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# taz.de -- Popmusik-Konferenz in Berlin: Finger ertasten, wie sich Leben anfü…
> Widersprüche und Asymmetrien: Die Konferenz „Popular Music and Power“ war
> dem Musikwissenschaftler Peter Wicke gewidmet.
Bild: Musik kann man spüren. Wie dieser Tonabnehmer
Man möge bitte kein Referendum abhalten darüber, ob Fragen an Teilnehmer
der Berliner Tagung „Popular Music and Power. Sonic Materiality between
Cultural Studies and Music Analysis“ direkt nach jedem Vortrag gestattet
werden oder jeweils erst nach den Panels. Gequält wurde da gelacht, am
ersten von zwei dicht gestaffelten Tagen am Institut für Musikwissenschaft
und Medienwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.
Eigentlich war der Anlass ja ein schöner, zu Ehren des vor der Emeritierung
stehenden Musikwissenschaftlers Peter Wicke kamen alte Weggefährten und
junge WissenschaftlerInnen zusammen. Wicke gehört zur ersten
Forschergeneration, die die Hervorbringungen populärer Musik auf
wissenschaftlicher Ebene untersucht hat. Was einst aus der Not irgendwo
zwischen Geschichtswissenschaften, Ethnologie, Cultural Studies und
Musikwissenschaften angesiedelt war, sorgt heute als etabliertes Projekt
für interdisziplinären Austausch.
Organisator Jens-Gerrit Papenburg (Berlin) schickte zum Nachdenken
anregende Bemerkungen voraus: etwa die Frage, welcher Mittel sich Politik
bei der Instrumentalisierung von Musik bedient? Widersprüche und
Asymmetrien müssten auf vielseitige Weise untersucht werden, weder
ausschließlich über das musikalische Material noch ausschließlich über die
Kontexte.
## Etwas geschehen machen
Der Soziologe Antoine Hennion (Paris) sprach über „Attachments. A
Pragmatist Approach to Musical Power“. Musik entwickle Kraft, weil Künstler
für eine gemeinsame Sache kämpften: „making something happen“. Wenn Finger
Keyboardtasten streifen, versuchen sie sich zu finden, ertasten dabei immer
auch, wie sich Leben anfühlt.
Will Straw (Montréal) ging dagegen auf eine historische Form von Pop ein,
die im Zustand ihres Verfalls an Reiz gewinnt. In „Knight’s Moves and
Degradation in Recent Electronic Music Practice“ definiert er anhand einer
Bemerkung des russischen Formalisten Viktor Schklowskij die ästhetische
Umkodierung von Soundtracks italienischer Giallo-Filme der frühen siebziger
Jahre als Schachzug von Hauntology-Ästhetik.
Alte Filmkopien haben auch die Tonspur in Mitleidenschaft gezogen: Immer
mumpfiger sei der Sound geworden, er korrespondiere mit den vergilbten
Filmbildern und lieblosen DVD- und CD-Boxen, in denen jene Werke
feilgeboten würden.
## Der Markenname als kolonialistische Zuschreibung
Johannes Ismaiel-Wendt (Hildesheim) nahm in seiner Soundlecture
„tracks’n’treks: De Linking-Afric C“ ein Preset des Yamaha-Drumcomputers
„RX 15“ auseinander. Mit Stuart Hall und Eric Hobsbawm unternahm er eine
„Kritik der Repräsentation“, spielte er den Drum Pattern ab, machte mit
Effektgeräten einzelne Bausteine hörbar; etwa die Shaker Percussion, genau
wie der Markenname „Afric C“ Ausdruck von kolonialistischen Zuschreibungen.
Marie Thompson (Lincoln) untersuchte mit „Power over/Power to: Music,
Affect, and Contestations of Social Space“ Konfliktpotenziale von Musik.
Als Beispiel dienten ihr Proteste der Latino-Community von Los Angeles
gegen die Opernaufführung „Hopscotch“ im Viertel Boyle Heights. Mit
Spinozas Unterscheidung zwischen „potestas“ (Handlungsvollmacht) und
„potentia“ (Macht) arbeitete die Britin heraus, wie Bigbandsound als Form
von politischem Protest gegen Gentrifikation eines Viertels fungiert.
Michael Rauhut (Kristiansand) erzählte in „Powers of Interpretations.
Images of the US in East German Popular Music Discourses“ über das
Doppelleben der afroamerikanischen Soulsängerin Etta Cameron in
Ostdeutschland, wohin sie 1968 emigriert war. Der DDR-Propaganda diente
Cameron als Botschafterin des schwarzen Amerika, als „das Andere“ und
Ausdruck von rassistischer Unterdrückung und Protest gegen den Klassenfeind
USA.
Allerdings trat Etta Cameron nicht nur im Fernsehen auf, sie spielte auch
bei Gottesdiensten in Kirchen, den traditionellen Orten der Opposition.
Camerons Ehemann, ein Däne, diente der Stasi als IM, sie selbst wurde
dagegen von der CIA beschattet.
27 Jun 2016
## AUTOREN
Julian Weber
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Schwerpunkt Brexit
Synthiepop
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