| # taz.de -- Zum Menschenbild der Neuen Rechten: Der Einzelne hat kein Recht | |
| > Gegen Menschenrechte und Globalisierung: Micha Brumlik sprach im | |
| > Literaturhaus Berlin über „Das alte Denken der Neuen Rechten“. | |
| Bild: Aufmarsch der Identitären am 17. Juni in Berlin | |
| Die Völker sollen in ihren angestammten Kulturräumen bleiben. Auf diese | |
| ethnopluralistische These könnte man die Ideologie der neuen Rechten | |
| reduzieren, dann würde man allerdings Details verpassen, die auf der Suche | |
| nach einer politischen Antwort auf das Programm von Parteien wie der AfD | |
| wichtig werden könnten. | |
| Zu diesem Schluss konnte man kommen, nachdem der Erziehungswissenschaftler | |
| und taz-Kolumnist Micha Brumlik am Freitagabend im überfüllten Kaminzimmer | |
| des Literaturhauses Berlin Rhetorik, Ideologie und Theorie, kurz: „das alte | |
| Denken der Neuen Rechten“ analysiert hatte. TOP B3rlin und die | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten ihn als ersten Redner der Reihe „Rhetorik | |
| der Reaktion“ eingeladen. | |
| Brumlik zeigte, dass die ethnopluralistische Idee nicht nur im Denken Carl | |
| Schmitts, sondern auch in der Philosophie Martin Heideggers Anschluss | |
| finden kann. Heidegger argumentierte in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ | |
| völkisch und nationalsozialistisch: Das „Geschehen des Volkes“ bezeichnete | |
| er als „Geschick“, das sich nicht bloß aus einzelnen Schicksalen | |
| zusammensetze, „sowenig als das Miteinandersein als ein Zusammenkommen | |
| mehrerer Subjekte begriffen werden kann. | |
| Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für | |
| bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im vorhinein schon geleitet.“ | |
| Erst „in der Mitteilung und im Kampf“ werde die Macht des Geschickes frei. | |
| ## Es gibt keine Menschen | |
| Mit Heidegger einig sind sich die Theoretiker der Identitären Bewegung (die | |
| wenige Stunden vor Brumliks Vortrag durch Berlin-Mitte marschiert war), | |
| dass Subjekte eigentlich nur relativ zu ihrer Generation und ihrem Volk | |
| existieren. „Das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner | |
| 'Generation’ macht das volle, eigentliche Geschehen des Daseins aus“, | |
| schrieb Heidegger. Deswegen können Einzelne sich auch nicht auf ihre | |
| universellen Rechte berufen – die gibt es für die neuen Rechten schlicht | |
| nicht: „Der Sammelbegriff ‚Mensch‘ ist in seiner identitären Bedeutsamke… | |
| nur für die jeweiligen Völker angebracht“, sagt etwa Walter Spatz. | |
| Die Identitären treten aber nicht nur mit einem antiuniversalistischen und | |
| völkischen, sondern auch einem antikapitalistischen und antiglobalistischen | |
| Programm an, wobei sie sich auch auf Motive eines linken Diskurses | |
| beziehen: Wahre Kultur sei homogen und raumbezogen, argumentieren die | |
| Identitären, Digitalisierung und Globalisierung entfremdeten die Menschen | |
| ihrem Leben. Im Entfremdungsmotiv könne man ein Echo der Frankfurter Schule | |
| hören, meinte Brumlik. | |
| Weiter wird behauptet, die Massenmigration werde vom Kapital organisiert, | |
| das Interesse an billigen Arbeitskräften habe. Daher finde gerade ein | |
| kapitalgesteuerter „großer Austausch“ statt. Überhaupt: Das Kapital | |
| verwüste die Erde, meinen die Identitären – und das hätten Marx und Engels | |
| auch schon so gesehen, sagte Brumlik trocken. Der Identitäre versteht sich | |
| daher auch als Öko. | |
| ## Was links ist, kann nicht rechts sein | |
| Die vielleicht bitterste Ironie dieser Geschichte ist, dass selbst | |
