| # taz.de -- Sinn und Zweck von Kinderspielplätzen: Momente des Drehtaumels | |
| > Freiräume, pädagogische Konzepte, Sicherheitsvorschriften: Moderne | |
| > Kinderspielplätze sind vergleichsweise wenig erforscht. | |
| Bild: Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den M… | |
| Man trifft selten junge Eltern, die sich nicht in einer Frage einig sind, | |
| nämlich dass es sehr langweilig sein kann, seine Kinder auf Spielplätzen zu | |
| beaufsichtigen. | |
| Während man am Rand sitzt und hofft, dass die eigenen Kinder keine anderen | |
| Kinder schubsen, oder von ihnen geschubst werden, vertreibt man sich die | |
| Zeit mit dem Betrachten der Geräte: Gibt es irgendetwas Besonderes zu | |
| sehen, oder wieder nur die „4S“: sandbox, see-saw, slide und swing? Warum | |
| wird aus Holz immer so krumm und schief gebaut, als müssten Kinder vor dem | |
| rechten Winkel beschützt werden, offenbar dem Inbegriff der freudlosen | |
| Erwachsenenwelt? Wer entwickelt und baut eigentlich Spielgeräte, wer | |
| entscheidet darüber, welche aufgestellt werden? Und wo sind die Geräte aus | |
| der eigenen Kindheit geblieben? | |
| Täuscht der Eindruck, dass Spielplätze sich immer ähnlicher werden? | |
| Kürzlich lief in der Kunsthalle Zürich die Ausstellung „The Playground | |
| Project“, die reiches Material aus der Vergangenheit präsentierte. Dass | |
| sich für die Spielplatzforschung eine Kunstinstitution zuständig fühlt, | |
| wird sofort verständlich, wenn man den Katalog zur Ausstellung von Gabriela | |
| Burkhalter bewundert. Die Politologin und Raumplanerin aus Basel, [1][die | |
| ein Online-Archiv zur Geschichte des Spielplatzes betreibt], hat | |
| historisches Bildmaterial gesammelt, das den Spielplatz als zentralen, mit | |
| Bedeutung aufgeladenen Ort der modernen Stadt erscheinen lässt, der aber | |
| vergleichsweise wenig dokumentiert und erforscht ist. (Es ist interessant, | |
| dass wohl jeder von uns präzise Erinnerungen an Spielplätze seiner Kindheit | |
| hat, dass diese aber, da sie nicht als Teil des kulturellen Erbes gelten, | |
| in der Regel nicht mehr existieren, oft gibt es nicht einmal Fotos davon.) | |
| Spielplätze sind Nebenprodukte der industrialisierten Stadt des 20. | |
| Jahrhunderts, auf dem Dorf brauchte man sie nicht. Erst die Enge der | |
| Wohnverhältnisse und die Tatsache, dass viele Arbeiterkinder tagsüber | |
| unbeaufsichtigt waren, machte Rückzugsräume notwendig. Dass man sie | |
| braucht, zeigt, dass den Kindern ihre eigentlichen Spielräume verloren | |
| gehen, denn Kinder besitzen die Fähigkeit, sich jede Umgebung für das Spiel | |
| anzueignen. Wie Mitsuru Senda, Architekt aus Tokyo, schreibt: „Diese | |
| aufregenden Erfahrungen in natürlicher Umgebung; das Vergnügen, in den | |
| Feldern herumzurennen, die Vertrautheit der Straßen, die Freiheit des | |
| Schrottplatzes und das Vergnügen des Versteckens.“ | |
| ## Utopischer Gehalt von Spielen | |
| Er hat ganze Spielumgebungen entworfen, mit kreisförmigen Wegen, mit | |
| Elementen von starker Symbolik (Aussichtspunkte, Verstecke, Abkürzungen, | |
| Treffpunkte), die diese Erfahrungen ermöglichen sollen. Das klingt, als sei | |
| der Spielplatz ein Ersatz für etwas, was den Kindern genommen wurde. In | |
| einer idealen Gesellschaft bräuchten wir vielleicht gar keine Spielplätze | |
| mehr, aber im neoliberalen Kapitalismus mit dem Dogma der maximalen | |
| Selbstausbeutung bis in die Freizeit, bekommt das Spiel einen geradezu | |
| utopischen Gehalt. Der Spielplatz soll die Wunden der Erwachsenenwelt | |
