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# taz.de -- Kolumne Deutschland, was geht?: Im Getränkekeller
> Hamsterkäufe? Kein Problem. Der Großteil der deutschen Haushalte probt
> ohnehin Jahr für Jahr vor den Feiertagen den Ernstfall.
Bild: Getränkekeller, Abteilung Säfte
In den letzten Tagen sind Pläne der Bundesregierung zum sogenannten
Zivilschutzkonzept bekannt geworden. Darin enthalten sind Überlegungen zur
Wiedereinführung der Wehrpflicht, Empfehlungen zu Hamsterkäufen und die
mögliche Beschlagnahmung von Bauernhöfen durch den Staat.
Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten, von bewusster Verunsicherung
der Bevölkerung ist die Rede. Die Verantwortlichen halten – natürlich –
dagegen, alles weder neu noch besonders bemerkenswert. Und in zumindest
einer Sache behalten sie recht: Deutsche sind schon längst Weltmeister im
Anlegen von Vorräten. Das ist mir schon als Kind aufgefallen, als ich
Bekanntschaft mit einer der größten deutschen Errungenschaften machte: dem
Getränkekeller. Wenn bei uns zu Hause sonntags die Getränke ausgingen, dann
war das eben so. Kann man nichts machen, abwarten und Schwarztee trinken.
Den haben libanesische Haushalte nämlich immer da. Währenddessen brauchten
meine deutschen Freundinnen nur ein paar Treppenstufen laufen und der Tag
war gerettet.
Der Getränkekeller war für mich ein Zeichen des Erfolgs und meines
wohlorganisierten deutschen Traums. Eines Tages würde ich mir den schönsten
von allen anlegen. Unter dem obligatorischen, riesigen Garten meines noch
größeren Hauses würde sich ein ganzes Labyrinth von Gängen erstrecken,
jeder davon mit einem Straßenschild versehen, das einen Hinweis darauf
böte, was den nach Erlösung trachtenden Getränkeliebhaber erwartet:
Colagasse und Apfelsaftplatz und Gingeraledamm. Damit sich die Suche nach
der passenden Erfrischung nicht als allzu langwierig gestaltet, hätte ich
ganz zu Beginn eine Skateboardstation eingerichtet. Jetzt erscheint mir das
als kurzsichtig. Wer von uns kann denn bitte Skateboard fahren? Es müsste
schon ein Segway sein.
Noch mehr als an Sonntagen, sind mir Hamsterkäufe vor Feiertagen wie
Weihnachten und Ostern aufgefallen. Bin ich an diesen Tagen aus Versehen in
einen Supermarkt gestolpert, musste ich aufpassen, nicht von einem der
tausend Einkaufswagen überfahren zu werden. An den Kassen wurden die
meisten Erwachsenen nervös, weil sie nicht wussten, ob sie es rechtzeitig
schafften, ihre Einkäufe in den Wagen zu packen, bevor der nächste Kunde
sie von ihrem angestammten Territorium verdrängen würde. Auf den
Parkplätzen eröffneten sich mir die Abgründe deutscher Belastungsfähigkeit,
wenn ganze Familien erkannten, dass die Einkäufe nicht ins Auto passten,
ganz egal wie viel Tetris sie damit spielten. Es waren dramatische Stunden,
denen Tage voller Harmonie, Kartoffelsalat mit Würstchen und Geschenken
folgten.
Jedes Jahr hoffte ich, aus heiterem Himmel bei einem Weihnachtsessen dabei
sein zu können, statt mir die zehnte Folge einer Vorabendserie anzusehen.
Meine Hoffnungen sollten unerfüllt bleiben.
Wenn sich also jemand keine Sorgen über die Empfehlungen der Regierung
machen muss, dann der Großteil der deutschen Haushalte, die schon immer,
Jahr für Jahr, den Ernstfall geprobt haben. Alles weder neu noch besonders
bemerkenswert.
29 Aug 2016
## AUTOREN
Nemi El-Hassan
## TAGS
Zivilschutz
Deutschland, was geht?
Schwerpunkt Syrien
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Kopftuch
Muhammad Ali
Smartphone
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