# taz.de -- Kolumne Deutschland, was geht?: Hilfe, ich bin weiß! | |
> Es gibt diverse Möglichkeiten, sich mit Menschen zu solidarisieren, die | |
> Rassismus erleben. Wie schief es gehen kann, wenn man es „nur gut“ meint. | |
Bild: Manch einem reicht das Kopftuch schon, um aggressiv zu werden | |
Manchmal besuche ich einen von Freundinnen organisierten Gesprächskreis in | |
der Moschee. Diskutiert werden, mal mehr, mal weniger kontrovers, Themen | |
aus Theologie, Gesellschaft und Sozialem. Die meisten der Frauen, die | |
kommen, sind Musliminnen und werden aufgrund ihres Aussehens und ihrer | |
Hautfarbe rassifiziert. Eine der Frauen allerdings ist christlich und | |
deutsch, ohne erkennbare ausländische Wurzeln. Autochthon deutsch. | |
Biodeutsch. Weiß. | |
Eine gebildete Frau, nennen wir sie Gudrun. | |
Diesmal geht es um Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch im Alltag. Ein | |
Thema, das hier viele interessiert, weil es sie ganz persönlich betrifft. | |
Dann, wenn sie gerade allein unterwegs sind und keine große Gruppe hinter | |
sich wissen, die für sie in die Bresche springt. Ein Thema, das mit realen | |
Ängsten einhergeht und dafür sorgt, dass sie beim Einfahren der U-Bahn | |
lieber drei Schritte mehr zurücktreten. | |
Zu oft werden Frauen mit Kopftuch Ziel physischer Gewalt, wie erst jüngst | |
in Kiel, wo einer Mutter dreier Kinder am helllichten Tag beim Einkaufen | |
unvermittelt von einem fremden Mann so sehr ins Gesicht geschlagen wurde, | |
dass ihre Nase brach. Vorher rief er: „Scheiß Muslime“. | |
## Alle? Oder nur die? Oder nur wir? Oder wer? | |
Gudrun sagt, dass auch sie, als gläubige Christin, für die Mehrheit der | |
Deutschen komplett verrückt wirken müsse. Es folgt ein Abriss deutscher | |
Geschichte: Dreißigjähriger Krieg, Religionskrieg, Verlagerung des | |
religiösen Lebens von außen nach innen. Gudrun meint, es sei ganz egal, ob | |
religiöse Menschen heute eine buddhistische Mönchstracht, ein Kreuz am Hals | |
oder ein Kopftuch trügen. Sie alle würden als „nicht normal“ betrachtet | |
werden. | |
Als ich das höre, drängt sich mir unweigerlich der Hashtag #AllLivesMatter | |
auf. Kaum war in den USA als Folge der anhaltenden Diskriminierung, | |
Benachteiligung und tödlichen Gewalt gegenüber Schwarzen die Bewegung | |
„Black Lives Matter“ geboren, fühlten sich die ersten Weißen dazu berufen, | |
zu deklarieren, dass Hautfarbe für sie nicht zähle. Es gehe um jeden | |
Menschen, egal, wie der aussieht. | |
Es verwundert, wenn jemand, der sich für alle Menschen stark machen will, | |
plötzlich ein Problem damit hat, dass der Fokus nun auf eine bestimmte | |
Gruppe genau dieser Menschen gelegt wird. | |
In den USA, wo Schwarze ein sieben Mal höheres Risiko dafür haben, an | |
Polizeigewalt zu sterben, als Weiße, offenbart sich nur die traurige Spitze | |
des Eisbergs. In Deutschland fragt sich eine als Muslimin erkennbare Frau | |
tagtäglich, ob sie neben sexualisierter Gewalt, auch noch mit solcher, die | |
rassistisch motiviert ist, wird umgehen müssen. | |
## Hautfarbe zählt, sehr sogar | |
Ich verstehe die Intention hinter Aussagen, wie der von Gudrun. Meistens | |
meinen Weiße es tatsächlich „nur gut“ und wollen sich mit denen, die | |
Rassismus ausgesetzt sind, solidarisieren. Dabei vergessen sie allerdings | |
den gesellschaftlichen, historischen und politischen Kontext von Rassismus. | |
Hautfarbe zählt, sehr sogar. Ein Kopftuch auch. Anders als ein Kreuz am | |
Hals. | |
Kurt Tucholsky sagte übrigens einmal: „Das Gegenteil von gut ist gut | |
gemeint.“ | |
22 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Nemi El-Hassan | |
## TAGS | |
Deutschland, was geht? | |
Black Lives Matter | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Islam | |
Christentum | |
Vorurteile | |
Deutschland, was geht? | |
Zivilschutz | |
Deutschland, was geht? | |
Kopftuch | |
Muhammad Ali | |
Smartphone | |
Migrationshintergrund | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Drehbuchreife Fügung | |
Zwischen Wachs und Haarfärbemitteln: Es ist schwierig, die eigene Wärme zu | |
ignorieren, wenn das verhasste Feindobjekt vor einem sitzt. | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Werbetipps für die AfD | |
Liebe AfD, so läuft das nicht – Eure Wahlplakate haben die Wähler verwirrt. | |
Das geht besser! Ein paar Ratschläge fürs nächste Mal. | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Im Getränkekeller | |
Hamsterkäufe? Kein Problem. Der Großteil der deutschen Haushalte probt | |
ohnehin Jahr für Jahr vor den Feiertagen den Ernstfall. | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Das nicht so saubere Deutschland | |
Wenn die Geflüchteten uns eines lehren, dann dies: Der braune Bodensatz ist | |
gar nicht am Boden und er kann recht bunt daherkommen. | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Händeschütteln und andere Krisen | |
Das Kopftuch ist hierzulande ein Vollzeitjob. Weil Frauen, die es tragen, | |
unentwegt damit beschäftigt sind zu repräsentieren und zu reagieren. | |
Kolumne Deutschland, was geht?: Der wahre Champion | |
Muhammad Ali beharrte trotz öffentlicher Kritik auf seiner Religion. Das | |
macht ihn für viele junge Muslime in der westlichen Welt zum Vorbild. | |
Kolumne „Deutschland, was geht?“: Ein Smartphone kann Leben retten | |
Mein Handy ist langsam, das ärgert mich, ist aber nicht weiter wichtig. Für | |
Geflüchtete schon – das Telefon ist ihr bester Fluchthelfer. | |
Kolumne „Deutschland, was geht?“: Kirschkuchen reicht nicht | |
„Gehören Sie zur al-Qaida?“: Wer oder was deutsch ist, ist immer noch sehr | |
eng definiert – und wehe, man entspricht dem nicht. | |
Kolumne „Deutschland, was geht?“: Ausgeliefert | |
Plötzlich bin ich wieder die Neunjährige, die in der Übersetzung die | |
Abwertung der Eltern tilgt und böse Worte versteckt, um sie zu schützen. |