| # taz.de -- AfD-Nachwuchs in Berlin: Am rechten Stammtisch | |
| > Der Jugendverband der Rechtspopulisten sucht dringend Mitglieder. Die | |
| > Treffs sind nicht öffentlich. Worüber und wie wird da gesprochen? Ein | |
| > Besuch. | |
| Bild: Gesoffen wird immer, geredet auch: So schaut's aus beim AfD-Nachwuchs | |
| „Wurdest du schon mal angetanzt?“, fragt mich Marc. Er meint, ob ich | |
| auch schon einmal am Kotti oder sonst wo von mehreren arabischen | |
| Männern umzingelt, betatscht und beklaut wurde. Die anderen sieben | |
| Männer am Tisch schauen mich fragend und wohlwollend an. Sie möchten | |
| wissen, ob ich Angst habe vor Flüchtlingen. Ob ich mich als Deutsche | |
| fremd fühle; so wie sie selbst im „eigenen Land“. Nein, fühle ich mich | |
| nicht. | |
| Vielleicht folgen deswegen an diesem Abend noch unzählige | |
| Anekdoten von Flüchtlingen. Flüchtlinge, die kriminell sind, die | |
| klauen, und Frauen auf der Straße mit Heiratsanträgen | |
| drangsalieren. Flüchtlinge, die aggressiv sind, die „Hurensohn“ | |
| aus hupenden Autos brüllen. Diese Geschichten machen mir | |
| tatsächlich Angst, Angst vor dem, was sie selbst in der Gesellschaft | |
| auslösen können. Willkommen am Stammtisch der jungen AfD. | |
| Die junge Berliner Garde der AfD trifft sich einmal im Monat. An einem | |
| Abend im Mai sitzen wir versteckt ganz hinten in einem Café im Westen | |
| Berlins. Dunkelbraunes Mobiliar, rote Lederbänke, schummriges | |
| Licht. Es darf nicht geraucht werden; die Luft klebt. | |
| Um einen Einblick in die Runde zu bekommen, habe ich mich unter | |
| falschem Namen für den Stammtisch angemeldet. Das war nicht schwer, | |
| obwohl die Gruppe den Ort geheim hält. „Nicht, dass hier auch die | |
| Antifa auftaucht“, sagt Marc, der mich am Stammtisch begrüßt. Jetzt | |
| sitze ich zwischen sieben Männern, alle um die 30 Jahre alt. Ich trage | |
| eine nette Bluse. Zwischen Marc und Jannik; zwischen lila Hemd und | |
| Jackett; zwischen geschniegeltem Haar und Poloshirt: falle ich nicht | |
| auf. | |
| Der AfD-Jugendverband Junge Alternative in Berlin hat nur 35 | |
| Mitglieder – ist aber für die Wahl im September von großer | |
| Bedeutung. Vier der Mitglieder stehen auf den vorderen | |
| Listenplätzen der Mutterpartei AfD. So auch Marc. Nach aktuellen | |
| Umfragen kommt die AfD auf 15 Prozent. Das entspricht etwa 24 von 149 | |
| Plätzen im Abgeordnetenhaus. Damit würden alle vier Männer der | |
| jungen Alternativen zusammen mit 20 AfDlern mit der Wahl ins | |
| Abgeordnetenhaus einziehen. | |
| Die Mitglieder des Partei-Nachwuchses sind hauptsächlich männlich | |
| und um die 30 Jahre alt; die Altersgrenze liegt bei 35. Nur fünf Frauen | |
| gehören zu der jungen AfD. Warum so wenige? Sieht die junge AfD die | |
| Frau vor allem in der Rolle der Hausfrau und Mutter? Wie will die | |
| Partei, die sich letztlich als Vertreterin einer als deutsch | |
| definierten, unterdrückten Mehrheit sieht, weibliche | |
| Wählerstimmen bekommen? | |
| Ich bin die einzige Frau am Stammtisch. So wie fast alle bestelle ich | |
| mir ein Bier. Einer isst Schnitzel mit Pommes, er ist mit 16 Jahren das | |
| Küken in der Runde. Ein anderer erzählt, dass er einen Onlineshop | |
| betreibt. Dass er dort T-Shirts mit der Aufschrift „My dick says, fuck | |
| gender“ verkauft, erzählt er nicht. Das sehe ich später im Internet. | |
| Er wollte mich wohl nicht provozieren. | |
| Die Provokationen der jungen AfD sind kalkuliert. Sie sollen | |
| Grenzen des Sagbaren verschieben. Aber hier am Tisch möchte niemand | |
