| # taz.de -- Tweet von Renate Künast zu Würzburg: Wenn schnell zum Problem wird | |
| > Grünen-Politikerin Renate Künast hat mit einem Tweet zu der Axt-Attacke | |
| > in einem Zug bei Würzburg viel Kritik kassiert. Recht so? | |
| Bild: Vertwittert? | |
| Was hat sie denn nun eigentlich genau gesagt???? Egal!!!!! In der | |
| sozialmedialen Aufregung über den Tweet von Renate Künast zu dem | |
| Axt-Angriff auf Zugfahrgäste bei Würzburg ging der konkrete Inhalt ihrer | |
| Textbotschaft am Ende unter, in der sie in Frage stellte, ob der Angreifer | |
| unbedingt von der Polizei erschossen werden musste. | |
| „Klugscheißerei“ wurde Künast vorgehalten, „Spalterei“ – und das wa… | |
| die harmloseren Vorwürfe, die in dem Vorschlag gipfelten: „Renate Künast | |
| schicken wir nach Syrien, die soll mal den IS angriffsunfähig schießen. | |
| Alle Probleme gelöst!“ | |
| Der Witz ist: Künast würde man auch so einen Kampfeinsatz glatt zutrauen. | |
| Denn feige ist sie nicht, das hat die 60-jährige Abgeordnete und | |
| Ex-Ministerin oft genug bewiesen. Eine Politikerin, die ihre Agrarwende vor | |
| tobenden Bauern verteidigt und die im Autoland Deutschland zum Kauf eines | |
| Toyota aufruft, die, ja, die lässt ihren viel kritisierten Tweet über die | |
| Gewalttat bei Würzburg auch am nächsten Tag stehen, statt ihn reumütig zu | |
| löschen. Also konnte man in ihrem Twitter-Account @RenateKuenast auch am | |
| Dienstagnachmittag noch lesen: [1][„Tragisch und wir hoffen für die | |
| Verletzten. Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen | |
| werden???? Fragen! #Würzburg“] | |
| Wer sich das in Ruhe nochmal durchliest, stellt fest: Eigentlich ist an | |
| diesem Statement wenig auszusetzen. Wie es sich für jeden mitfühlenden | |
| Menschen gehört, äußert Künast zunächst Mitgefühl für die Verletzten. Und | |
| wie es sich für jede aufmerksame Oppositionspolitikerin gehört, stellt sie | |
| kritische Fragen zur Arbeit der Sicherheitsbehörden. Warum dann die | |
| Aufregung? | |
| Das Problem beginnt beim Zeitpunkt. Gerade mal eine gute Stunde nach den | |
| ersten Meldungen über die Axt-Attacke sollte man vielleicht kurz überlegen, | |
| ob man sofort ein mögliches Fehlverhalten der Polizei in den Vordergrund | |
| rückt oder die Tatsache, dass die Polizisten gerade einen gefährlichen | |
| Einsatz zum Schutz von Bürgern zu bewältigen hatten. Für kritische | |
| Nachfragen wäre später auch noch Zeit gewesen – sosehr sich Politiker heute | |
| auch unter Druck fühlen mögen, schnell zu reagieren. | |
| ## Satzzeichen sind wichtig | |
| Das größere Problem an dem Tweet sind die vier Fragezeichen hinter der | |
| Frage nach den Todesschüssen auf den 17-jährigen Jugendlichen aus | |
| Afghanistan. Damit signalisiert Künast scheinbar eindeutig, dass ihre | |
| emotionale Verbundenheit in diesem Moment eher dem getöteten Angreifer gilt | |
| als den von ihm Verletzten, die mit einem normalen Punkt bedacht werden. | |
| Weil Tweets im Moment ihres Absendens eingefroren werden, bleibt dieser | |
| Eindruck hängen – zumindest bei den vielen, die sich im Netz aufregen. | |
| Womit wir beim Hauptproblem der Grünen wären: Künasts Tweet scheint alle | |
| Klischees über die Gutmensch-Grünen zu bestätigen, denen das Schicksal von | |
| Asylbewerbern angeblich selbst dann noch wichtiger ist als reale Gefahren | |
| für die Bevölkerung in Deutschland, wenn ein Flüchtling auf Zugfahrgäste | |
| losgegangen ist. So wird es Künast nicht gemeint haben, aber so konnte sie | |
| verstanden werden. Weil Tweets Signale aussenden, die über das geschriebene | |
| Wort und den Moment hinausgehen. | |
| Bleibt die Frage, ob sich das Publikum authentisch-spontane | |
| Politikeräußerungen wünscht oder reiflich überlegte. Das muss jeder für | |
| sich entscheiden. Und gerade die taz wäre die letzte Instanz, die von sich | |
| behaupten könnte, ihr sei noch nie etwas Missverständliches | |
| herausgerutscht. Ob man etwa Erdoğan so wie in dieser Woche „mit alles und | |
| scharf“ betiteln sollte oder nicht, darüber lässt sich durchaus streiten. | |
| Aber gerade deshalb empfiehlt sich eine simple Erkenntnis: Spontane | |
| Gedanken öffentlich zu äußern ist gut. Aber meistens ist es noch besser, | |
| wenn vorher noch jemand draufschaut. | |
| 19 Jul 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/RenateKuenast/status/755165764060078081 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Wallraff | |
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