| # taz.de -- Filmportrait einer Intellektuellen: Die Frau, die Rilke seinen Name… | |
| > Im Film „Lou Andreas-Salomé“ porträtiert Cordula Kablitz-Post die kluge | |
| > russisch-deutsche Schriftstellerin, die neben Rilke auch Freud | |
| > beeinflusste. | |
| Bild: Einflussreiche Intellektuelle: Lou Andreas Salomé. | |
| Bremen taz | Was verbindet Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche und | |
| Sigmund Freud? Sie alle waren Freunde der russisch-deutschen | |
| Schriftstellerin, Philosophin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. | |
| Dabei war diese nicht wie etwa Alma Mahler-Werfel ein früherer Groupie, | |
| sondern begegnete den Männern intellektuell und künstlerisch auf Augenhöhe. | |
| Nietzsche und Rilke traf sie, bevor sie berühmt wurden. Sie war es, die die | |
| Persönlichkeiten der noch jungen Männer formte. Zumindest bei Rilke ist | |
| sicher, dass sie seine Karriere mit in Gang brachte. Sie empfahl ihm, | |
| seinen Vornamen vom zwitterhaften René zum unzweideutig männlichen Rainer | |
| zu verändern und ihre Kritik an seinen zuerst blumig schwülstigen Gedichten | |
| half ihm dabei, seinen Stil zu finden. | |
| Doch bisher wissen nur wenige um diese außergewöhnliche Persönlichkeit, die | |
| freiheitsliebend, klug, furchtlos und voller Forschungsdrang war. Dabei war | |
| Lou Andreas-Salomé zu ihrer Zeit eine einflussreiche Intellektuelle, die | |
| Romane, Erzählungen, Essays, Abhandlungen über Philosophie und | |
| Psychoanalyse und eine Autobiografie verfasste. | |
| Aber ihre Neugier verhinderte, dass sie sich auf ein Thema festlegte, mit | |
| dem sie für die Nachwelt in Verbindung gebracht worden wäre. [1][Cordula | |
| Kaplitz-Post rückt das nun mit ihrem Spielfilm zurecht], in dem sie sich | |
| darum bemüht, der Komplexität der Figur und ihrer historischen Bedeutung | |
| gerecht zu werden. | |
| In einer Rahmenhandlung wird sie uns als 70-jährige Frau vorgestellt, die | |
| im Deutschland der 30er-Jahre damit rechnen muss, von den | |
| Nationalsozialisten verfolgt zu werden. Der Film beginnt am Tag der | |
| Bücherverbrennungen. Für einen jungen Mann, der so aussieht, wie einer von | |
| der Gestapo, ist dies kein guter Moment, um an der Haustür zu klingeln. | |
| Dem entsprechend begegnet Lou Andreas-Salomé dem jungen Germanisten Ernst | |
| Pfeiffer zuerst mit Misstrauen, als dieser sie darum bittet, ihn wegen | |
| seiner Schreibblockade zu therapieren. Die Behandlung soll darin bestehen, | |
| dass sie ihm im Laufe zahlreicher Besuche ihre Lebensgeschichte diktiert. | |
| Nicole Heesters spielt Lou Andreas-Salomé in diesen Sequenzen mit einer | |
| souveränen Gelassenheit. Überzeugend verkörpert sie die analytische | |
| Intelligenz und geistige Unabhängigkeit, die die Titelfigur auszeichnet. | |
| Diese nicht zu unterschätzende Leistung gelingt auch den beiden anderen | |
| Schauspielerinnen Katharina Lorenz und Liv Lisa Fries, die Andreas-Salomé | |
| in den Rückblenden verkörpern. | |
| Es handelt sich um Schlüsselszenen aus ihrem Leben: ein früher Akt der | |
| Rebellion während eines Gottesdienstes, Auseinandersetzungen mit der Mutter | |
| und eine sehr komische Sequenz während eines gesellschaftlichen Empfangs, | |
| bei dem sie, statt sich dem üblichen Geplauder hinzugeben, aus dem | |
| Stehgreif mit einer kleinen philosophischen Ausführung brilliert, mit | |
| welcher sie einen der anwesenden Herren verführt. | |
| Kaplitz-Post gelingt es, Rilke, Nietzsche und Freud in wenigen, prägnanten | |
| Auftritten lebendig werden zu lassen. Dabei bedient sie sich derer | |
| bekannten Manierismen, ohne sie zu übertreiben und so Karikaturen zu | |
| zeichnen. Julius Feldmeier ist als Rilke ein hochnervöser, noch sehr junger | |
| und unsicherer Mann. Lou dagegen hat zu dieser Zeit schon einen Bestseller | |
| geschrieben und hält Vorträge zur Emanzipation der Frauen. | |