| heilen. | |
| Vielleicht ist es aber schon falsch, so zu denken, denn warum müssen | |
| Spielplätze vom Stadtraum abgegrenzt werden? In Amsterdam hat man nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg Spielplätze gebaut, bei denen die spielenden Kinder Teil | |
| der Stadt blieben. Es entstanden zahlreiche Inseln, mit manchmal nur einem | |
| einzigen Spielgerät. Warum sollte die Stadt nicht selbst zum Spielplatz | |
| werden? | |
| Was heute selbstverständlich scheint, die Präsenz von Sand, Wippe, Rutsche | |
| und Schaukel, ist erst das Ende einer Entwicklung. Schon die Qualitäten des | |
| Sands musste erst entdeckt werden. Der dänische Lehrer Hans Dragehjelm hat | |
| 1909 ein Buch veröffentlicht: „Das Spielen der Kinder im Sande“, in dem er | |
| Sand als „größten Pädagogen“ bezeichnete. (Er hatte in Berlin | |
| Sandspielplätze studiert, die von Kaiserin Augusta im Tiergarten nach | |
| Londoner Vorbild angeregt worden waren.) | |
| Kinder lieben es, mit dem Gleichgewicht zu spielen, sie lieben den | |
| Drehtaumel, den Moment der Schwerelosigkeit beim Abheben auf der Wippe, das | |
| Kitzeln im Bauch beim Schaukeln. Die Rutsche kann man leicht als Symbol für | |
| den Geburtsvorgang deuten, wie eine Termitenkönigin thront sie in der Mitte | |
| des Spielplatzes und spuckt ständig neue Kinder aus. | |
| ## Abenteuer Gerümpelspielplatz | |
| Im dänischen Emdrup wurde 1943, mitten im Krieg, mitten in einer | |
| Wohnsiedlung, der weltweit erste Gerümpelspielplatz („Skrammellegedeplads“) | |
| gebaut, Vorläufer aller Abenteuerspielplätze. Wenn man die Kinder auf den | |
| Bildern des Katalogs oder des Online-Archivs sieht, wie sie einen | |
| selbstgezimmerten Holzturm hochklettern, wird einem schwindlig, das würden | |
| Eltern heute nicht mehr erlauben. Seltsamerweise steigt das | |
| Sicherheitsbedürfnis ja mit der Sicherheit, die eine Gesellschaft bietet. | |
| Wir möchten nicht, dass unseren Kindern etwas passiert. Im Gegenzug | |
| schwärmen wir vom unbeaufsichtigten Spielen in unserer Kindheit, von | |
| Abenteuern auf Baustellen (oder gar in Kriegstrümmern) und aufgeschürften | |
| Knien. | |
| Das Sicherheitsbedürfnis und bestimmte DIN-Normen haben das Bild der | |
| Spielplätze seit den 80ern verändert. (Wahrscheinlich sind diese Normen | |
| auch für das weitgehende Verschwinden fast sämtlicher Metallspielgeräte in | |
| Ostdeutschland nach der Wende verantwortlich.) Dabei müssen Spielplätze | |
| eine Balance zwischen Sicherheitsnormen und kreativem Spiel finden, | |
| kalkuliertes Risiko gehört zum Lernprozess dazu. Es ist aber heute eher | |
| möglich, das unter dem Label „Kunst“ zuzulassen. | |
| Schon sehr früh wurden übrigens von Gartenbauämtern Künstler mit der | |
| Entwicklung von Spielskulpturen beauftragt, durch die man klettern und von | |
| denen man rutschen konnte. Das war in der Schweiz der Fall, in | |
| Philadelphia, aber auch in Wien, wo das Stadtgartenamt wundervolle | |
| Elefantenrutschen aufstellen ließ. Diese Gebrauchskunst war sogar als Weg | |
| gedacht, die Bevölkerung mit abstrakter Kunst vertraut zu machen. Besonders | |
| schön sind die von Egon Møller-Nielsen entworfenen Spielplatzskulpturen, | |
| angefangen mit „Tufsen“, einer 1949 für den Stockholmer Stadtpark | |
| entworfenen abstrakten Betonspielskulptur, die an eine Okarina erinnert, | |
| amorph, mit Löchern zum Durchklettern und Stufen zum Hochsteigen. „Kleine | |
| Kinder haben nie verstehen können, warum sie nicht auf Skulpturen | |
| herumklettern dürfen.“ | |
