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# taz.de -- Über die "Europäisierung" deutsch-völkischen Denkens: Das Trugbi…
> Warum Worpswede nicht Teil einer „europäischen Bewegung“ war – wie zum
> nun anstehenden 125-jährigem Gründungs-Jubiläum wieder nachdrücklich
> behauptet wird.
Bild: Gänzlich ohne europäisch-inspirierten geistigen Nährboden entstanden: …
BERLIN taz | Worpswede begeht 2014 sein 125-jähriges Jubiläum. Der passende
Anlass, das Künstlerdorf – wie schon beim 120. Geburtstag – als Teil einer
„europäischen Bewegung“ zu feiern. Drei Begriffe stehen im Zentrum der
Selbstbespiegelung: Mythos – Moderne – Europa.
Die ersten beiden sind alt, sie werden seit Ende des Zweiten Weltkriegs
dafür bemüht, das niedersächsische Dorf als Siedlung künstlerischer
„Pioniere“ zu beschreiben. Die Idee, Worpswede „von Europa aus“ zu sehe…
ist dagegen relativ jung. Sie wurde mit Nachdruck zu Beginn des neuen
Jahrtausends in die Diskussion gebracht. Ihr Erfolg ist durchschlagend.
Attraktiv ist sie auch deshalb, weil sie ablenkt von Worpswedes Anderssein.
Tatsächlich verschwindet eine geistige Kontinuität im Nebel der
Wümmeniederung, die einen Bogen spannt von einer kulturpessimistischen
Weltanschauung im Kaiserreich bis hin zur rassistischen
Blut-und-Boden-Ideologie im „Dritten Reich“. Die ersten Worpsweder Künstler
waren keine Europäer. Sie lebten weder einen „europäischen Gedanken“ vor,
noch wollten sie ihrer Kolonie einen „europäischen Modellcharakter“ geben.
Ihr Rückzug aufs Land – oder „Flucht in die Kunst“ – verdankte sich an…
Motiven, die in der Literatur hinreichend behandelt wurden. Ihr
sehnsüchtiger Blick suchte nicht Europa, sondern Deutschland. Ein anderes,
vergangenes, mythisches Deutschland. Es ist das von deutsch-völkischen
Ideen beeinflusste Bewusstsein der Koloniegründer, das Worpswede am Anfang
zu etwas Besonderem macht; das die Grundlage legt für eine Malerei, die im
Nationalsozialismus zum Inbegriff von „nordischer“ Heimatkunst und
niedersächsischer Heimatbewegung wird. Nichts Entsprechendes weisen die
anderen Künstlerkolonien auf.
Wie könnte Worpswede dann aber Teil einer „europäischen Bewegung“ sein? Im
19. Jahrhundert war Europabewusstsein rar. Es gab fast keine Versuche einer
europäischen Einigung. Das vorherrschende Prinzip war der Nationalstaat.
Der ließ keinen Platz für eine europäische Idee.
Ein Forschungsprojekt des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und die
Ausstellung seiner Ergebnisse 2001 machten die Idee der europäischen
Bewegung der Künstlerkolonien einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die
Ausstellung trug den Titel „Künstlerkolonien in Europa“ und der
Projektleiter schrieb, mit ihr greife das Germanische Nationalmuseum den
europäischen Gedanken auf, wie er unter den Künstlern vor 100 Jahren
bereits gelebt worden sei.
Ausstellung und Katalog vermochten aber nur zu zeigen, dass die
Künstlerkolonien ein europäisches Phänomen waren. Maler wandten sich
langsam von den Kunstakademien und der normativen Funktion ihrer Ästhetiken
ab, gingen in die Natur, um im Freien zu arbeiten und dadurch die
Ateliermalerei zu erneuern. Sie fanden sich lange vor Worpswede an Orten
zusammen, die ihren Bestrebungen entgegenkamen, zum Beispiel im
französischen Barbizon im Wald von Fontainebleau nahe bei Paris.