| Alexander Scheer gibt den Nietzsche als einen eher hitzigen als genialen | |
| Rüpel, dessen Schnurrbart etwas zu lang geraten ist. Im Film wird übrigens | |
| auch Nietzsches berühmter Satz „Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die | |
| Peitsche nicht!“ ironisiert: Auf einen Jahrmarkt posieren Lou, Nietzsche | |
| und ein Freund für einen Fotografen in einer Stellung, in der Lou die | |
| beiden Männer mit einer Peitsche antreibt. | |
| Alle Figuren des Films reden in geschickt gebauten und wohlformulierten | |
| Dialogen, in denen nicht nur ihre Sicht auf die Welt, sondern auch ihre | |
| jeweiligen Talente offenbar werden. Viele der Dialogsätze sind aus | |
| Originaltexten wie Briefen und Notizen übernommen worden und klingen | |
| entsprechend druckreif. Aber Lou Andreas-Salomé war ja eine | |
| Sprachkünstlerin und so ist es durchaus plausibel, dass sie auch im | |
| alltäglichen Leben so geschliffen redete,wie sie schrieb. Am Ende des Films | |
| spricht sie dann ihr Lebensmotto direkt in die Kamera: „Die Welt, sie wird | |
| dich schlecht begaben, glaube mir’s, sofern du willst ein Leben haben, | |
| raube dir’s!“ | |
| Ausstattung, Kostüme und Maskenbild wirken zwar authentisch, aber | |
| Kablitz-Post arbeitet auch mit kleinen stilistischen Widerhaken, mit denen | |
| sie darauf hinweist, dass sie hier die Vergangenheit spielerisch | |
| inszeniert. | |
| An manchen Schnittstellen, bei denen zwischen Zeiten und Orten gewechselt | |
| wird, nutzt die Filmemacherin für kurze animierte Einstellungen Motive aus | |
| alten Postkarten, in denen sie ihre Protagonistin herumspazieren lässt. Sie | |
| lässt sich nicht auf festgefügten, starren Bildern fassen. | |
| Der Film wurde in Potsdam, Wien und Südtirol, aber auch in Wrisbergholzen | |
| bei Hildesheim und in Peine gedreht. Es steckt Geld von der Förderanstalt | |
| von Niedersachsen und Bremen Nordmedia in der Produktion. Deshalb ist auch | |
| der NDR mit von der Partie. Und so konnte es zu der kuriosen Situation | |
| kommen, dass die 51-jährige Cordula Kaplitz-Post für ihr Langfilmdebüt auf | |
| dem Filmfest Emden-Norderney vor ein paar Wochen den NDR-Nachwuchspreis | |
| verliehen bekam. | |
| 29 Jun 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=YQBm7Oj2jeU | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
| ## TAGS | |
| Sigmund Freud | |
| Rainer Maria Rilke | |
| Spielfilm | |
| Niedersachsen | |
| Psychoanalyse | |
| Hamburg | |
| Paula Modersohn-Becker | |
| Rainer Maria Rilke | |
| Theater | |
| Poesie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Filmfest in Hamburg: Tante Emma geht ins Kino | |
| Beim Filmfest Hamburg setzt der Leiter Albert Wiederspiel auf ein breit | |
| gefächertes Programm. Das unterscheidet es von kleineren Festivals. | |
| Doku über eine Mädchenfreundschaft: Die Geschichte von Paula und Clara | |
| Mit „... einen anderen Weg“ hat die Kunsthistorikerin Fenja Pretzsch eine | |
| Dokumentation über die Worpsweder Künstlerinnen gemacht. | |
| Kolumne Generation Camper: Warum nicht einfach Rilke? | |
| Souvenirs aus Deutschland zu finden ist gar nicht so einfach. Ein | |
| Gedichtband kann die Rettung sein. So viel Gefühl steckt sonst nirgendwo. | |
| Autorin Völcker über Lou Andreas-Salomé: „Der Mut zu einem unsicheren Lebe… | |
| Lou Andreas-Salomé war Autorin und Analytikerin. Tine Rahel Völcker hat ein | |
| Stück über eine Frau geschrieben, die leidenschaftlich auf der Suche war. | |
| Über die "Europäisierung" deutsch-völkischen Denkens: Das Trugbild einer eur… | |
| Warum Worpswede nicht Teil einer „europäischen Bewegung“ war – wie zum n… | |
| anstehenden 125-jährigem Gründungs-Jubiläum wieder nachdrücklich behauptet | |
| wird. | |
| Die Wahrheit: Die Rosen des Rilke | |
| „Rose, oh reiner Widerspruch“ – das steht auf Rainer Maria Rilkes Grabmah… | |
| Die schönsten Dichter-Anekdoten der Welt – mit Kalauern. |