# taz.de -- Pharma-Patentrechte in Indien: Weltapotheke für die Mittelschicht | |
> Indien erlaubt Generika. Während westliche Konzerne murren, jubeln | |
> Hilfsorganisationen. Doch den Armen des Landes hilft das nicht. | |
Bild: Kaum bezahlbar für die Armen: Wer in Indien etwa die Generika-Version de… | |
DEHLI taz | Im Streit um [1][Patentrechte in der indischen Pharmaindustrie] | |
gibt es offenbar viele westliche Verlierer. Auch [2][Tage nach dem Urteil | |
des Obersten indischen Gerichtshofes], das zu Wochenbeginn eine Patentklage | |
des schweizerischen Pharmakonzern Novartis abgewiesen hatte, hielt die | |
verbitterte Kritik an dem Richterspruch an. „Die Entscheidung gegen | |
Patentrechte in Indien wird das Geschäftsklima negativ beeinflussen“, | |
beschwerte sich die US-amerikanische Handelskammer in Indien. Schon droht | |
die Kammer mit weniger US-Investitionen in Indien. | |
Doch die Kritik kommt nur aus dem Westen. In Indien herrscht dagegen seit | |
dem Urteil Jubelstimmung in der Pharmabranche. Weil die Richter sich | |
weigerten, das Patent für das Blutkrebsmedikament Glivec von Novartis | |
anzuerkennen, können indische Unternehmen das Medikament nun ohne legale | |
Sorgen als billige Generika herstellen. Generika sind in Indien | |
weitverbreitete Nachahmerpräparate, die sich in der Wirkung nicht | |
unterscheiden. „Indien kann nun weiterhin bezahlbare Hochqualitätsmedizin | |
produzieren. Davon werden Patienten in aller Welt profitieren“, frohlockte | |
Yusuf Hamied, Vorstandschef des indischen Pharmaherstellers Cipla. | |
Cipla zählt zu den größten Generikaherstellern in Indien und hatte schon | |
vor vier Jahren einen Patentstreit um das Aids-Medikament Tenofovir gegen | |
das US-Biotechnologie-Unternehmen Gilead gewonnen. Seit Jahren liefert | |
Cipla billige Aids- und Krebs-Generika in alle Welt und ist damit eines der | |
Unternehmen, das Indien den Ruf eingebracht hat, „Apotheke der Welt“ | |
(Cipla-Chef Hamied) zu sein. | |
Doch auch die Nachahmer-Medikamente sind nicht kostenlos. Wer in Indien | |
etwa die Generika-Version des Krebsmittel Glivec einnimmt, muss dafür im | |
Monat umgerechnet 120 Euro aufbringen. Das Originalpräparat kostet zwar das | |
Zehnfache und ist damit nur für die Oberschicht erschwinglich. Doch auch | |
Cipla-Kunden zählen in Indien und andern Schwellenländern in der Regel | |
nicht zu den Armen, sondern stammen aus der Mittelschicht. | |
## Sinkende Ausgaben in den USA | |
Ebendas aber macht die indische Pharmaindustrie stark. Denn gerade die | |
Mittelschicht-Kunden der Schwellenländer geben immer mehr Geld für | |
Medikamente aus. Hingegen sinken zum Beispiel die Medikamenten-Ausgaben in | |
der USA, wo die westliche Pharmaindustrie bislang ein Drittel ihres | |
weltweiten Umsatzes bestreitet. Langfristig sind deshalb die | |
Generika-Kunden in den Schwellenländern auch für westliche Konzerne | |
interessant. Doch noch trennen sie Welten voneinander. | |
Das zeigten auch die öffentlichen Reaktionen auf das Novartis-Urteil in | |
Indien: Die Medien, deren Konsumenten in Indien ebenfalls hauptsächlich der | |
Mittelschicht entstammen, feierten den Richterspruch als Sieg über das | |
Preisdiktat der internationalen Konzerne. „Ein gerechtes Rezept“, titelte | |
die führende indische Tageszeitung Hindu. | |
Dabei offenbarte sich exemplarisch, wie dünn der Bund zwischen westlichen | |
Unternehmen und ihrer Kundschaft in den Schwellenländern sein kann. | |
Einerseits verlangen Letztere sichere Markenprodukte. Andererseits | |
ergreifen sie jede Chance, den großen westlichen Markennamen abzuschwören, | |
wenn sich glaubwürdige Alternativen auftun. Genau diese Glaubwürdigkeit | |
aber verschafften die indischen Richter jetzt den heimischen | |
Generika-Herstellern. | |
## Lob für die Richter | |
Auch im Westen macht deren Erfolg längst nicht alle unglücklich. Denn fast | |
sämtliche großen Hilfsorganisationen sind auf Generika angewiesen. Vom | |
Roten Kreuz über Ärzte ohne Grenzen bis Medico International: Die Sprecher | |
dieser Organisationen lobten die indischen Richter, als wären sie ihre | |
Verbündeten im Kampf gegen das Elend. | |
Das Lob ist nachvollziehbar: Ohne Generika müssten die Hilfsorganisationen | |
viele ihrer Programme absagen. Das gilt auch für den von den G-8-Staaten | |
eingerichteten Global Fund, der mit Geldern von Regierungen, Stiftungen und | |
Firmen weltweit Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und Malaria bekämpft. | |
Allen voran in Indien aber entsteht so die Gefahr, dass die Regierung in | |
der Bereitstellung von Generika den Ersatz für eine aktive staatliche | |
Gesundheitspolitik sieht. Nicht zufällig gibt bisher kaum ein Land auf der | |
Welt weniger für Gesundheitskosten aus: Bis 2012 lag ihr Anteil in Indien | |
bei nur 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts; in China ist er immerhin | |
doppelt so hoch. | |
Da lässt sich die Lage leicht mit dem Gerede von der Weltapotheke | |
schönreden. In Wirklichkeit sind die allermeisten Inder zu arm, um | |
überhaupt Medikamente zu beziehen. Wenn schon, hilft ihnen vor allem die | |
einheimische Ayurveda-Medizin. Ihre Kräuter sind oft noch wesentlich | |
billiger als Generika. | |
5 Apr 2013 | |
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## AUTOREN | |
Georg Blume | |
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