Die Kolonien entwickelten sich teilweise zu internationalen
Begegnungsstätten, an denen sich Künstler aus verschiedenen Ländern trafen
und austauschten. Diese Internationalität hatten die südenglischen
Fischerdörfer St. Ives und Newlyn oder Pont-Aven und Concarneau an der
französischen Atlantikküste. Es lässt sich aber nicht von einer „Bewegung�…
sprechen, denn die Akteure handelten nicht länderübergreifend mit einem
„europäischen Bewusstsein“. Sie waren auf der Suche nach „unberührter“
Natur, intakten Landschaften, unverbrauchten Motiven, Menschen, deren Leben
vom technischen Fortschritt unberührt war. Auch profane Gründe wie die
Flucht vor Seuchen in der Stadt oder die Möglichkeit, auf dem Land
günstiger zu leben, waren die Ursachen für den Rückzug.
Es kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass die Koloniegründungen das
Ergebnis eines planerischen Bewusstseins gewesen wären, welches das Ziel
der Überwindung nationaler und kultureller Grenzen und Mentalitäten hatte
und in europäischen Dimensionen dachte. Der Begriff „Bewegung“ suggeriert
solch bewusstes Handeln. Doch das Nürnberger Projekt erbrachte dafür keine
Belege. Keiner der Beiträge des Ausstellungskatalogs stellt eine
übernationale Bewegung dar, die einen „europäischen Gedanken“ lebte.
Es sind im Gegenteil mehr oder weniger voneinander getrennte nationale
Bewegungen, in denen sich Künstler für eine regionalistische Kunst stark
machen. Diese soll nationale Eigenarten zum Ausdruck bringen und für den
nationalen Habitus identitätsstiftende Landschaften zeigen. Eine
internationale Verbreitung fanden einzig die dabei entwickelten Techniken
der Pleinair-Malerei und Stilentwicklungen wie der Realismus, Naturalismus
und Impressionismus.
Worpswede war zu Beginn alles andere als ein weltoffener Treffpunkt. Einer
der besten Kenner der Kolonie, der heutige Direktor der Museumslandschaft
Hessen-Kassel, Bernd Küster, bemerkte schon 2001, die „Gründerväter“ hä…
erfolgreich die Abschreckung zuzugswilliger Kollegen betrieben. Als beinahe
hermetischer Kreis wachten sie egoistisch über ihr Malrevier.
Das wollten sie keineswegs mit Konkurrenten teilen. Es war auch Küster, der
darauf hinwies, Worpswede stünde „entwicklungsgeschichtlich am Ende einer
Vielzahl von Gründungen“. Das malerische Programm, das die ersten
Worpsweder 1889 zum Bleiben im Teufelsmoor motivierte, sei längst
abgehandelt gewesen: „Moorlandschaften wurden seit einem halben Jahrhundert
malerisch bestellt, der Naturalismus hatte in allen Kolonien seinen
Höhepunkt überschritten und der Impressionismus in der Freilichtmalerei
bereits eine dominierende Gestalt anzunehmen begonnen“, betont Küster.
Trotzdem sieht man im Landesmuseum Hannover, das zahlreiche Werke der
ersten Worpsweder Künstlergeneration besitzt, in der niedersächsischen
Künstlerkolonie einen „europäischen Modellcharakter“. Hier sei „erstmal…
das Moor als Motiv für die europäische Kunst erschlossen worden. Wie ist
das möglich, wenn Moorlandschaften laut Küster schon Jahrzehnte vorher
Gegenstand der Kunst waren? Dies ist nicht der einzige Widerspruch. Wie
kann das „europäische Modell“ die starke Betonung des „Heimatlichen“ i…
Worpsweder Kunst einschließen, wo sich doch die europäische Idee und die
von deutsch-völkischen, nationalistischen Anschauungen beeinflusste
Heimatkunst ausschließen?