| Horkheimers und Adornos These von der „Kulturindustrie“ nun Bestandteil der | |
| nur notdürftig verschlüsselten antisemitischen Propaganda gegen die | |
| „angloamerikanisch dominierte Lebensart“, gegen Globalisierung und | |
| „Mediokratie“, also das ganze ominöse „System“, geworden ist. Die | |
| naheliegende Frage aus dem Publikum nach dem Anteil linker Theoreme am | |
| neurechten Denken wurde von einem der Organisatoren aber kurz und | |
| scholastisch abmoderiert: Was links ist, kann nicht rechts sein. | |
| Das ist in mehrfacher Hinsicht ein bisschen kurz gedacht. Brumlik schreibt | |
| in seinem vor kurzem in den „Blättern für deutsche und internationale | |
| Politik“ erschienenem Aufsatz zum Thema: „Gerade weil die Theorien der | |
| identitären Bewegung erhebliche Schnittmengen mit linken Ansichten und | |
| Haltungen zu Kapitalismus, Globalisierung, Hegemonie der USA, | |
| Digitalisierung und Kulturindustrie aufweisen, dürfte es unumgänglich sein, | |
| demgegenüber – im Sinne der Aufklärung – das linke Projekt als ein | |
| menschheitliches, universalistisches zu rekonzipieren und sich darüber klar | |
| zu werden, dass heute, morgen und übermorgen eine linke Politik sich nicht | |
| nur um Europa, sondern um die Welt als Ganzes zu kümmern hat – der | |
| Internationalismus der Linken mithin seine Bewährung in Theorie und Praxis | |
| noch vor sich hat.“ | |
| Man könnte hinzufügen: Gerade weil die Theorien der identitären Bewegung | |
| erhebliche Schnittmengen mit linken Ansichten und Haltungen aufweisen, läge | |
| es nahe, ebendiese Ansichten und Haltungen kritisch danach zu befragen, | |
| inwiefern sie im Widerspruch zum emanzipatorischen Projekt stehen. | |
| ## Links reden, rechts leben | |
| Dass theoretisch, politisch und lebensweltlich an eben dieser heiklen | |
| Stelle etwas im Argen liegt, scheint für Brumlik klar zu sein. Er verwies | |
| auf die Positionen von Oskar Lafonatine und Sahra Wagenknecht, die sich als | |
| Fürsprecher des nationalen Proletariats betätigen, und zitierte Armin | |
| Nassehi. | |
| Der Soziologe hat in seinem jüngsten Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit. | |
| Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz | |
| anders beschrieben werden muss“ einen Widerspruch umrissen, der von Rechten | |
| erfolgreich skandalisiert wird. Nassehi hat dafür die treffende Formel | |
| „Links reden, rechts leben“ gefunden. Etwa: Für Integration sein, aber die | |
| eigenen Kinder in eine homogene biodeutsche Schule schicken. „Ein gewisses | |
| Problem gibt es da schon“, kommentiert Brumlik. | |
| ## Probleme mit Fremdem | |
| Warum aber ist die Rhetorik der Rechten darüber hinaus so erfolgreich? | |
| Brumlik vermutet, dass es der Appell an das Eigene in Abgrenzung zum | |
| Fremden ist. Diese Frage müsse man ernst nehmen. Brumlik verweist auf den | |
| linken Denker Ernst Bloch, der sich intensiv mit ihr auseinandergesetzt | |
| habe. | |
| Dass auch hier die Rechte mit gezielter Unklarheit arbeitet, zeigte Brumlik | |
| mit einem Zitat von AfD-Vizesprecher Alexander Gauland, der vor kurzem der | |
| „Jungen Freiheit“ sagte: „Tatsache ist, dass sich Menschen wenn möglich | |
| gerne mit Vertrautem umgeben und deshalb oft Probleme mit Fremdem haben. | |
| Ich meine, die Menschen haben grundsätzlich auf diese Ablehnung von Fremdem | |
| ein Recht.“ Das Recht auf ein Gefühl könne man wohl niemandem absprechen, | |
| meint Brumlik, ein politisches Recht daraus aber nicht ableiten. | |
| 21 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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