# taz.de -- Novartis-Medikament ist zu teuer: Kolumbien will Zwangslizenz | |
> Glivec heißt das Medikament gegen Blutkrebs, das Kolumbien unter | |
> Zwangslizenz stellen will. Erklärtes Ziel ist es, den Preis drastisch zu | |
> senken. | |
Bild: Krankhausbetten auf dem Flur: Den hohen Medikamentenpreis verkraftet das … | |
HAMBURG taz | Kolumbiens Gesundheitsminister Alejandro Gaviria hat sich in | |
den letzten Monaten viel Respekt erarbeitet. Er versucht, den Schweizer | |
Pharmakonzern Novartis dazu zu zwingen, den Preis für ein wichtiges, unter | |
Patentschutz stehendes Krebsmittel drastisch zu senken. | |
„Er hat ein professionell arbeitendes Team um sich, hat den Konflikt mit | |
Novartis um den Preis des Blutkrebsmedikaments Glivec früh transparent | |
gemacht und stützt sich bei seinem Vorgehen auf internationale Experten“, | |
urteilt Andrea Carolina Reyes. Die Pharmazeutin ist Vizedirektorin von | |
Misión Salud, einer von drei großen Nichtregierungsorganisationen im | |
Gesundheitssektor, die sich für eine bessere Versorgung der armen und | |
marginalisierten Kolumbianer*innen einsetzt. | |
„Teil der Realität in Kolumbien ist, dass die staatlichen Fonds hinten und | |
vorne nicht reichen. Es muss zwischen dem Trinkwasseranschluss für kleine | |
Dörfer und dem Kauf von Medikamenten abgewogen werden“, schildert Reyes ein | |
Grundproblem vor dem die Verantwortlichen nahezu täglich stehen. | |
No hay, gibt es nicht, heißt es dann. Für Gesundheitsminister Alejandro | |
Gaviria ist mit Glivec eine Linie überschritten. Derzeit kostet in | |
Kolumbien die Behandlung eines Patienten mit dem Medikament im Schnitt pro | |
Jahr umgerechnet fast 14.000 Euro. Das ist viel zu teuer für das | |
Gesundheitssystem. Deshalb auch hat der Minister die Verhandlungen mit dem | |
Basler Pharmakonzern Novartis persönlich überwacht, dafür gesorgt, dass die | |
wichtigsten Dokumente, darunter Studien und Expertengutachten, online | |
verfügbar sind, um auch Außenstehenden die Position der kolumbianischen | |
Regierung klar zu machen. | |
Die ist auf dem besten Weg, für einen Präzedenzfall zu sorgen, denn sie hat | |
im Einklang mit den Bestimmungen des Abkommens über geistiges Eigentum | |
(Trips) den Zugang zum Wirkstoff Imatinib als im nationalen Interesse | |
deklariert. „Dies ist der erste Schritt, um in Kolumbien eine Zwangslizenz | |
für den Wirkstoff zu erhalten, die es wiederum ermöglicht, den Preis des | |
Medikaments zu senken“, so Frau Reyes. | |
Gesundheitsminister Gaviria geht davon aus, dass der Preis für Glivec in | |
Kolumbien um vierzig bis fünfzig Prozent fallen wird, und er weiß genau, | |
dass die internationalen Pharmakonzerne das kolumbianische Vorgehen genau | |
beobachten. „Sie fürchten, dass das Beispiel in der Region Schule machen | |
könnte“, so der Minister auf einer Pressekonferenz am Dienstag vergangener | |
Woche. | |
An dem Tag unterzeichnete der 51-jährige Ökonom die Verordnung für eine | |
Zwangslizenz. Zehn Tage haben die Experten aus dem Gesundheits- und | |
Justizsektor, darunter auch Misión Salud nun Zeit, um den Schritt des | |
Ministers zu kommentieren und Modifizierungen zu ermöglichen. Danach wird | |
die Verordnung, die schon auf der Homepage des Gesundheitsministers | |
einsehbar ist, rechtskräftig. | |
