# taz.de -- Zug-Attacke in Würzburg: Das Problem der Turboradikalisierung | |
> Und wieder geht ein Einzeltäter unvermittelt auf Umstehende los. | |
> Sicherheitsbehörden verzweifeln an diesen Taten. | |
Bild: Spurensuche: Polizisten in der Nähe des Ortes, an dem der 17-jährige At… | |
Es ist ein Alptraum. In einer Regionalbahn bei Würzburg, Montag, kurz nach | |
21 Uhr, geht ein 17-Jähriger unvermittelt mit einem Beil und Messern auf | |
Passagiere los, schlägt und sticht auf ihre Köpfe ein. Nach seiner Flucht | |
aus dem Zug schlägt er noch einer Passantin mit der Axt ins Gesicht. | |
Ergebnis: Fünf Schwerverletzte und der später vom SEK erschossene Täter. | |
Am Dienstag bleibt den Ermittlern nur noch die „Aufräumarbeit“. Wer war der | |
Täter? Was war sein Motiv? Ein afghanischer Flüchtling, sagt Bayerns | |
Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Im Juni 2015 unbegleitet nach | |
Deutschland eingereist. Einige Zeit lebte er in einer Einrichtung in | |
Würzburg, seit zwei Wochen in einer Pflegefamilie. | |
Den Ermittlern war der Mann völlig unbekannt. Auch Betreuer schilderten ihn | |
als absolut unauffällig. Nun aber finden Polizisten ein selbstgemaltes | |
IS-Logo auf einem Notizblock in seinem Zimmer und einen Text an seinen | |
Vater. „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen | |
kann und bete für mich, dass ich in den Himmel komme“, liest ein Ermittler | |
auf einer Pressekonferenz eine Passage vor. | |
Am Wochenende soll der 17-Jährige vom Tod eines Freundes in Afghanistan | |
erfahren haben. Danach habe er sich „verändert“, viel telefoniert. Zeugen | |
berichten, im Zug habe er mehrmals „Allahu akbar“ gerufen, „Gott ist gro�… | |
Mit „großer Wucht“ habe er zugeschlagen, sagen Ermittler. „Wie im Rausch… | |
habe er gehandelt. | |
Am Dienstagmittag dann versenden IS-Medien eine Nachricht: Eine „Quelle“ | |
bezeichne den Angreifer als „Soldat des Islamischen Staates“. Seine Tat sei | |
eine Reaktion auf den Aufruf, Gegnerstaaten des IS anzugreifen. Es ist das | |
erste Mal, das der IS eine Tat in Deutschland für sich reklamiert. Am | |
Nachmittag dann folgt die Veröffentlichung eines zweiminütigen Videos. Zu | |
sehen sein soll der 17-Jährige, die Haare gegelt, weißes T-Shirt, in der | |
Hand ein Messer. Er sei ein „Soldat des IS“, sagt auch er. Und droht, eine | |
„heilige Operation“ werde beginnen, weitere Attacken werden folgen. | |
## Debatte über die Konsequenzen | |
Was heißt das jetzt? Für direkte Verbindungen des Mannes zu islamistischen | |
Organisationen hätten sich am Wohn- und Tatort bisher „keinerlei Indizien“ | |
gefunden, sagen die Ermittler. Wohl eher hat er auf eigene Faust gehandelt, | |
inspiriert durch die IS-Gewaltaufrufe. | |
Die Debatte über die Konsequenzen ist da aber längst im Gange. Bayerns | |
Innenminister Herrmann fordert eine Stärkung der Polizei. Alexander | |
Kirchner, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, will mehr | |
Sicherheitspersonal in Zügen. „Wir können nach dieser Tat nicht einfach zur | |
Tagesordnung übergehen.“ | |
Für die Sicherheitsbehörden sind Taten wie die von Würzburg ebenfalls ein | |
Alptraum, ein Worst-Case-Szenario. Zuletzt schon hatte ein Messerstecher im | |
bayerischen Grafing einen Mann getötet, drei schwer verletzt. Im Bahnhof | |
Hannover verletzte eine Islamistin einen Polizisten mit einem Messer | |
schwer. | |
Nun spricht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) von einem | |
„sinnlosen Akt wahlloser Gewaltausübung“, der in Würzburg geschehen sei. … | |
sei „zutiefst geschockt“. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, | |
um solche Taten zu verhindern.“ | |
Eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes räumt da aber bereits ein: „Dass | |
sich Einzeltäter zum Teil im Stillen radikalisieren und das in kürzester | |
Zeit, stellt die Sicherheitsbehörden vor eine große Herausforderung.“ | |
## „Es wird keine hundertprozentige Sicherheit geben“ | |
Auf Bahnhöfen und in Zügen hat die Bundespolizei grundsätzlich rund 5.000 | |
Beamte im Einsatz. Laut Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, | |
wurden auch Streifenbeamte in den vergangenen Jahren gezielt für Amoktaten | |
trainiert. Sie sollen im Ernstfall selbst unverzüglich handeln können und | |
nicht mehr auf Spezialkräfte warten. „Wir können aber nicht in jeden | |
einzelnen Zug eine Streife setzen“, sagt Radek. Und die Täter könnten auch | |
überall sonst zuschlagen. „Es wird keine hundertprozentige Sicherheit | |
geben.“ | |
Auch André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter betont, dass die | |
Polizei „nicht allen in die Köpfe schauen kann“. Mehr als 500 islamistische | |
Gefährder haben die Behörden in Deutschland derzeit im Blick. Ein Problem | |
aber sei die Turboradikalisierung einiger Verdächtiger. „Mit einem | |
Restrisiko müssen wir leben“, so Schulz. | |
Auch die Würzburger Ermittler sprechen von einer Radikalisierung des | |
17-jährigen Täters, die offenbar in nur zwei Tagen erfolgt sei – von der | |
Nachricht über den Tod des afghanischen Freundes bis zur Attacke im Zug. | |
„So etwas bereitet uns massive Sorgen“, sagt Oberstaatsanwalt Erik | |
Ohlenschläger. | |
Gleichzeitig weisen die Beamten eine weitere Sicherheitsdebatte zurück. | |
Noch in der Nacht hatte die Grünen-Politikerin Renate Künast auf Twitter | |
den Todesausschuss auf den Täter [1][in Frage gestellt] – und einen | |
Shitstorm geerntet. Oberstaatsanwalt Bardo Backert sagt, „ich verstehe die | |
voreiligen Schlüsse überhaupt nicht“. Die Schüsse seien in dieser Situation | |
„gerechtfertigt“ gewesen. | |
## Erschießung habe weitere Opfer verhindert | |
Nachdem die Bahnreisenden – eine vierköpfige Urlauberfamilie aus Hongkong, | |
26 bis 62 Jahre alt – schwer verletzt wurde, habe der Täter die Notbremse | |
des Zuges getätigt und floh. Auf dem Weg attackierte er eine weitere | |
Passantin mit der Axt. SEK-Beamte, die für einen anderen Einsatz in der | |
Nähe waren, stellten den 17-Jährigen schließlich. Als dieser auf zwei | |
Beamte zulief und einen Meter entfernt gewesen sei, erschossen diese ihn | |
mit vier Schüssen. Laut Backert habe dies weitere Opfer verhindert. | |
Nur: Hätte die Tat an sich gestoppt werden können? Polizeigewerkschafter | |
Jörg Radek appelliert an die Bevölkerung. „Wir sind auf Hinweise | |
angewiesen.“ Wo verändere sich jemand drastisch, wo verhalte er sich | |
auffällig? Auch das Innenministerium verweist am Dienstag auf die Hotline | |
etwa beim Bundesmigrationsamt, wo Experten Angehörige von Radikalisierten | |
beraten. | |
Im Fall Würzburg hätte auch das nicht geholfen. „Keinerlei Anhaltspunkte“ | |
habe es für die Tat gegeben, sagen die Ermittler. Die Pflegefamilie sei | |
„sehr betroffen“. Als unauffällig hätten Bekannte den 17-Jährigen | |
beschrieben. Als gläubigen Muslim, aber keineswegs radikal. Er sei von der | |
Jugendhilfe intensiv betreut worden und habe auch eine Ausbildung in | |
Aussicht gehabt, als Bäcker. Vor der Attacke habe er sich von der | |
Pflegefamilie verabschiedet und gesagt, er gehe Fahrradfahren. Dann schritt | |
er zur Tat. | |
19 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/RenateKuenast/status/755165764060078081 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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