# taz.de -- Kolumne Deutschland, was geht?: Drehbuchreife Fügung | |
> Zwischen Wachs und Haarfärbemitteln: Es ist schwierig, die eigene Wärme | |
> zu ignorieren, wenn das verhasste Feindobjekt vor einem sitzt. | |
Bild: Eine Frau mit weißem Kopftuch fragt in syrischem Dialekt, ob sie die Haa… | |
Wenn Menschen, voll von Vorurteilen, zum Rundumschlag ausholen und man das | |
Pech hat, selbst getroffen zu werden, kann man das persönlich nehmen. Oder | |
aber man geht einen Schritt zurück und erkennt, dass diese Menschen im | |
Grunde genommen nur ein gehöriges Problem mit sich selbst haben. | |
Einmal bin ich Zeugin einer Diskussion in feinster AfD-Stammtischmanier | |
geworden. Das Absurde daran: Sie fand in einem arabischen Kosmetiksalon | |
statt. Die Teilnehmerinnen? Waren allesamt selbst vor zwanzig oder dreißig | |
Jahren aus dem Nahen Osten nach Deutschland geflüchtet. | |
Eine der Frauen beginnt: „Ich wollte eine Wohnung mieten, da meinte die | |
Wohnungsbaugesellschaft: Flüchtlinge gehen vor. Die kriegen mehr Wohnungen | |
als wir!“ Während ich mich noch frage, wer dieses „wir“ sein soll und | |
welche Vermieter so sozial sind, dass sie Geflüchtete vorziehen, schlägt | |
auch schon die nächste Faust auf den Stammtisch. | |
„Sie haben alles kaputt gemacht, die Syrer! Ich traue mich nicht mehr auf | |
die Sonnenallee. Sie nennen es jetzt sogar schon ‚Straße der Araber‘, so | |
schlimm ist es geworden!“ | |
## Aufregerrunde | |
Genau die Sonnenallee in Berlin Neukölln also, die schon von jeher wie ein | |
kleines Ostjerusalem anmutet, was aber nie jemanden gestört hat. Im | |
Gegenteil, nie hat sich jemand darüber beschwert, dass es auf der | |
Sonnenallee unfassbar gutes libanesisches und palästinensischen Frühstück | |
gibt und nebenan das nette, neue Szene-Café mit dem günstigen Soja-Latte. | |
Es geht noch eine Weile so weiter, und gerade als die Aufregerrunde beim | |
Thema Aufenthaltstitel angekommen ist, klopft es an die Tür. In | |
drehbuchreifer Fügung erscheint eine junge Frau mit weißem Kopftuch, die in | |
syrischem Dialekt fragt, ob sie hier die Haare gemacht bekommen könnte. Sie | |
kennt sich nicht aus in der Stadt und freut sich, einen Salon gefunden zu | |
haben, zu dem nur Frauen Zutritt hätten. Stille. | |
Irgendwann ringt sich die Kosmetikerin zu einer Frage durch: „Bist du eine | |
von den neuen Syrern?“ Das Mädchen ist seit zwei Monaten in Deutschland. | |
Die Frauen schauen betreten zu Boden. Ich beginne ein Gespräch mit ihr, und | |
sie erzählt, dass sie unbedingt Deutsch lernen will. Dass alles so viel und | |
so neu sei, die Umgebung, die Menschen, die Schule. Dass sie Angst hat, das | |
alles nicht zu schaffen. | |
Die Frauen hören gebannt zu. Und dann geschieht das, was jeder Regisseur | |
als eine viel zu kitschige Wendung sofort verworfen hätte: Die Frauen, die | |
noch eben über Geflüchtete herzogen, bieten dem Mädchen eine nach der | |
anderen ihre Hilfe an. | |
## „Die anderen“ | |
Es ist schwierig, die eigene Wärme zu ignorieren, wenn das verhasste | |
Feindobjekt fleischgeworden in Gestalt eines jungen, zierlichen Mädchens | |
vor einem sitzt und man sich vielleicht sogar eingestehen muss, dass „die | |
anderen“ schon immer nur eine Projektion der eigenen Ängste waren. | |
Dass man, verunsichert vom Wandel der Zeit, den eigenen Wert infrage | |
stellend neidvoll nach oben blickt und noch fester nach unten tritt. Und | |
dass ein Gespräch zwischen Wachs und Haarfärbemitteln für ungeahnten | |
Frieden sorgen kann. | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Nemi El-Hassan | |
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