## Gesucht wird ein akzeptabler Preis | |
Leitlinie des Ministers ist dabei ein Mittelweg, denn Gaviria versucht | |
nicht das in Kolumbien auf dem Rechtsweg eingeklagte und seit 2012 gültige | |
Patent von Novartis für den Wirkstoff auszuhebeln und so den Weg für | |
billigere Generika freizumachen. Die kosten rund zwanzig Prozent des | |
Preises des Originalpräparats von Novartis und werden unter anderem in | |
Indien produziert. | |
Der Minister tritt dafür ein, dass unter der Zwangslizenz ein Preis | |
ausgehandelt wird, der für beide Seiten tragbar ist. Dafür hat er eine | |
Studie anfertigen lassen, die ebenfalls online zugänglich ist. Darauf | |
basierend hat Gaviria in den Verhandlungen mit Novartis einen Preis von 140 | |
Peso pro Milligramm des Wirkstoffs vorgeschlagen. Das ist etwas weniger als | |
die Hälfte dessen, was Novartis derzeit pro Milligramm erhält (324 Peso – | |
umgerechnet 0,10 Euro), aber deutlich mehr als die 68 Peso pro Milligramm, | |
die die Generika kosten. | |
Dieser Kompromissvorschlag wurde jedoch von den Verantwortlichen bei | |
Novartis ausgeschlagen. Novartis’ Position ist, dass „die Feststellung | |
eines öffentlichen Interesses zur Senkung des Preises von Glivec keine | |
Lösung ist“, schreibt Patrick Barth, Presseverantwortlicher des | |
Pharmakonzerns auf Anfrage der taz. Novartis argumentiert, dass der Preis | |
für Glivec in Kolumbien ohnehin schon zu den „niedrigsten weltweit“ zählt. | |
Zudem argumentiert Barth, dass die Feststellung eines öffentlichen | |
Interesses und die Verhängung von Zwangslizenzen auf außergewöhnliche | |
Umstände beschränkt sein müssen. Die seien in Kolumbien nicht gegeben. | |
## Es gibt ein Recht auf Zwangslizenzen | |
Das sieht der Gesundheitsexperte Patrick Durisch von der Schweizer | |
Nichtregierungsorganisation „Erklärung von Bern“, die sich für fairen | |
Handel engagiert, anders. „Die Länder haben das Recht, Zwangslizenzen zu | |
verhängen. Das ist sowohl im Abkommen für intellektuelle Eigentumsrechte | |
(Trips) als auch in der Doha-Erklärung der Welthandelsorganisation fixiert. | |
Es ist nicht legitim, Länder, die diesen Mechanismus nun ziehen, unter | |
Druck zu setzen.“ | |
Das hat die Schweiz mit einem Brief aus dem Wirtschaftsministerium im | |
August 2015 getan und auch in den USA sind Pharmalobbyisten aktiv, um Druck | |
auf Kolumbiens Regierung aufzubauen. Davon hat sich Gesundheitsminister | |
Alejandro Gaviria nicht beeindrucken lassen. Er hat die entsprechenden | |
Schreiben öffentlich gemacht, sich Expertise von internationalen | |
Rechtsexperten geholt, die sein Vorgehen als rechtens definieren, und hat | |
die Rückendeckung von Präsident Juan Manuel Santos. | |
Ungewöhnlich, denn Santos gilt alles andere als unternehmenskritisch. Doch | |
er weiß, was er an Alejandro Gaviria hat, urteilt Andrea Carolina Reyes. | |
Der gilt als umsichtiger, konsequent agierender Politiker, und auf solche | |
kann Kolumbien im Kontext der anstehenden Friedensverhandlungen nicht | |
verzichten. | |
Für Novartis und die internationale Pharmalobby ist das eine ungewohnte | |
Herausforderung – für Länder mit geringem und mittlerem Einkommen wie Peru | |
oder Thailand ein Beispiel. | |
26 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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