Bis heute hat sich keiner, der die These von Worpswedes „europäischer
Vernetzung“ im späten 19. Jahrhundert vertritt, die Mühe gemacht, eine
detaillierte komparative Studie durchzuführen, zum Beispiel über Worpswede
und Barbizon oder Newlyn.
Auch das Nürnberger Projekt legte dafür nur einen ersten Grundstein. Für
gewöhnlich wird in der Literatur darauf verwiesen, die Worpsweder hätten
die Maler von Barbizon bewundert; Elemente von deren Landschaftsauffassung
und Bauernmalerei hätten sie für sich fruchtbar gemacht. Doch ein
wissenschaftlich fundierter Vergleich würde neben den offensichtlichen
Gemeinsamkeiten wohl auch grundlegende Unterschiede zutage fördern.
Denn ist es nicht erstaunlich, dass die französische (und internationale)
Kunstgeschichtsschreibung im Fall des berühmten Bauernmalers von Barbizon,
Jean-François Millet, den Begriff der Heimatkunst nicht verwendet, während
Fritz Mackensens Bauernmalerei ohne ihn nicht recht verständlich ist?
Sowohl der Franzose als auch der Deutsche, die vom Alter her ein halbes
Jahrhundert trennt, gaben in ihren Bildern den Bauern eine monumentale Form
und idealisierten sie als gottesfürchtige Menschen. Doch beim Worpsweder
Mackensen kommt das Ideal des „nordischen Menschen“ ins Spiel. Das Bild des
Bauern in der modernen Industriegesellschaft, wie es Millet ab Mitte des
19. Jahrhunderts entwirft, unterscheidet sich von dem, das Mackensen ab
Mitte der 1880er-Jahre schafft und ihn und die Worpsweder berühmt macht.
Mackensens Bauerndarstellungen weisen eine direkte Verbindung zu den Ideen
des präfaschistischen Vordenkers, Kulturkritikers und Philosophen Julius
Langbehn auf, der einen kulturpessimistischen Antisemitismus mitbegründete.
Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher“ (1890) war ein Bestseller und wurde
von den Worpsweder Malern sehr geschätzt.
Auch bei der Worpsweder Landschaftsmalerei gibt es entsprechende
ideologische Bezugspunkte. Otto Modersohn setzte sein Kunstideal in
Beziehung zu Langbehns Ansichten. Dem Dichter Rainer Maria Rilke schenkte
er ein Exemplar des Rembrandt-Buches. Rilke wiederum verarbeitete dessen
kulturkritische und nationalistische Ideen in seiner bekannten Monografie
über Worpswede.
Die Frage ist, ob es vergleichbare geistesgeschichtliche Parallelen bei den
Gründerpersönlichkeiten der anderen europäischen Kolonien gibt oder ob
Worpswede als späte Gründung tatsächlich die Ausnahme ist. Auf diese Frage
hat bis heute niemand eine Antwort gegeben.
Bei den aktuellen Jubiläumsvorbereitungen in Worpswede fehlen entschiedene
Hinweise auf die nationalistische Rezeption der alten Worpsweder, die den
vaterländischen Charakter, nicht die Modernität betonte. Paul
Schultze-Naumburg, wichtiger Propagandist der Heimatschutzbewegung,
erklärte sich 1896 den Erfolg der Worpsweder mit dem „direkten Einfluss des
vaterländischen Bodens“. Nationale Kunst habe man die Worpsweder Malerei
genannt, heimatliche Kunst dünkte ihm angemessener, weil ihre Intimität ein
Resultat der „Vertrautheit mit der heimatlichen Scholle“ sei.
Die Gründungsgeschichte der Worpsweder Künstlerkolonie in Verbindung mit
einer europäischen Idee zu bringen, trübt den Blick fürs Besondere. Es ist
eine Chimäre, wenn die Kolonie als Teil einer „europäischen Bewegung“
erscheint.
29 Dec 2013
## AUTOREN
Kai Artinger
## TAGS
Sigmund Freud
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