehen ratlos | |
| voreinander wie der Sachse vorm Syrer und verstehen sich einfach nicht. | |
| Revierstreitigkeiten und gescheiterte Fortpflanzungsbemühungen sind die | |
| Folge. Fisch sucht Fisch, aber der entpuppt sich dann eben tatsächlich als | |
| Fahrrad – beziehungsweise klingt wie eines. In der Folge, so fürchten die | |
| Forscher, wird der Reproduktionserfolg der ohnehin schon viel zu kleinen | |
| Bestände noch weiter sinken. | |
| Menschen immerhin – allem Geschrei von AfD und Pegida zum Trotz – haben die | |
| Möglichkeit, voneinander zu lernen, kulturelle Unterschiede zu überwinden | |
| und eine gemeinsame Sprache zu finden. Dem Kabeljau fehlt diese Option. Da | |
| wäre er wohl besser stumm geblieben. | |
| 6 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Heiko Werning | |
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