| Jede Epoche hat dem Spielplatz auf ihre eigene Weise die Aufgabe | |
| zugewiesen, die Wunden zu heilen, die die Erwachsenenwelt den Kindern | |
| zufügte. Mit 68 kam ein neues Paradigma für das kindliche Spiel auf: Man | |
| wollte Kreativität und Selbstbestimmung fördern, Spielplätze sollten nicht | |
| zu viel vorgeben, sie sollten sozusagen „selbstverwaltet“ sein. Hier und da | |
| gibt es heute noch Abenteuerspielplätze, Überlebende dieser Zeit. | |
| ## Experimente mit Recyclingmaterial | |
| Die Groupe Ludic führte in den 60ern und 70ern in Frankreich in den neu | |
| entstehenden Trabantenstädte soziale Experimente durch, | |
| Architekturstudenten bastelten gemeinsam mit Kindern an Spielräumen, dabei | |
| wurde Recyclingmaterial benutzt, es entstanden modulare Lösungen, der | |
| Spielplatz musste nichts Statisches sein, die Geräte konnten von den | |
| Kindern selbst aus Grundelementen kombiniert werden. Allerdings konnten mit | |
| solchen Aktionen die Probleme, die die französische Wohnungs- und | |
| Sozialpolitik erzeugte, nicht gelöst werden. | |
| Die Franzosen waren nicht die Einzigen, die mit Recyclingmaterial | |
| arbeiteten. Ricardo Dalisi hat in Italien im Geist einer „Tecnica Povera“ | |
| mit billigem Material gearbeitet, es ging darum, in Selbstermächtigung | |
| Design zu schaffen. Technik von unten, was man leicht als Protest gegen die | |
| Konsumwelt deuten kann (ja, es gab eine Zeit, in der das Kind als „Vater | |
| des Menschen“ galt und nicht nur als Konsument). | |
| Dass neue Geräte zur Verfügung gestellt werden, dürfte weltweit ja auch die | |
| Ausnahme sein, die meisten Kinder spielen heute vermutlich notgedrungen mit | |
| Recyclingmaterial, Reifen, Paletten, Getränkekisten. Es ist nicht | |
| anzunehmen, dass sie dabei weniger Spaß haben, im Gegenteil, das Vergnügen | |
| der Kinder am Spiel in freier Umgebung, mit Dingen, die nie für das Spiel | |
| gedacht waren, stellt immer eine Herausforderung für Spielplatzgestalter | |
| dar, die sich an der Utopie eines Spielplatzes abarbeiten, der nie | |
| langweilig wird. | |
| Einer ganz eigenen Ästhetik war dabei der in New York lebende Japaner Isamu | |
| Noguchi verpflichtet, der dem berühmten Parkdirektor Robert Moses | |
| (vergeblich) die Idee eines Spielplatzes ohne Spielgeräte vorschlug. Allein | |
| die Gestaltung des Geländes sollte unerschöpfliche Spielmöglichkeiten | |
| bieten. Gebaut hat er so etwas schließlich für das National Children’s Land | |
| in Yokohama. | |
| Bleibt die Frage nach der Herkunft bestimmter Spielgeräte, manches davon | |
| kann das Buch aufklären. Man erfährt zum Beispiel etwas über den Erfinder | |
| des „Swing Ring“, eines Seilklettergeräts, das sich um die eigene Achse | |
| dreht, man kennt es von unseren Spielplätzen. Erfunden wurde es 1953 von | |
| Joseph Brown, einem ehemaligen Profiboxer und späteren Künstler und | |
| Professor an der Princeton University. Und auf dem Bild von einem Züricher | |
| Spielplatz von 1951 sieht man staunend den Kletterpilz, an den sich in | |
| Ostdeutschland jedes Kind erinnert. Eine Art Rakete aus nach oben größer | |
| werdenden Metallringen, an denen man hochklettern konnte, darüber ein | |
| Blechdach, das einem bei Regen Schutz bot, und unter dem man die ersten | |
| Zigaretten rauchte. Wie kam dieses Gerät aus der Schweiz nach | |
| Ostdeutschland? | |
| 18 Jun 2016 | |
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| [1] http://www.architekturfuerkinder.ch | |
| ## AUTOREN | |
| Jochen Schmidt | |
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