# taz.de -- Funkadelic-Mitbegründer gestorben: Auf dem Weg nach Chocolate City | |
> Die Ausbeutungsverhältnisse in geile Songs ummünzen: Bernie Worrell war | |
> mit Funkadelic/Parliament musikalisch und textlich im Space-Age zu Hause. | |
Bild: Hatte in seinem Song „Chocolate City“ aus dem Jahr 1976 die Präsiden… | |
In ihrem Roman „Sehr blaue Augen“ (1970) beschreibt die Nobelpreisträgerin | |
Toni Morrison, wie den Weißen all das, was funky sein könnte, zum Zwecke | |
von Abschottung und Auslese aberzogen wird: „The dreadful funkiness of | |
passion, the funkiness of nature, the funkiness of the wide range of human | |
emotion. Wherever this funk erupts, they wipe it away.“ | |
Bernie Worrell hat Funkiness gewinnbringend angewandt. Der Keyboarder und | |
Streicher-Arrangeur war Mitbegründer jener Band, die den Funk, also die | |
Synthese aus vollfetten Rhythmen, elektrifizierten Sounds und | |
afroamerikanischen Slang-Begriffen schon in ihrem Namen trug: Funkadelic. | |
Gegründet wurde Funkadelic 1969 von Mitgliedern der Band The Parliaments. | |
Ursprünglich war dies eine Doo-Wop-Gruppe gewesen, die sich bisweilen | |
Parliament nannte, wie die Mentholzigaretten gleichen Namens. Schon Mitte | |
der Sechziger landete sie einige, von Worrell mitkomponierte Hits. | |
Alles fing an in einem Friseursalon in Patterson/New Jersey, in dem „krause | |
Locken und Gesangsmelodien harmonisiert wurden“, wie der britische Autor | |
Cliff White schreibt. Bald darauf kam mit „Black is beautiful“ größeres | |
Selbstbewusstsein. Die Musiker glätteten ihre Locken nicht mehr und gingen | |
nach Detroit. Funkadelic/Parliament hatten identisches Bandpersonal. Beide | |
waren jeweils mit einem Plattenvertrag ausgestattet: Funkadelic sei die | |
„freaky Herausforderung“ gewesen, und Parliament „ihre benutzerfreundliche | |
Variante“. | |
## Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Realitäten | |
Die USA befanden sich damals in Vietnam im Krieg, es galt allgemeine | |
Wehrpflicht, der man sich entziehen musste. Zu Hause brannten Gettos, die | |
Aufbruchstimmung der Bürgerrechtsbewegung machte einer Resignation Platz. | |
Black Power führte zu noch mehr Gewalt: Galionsfiguren wurden ermordet. | |
Funkadelic/Parliament war auf der Flucht vor diesen gesellschaftlichen | |
Realitäten, man verteilte die Last auf viele Schultern: Es war ein acht- | |
bis zwölfköpfiges Künstlerkollektiv, das den auf traditionelle Songformen | |
und Musikerrollen basierenden Soul der Sechziger in eine Zukunft brachte, | |
die einflussreich für Prince, aber auch für HipHop werden sollte. | |
Nicht zu vergessen das „delic“ von Funkadelic: Die Künstler fraßen LSD, | |
trugen Fantasieuniformen und fühlten sich musikalisch und textlich im | |
Space-Age zu Hause. Aus dem Weltraum konnten sie auf die Erde schauen, in | |
einer Mischung aus Abscheu und Belustigung die Macht- und | |
Ausbeutungsverhältnisse in zwingend geile Songs ummünzen, wie etwa auf dem | |
brillanten Funkadelic-Album „Cosmic Slop“ (1973). Dort steht in den | |
Linernotes geschrieben: „TOTAL domination of capital, material, and | |
creature comforts is ruthlessly thought the exploitation of many.“ | |
## Stilistisch vielseitig | |
Worrell komponierte Songs für beide Bands. Stilistisch war er äußerst | |
vielseitig: Am Keyboard, meistens ein Moog-Synthesizer, aber gerne auch an | |
der Hammondorgel oder am Klavier, umkreiste er Soul, Jazz, aber auch den | |
beinharten Boogie-Rock eines Bo Diddley. Seine Streicherarrangements waren | |
süffig; sie bereicherten den Groove ungemein. | |
Am prophetischsten klingt das auf dem von ihm komponierten Titelsong des | |
Parliament-Albums „Chocolate City“ (1976). Ein Schwarzer wird darin | |
US-Präsident, Aretha Franklin und Stevie Wonder erhalten Ministerposten. | |
Am Freitag ist Bernie Worrell einer Krebserkrankung erlegen, er wurde 72 | |
Jahre alt. Möge der Funk mit ihm sein. | |
27 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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