| Streit anzetteln. Hier geht es darum, sich gegenseitig zuzustimmen | |
| und die „Sorgen über die Gesellschaft“, von denen viele Anekdoten | |
| handeln, zu verstärken. Darum, ein „Wir gegen die“-Gefühl zu | |
| erzeugen. Bekannte Taktik: die Opferinszenierung. | |
| Marc ergreift das Wort: „Die AfD braucht unbedingt selbstbewusste | |
| Frauen.“ Er schaut mich neugierig an. Ich spüre seine Blicke nicht nur | |
| auf meinem Gesicht, sondern dezent, aber immer wieder auch auf meinem | |
| Ausschnitt. „Wir hätten auch noch ’n Vorstandsposten“, sagt Jannik, | |
| selbst im Vorstand der jungen AfD. Dieser Frauenposten müsse aber | |
| noch geschaffen werden. Es folgt ein Testosteron geladenes | |
| „Hohoho“ in der Runde. | |
| Die Männer sind sich einig: Frauen sind warmherzig und wunderbar. | |
| Allerdings ein bisschen schwach und inkompetent – nichts für das | |
| Ellenbogen-Geschäft der Politik. „Die wollen alle nicht in die | |
| Politik“, sagt Jannick. „Außer die Petry, die fürchten dafür alle umso | |
| mehr“, sagt er über die bekannte AfD-Chefin. | |
| In allen Jungparteien Berlins seien Frauen deutlich in der | |
| Unterzahl, behauptet Marc. Das stimmt nicht: Bei den Jusos zum | |
| Beispiel sind 45 Prozent der Mitglieder Frauen. Die Männerdominanz | |
| strukturell zu durchbrechen sei schwierig, sagt Marc. Er ist bemüht, | |
| mich nicht zu vergraulen. Am Stammtisch sollen Neue für die Partei | |
| gewonnen werden. Für eine Frauenquote sei er dennoch nicht – die | |
| Runde nickt ihm kräftig zu. | |
| Abtreibung soll unter Strafe gestellt werden – das steht im Wahlprogramm | |
| der jungen AfD. „Damit kann ich nichts anfangen“, sage ich und versuche, | |
| dem subtilen Sexismus der Gespräche eine Angriffsfläche zu entlocken. Marc | |
| bügelt den Widerspruch glatt, auch er fände diese Forderung nicht gut. | |
| Niemand am Tisch widerspricht. Aufmerksam geht Marc geschickt auf jeden | |
| Neuen in der Runde ein. Sein Sakko sitzt. Der Blick ist wach. Die Haare | |
| streng zurückgekämmt. Rekrutierung ist die Mission. | |
| ## Klare Abgrenzung zur NPD | |
| Ein CDUler sitzt mit am Tisch. Die Runde möchte den potenziellen Überläufer | |
| für die AfD gewinnen. Zum ersten Mal ist er heute dabei, seinen Namen will | |
| er nicht nennen: „Das ist mir zu heikel. Ich arbeite in einem Ministerium.“ | |
| Unsicher nippt er an einem Cappuccino. Das Wahlprogramm findet er gut und | |
| „gar nicht so radikal wie gedacht“. Auch die Idee, in Schulen jeden Morgen | |
| die Nationalhymne zu singen, sei „nett“. Das steht im Wahlprogramm. | |
| Der CDU-Gast spielt Marc in die Karten. Die junge AfD von Radikalität und | |
| rechter Gewalt abzugrenzen ist auch ihm ein Anliegen: „Hier will niemand, | |
| dass Flüchtlingsheime brennen“, sagt er zu dem CDUler. Das wäre auch eine | |
| Straftat, denke ich und für Marc, der im Herbst gewählt werden will, eine | |
| ungeschickte Aussage. | |
| Zudem sei niemand komplett gegen Flüchtlinge, fügt Marc an. Aber nicht so | |
| viele Flüchtlinge sollten kommen und nur vorübergehend – um „eine | |
| Überfremdung der Straßen“ zu verhindern. Ich denke: Dass eine Million | |
| Menschen 80 Millionen Menschen die Identität rauben könnten, ist schon aus | |
| mathematischen Gründen Unsinn. | |
| Es geht um den Islam, um Integrationsverweigerung und natürlich um | |
| Silvester in Köln. Jannik fürchtet, dass junge, fremde Männer Deutschland | |
| einnehmen würden. Wieder herrscht Einigkeit am Tisch: Alle Flüchtlinge | |
| seien ein Problem, wenn sie in Gruppen auftreten – und das täten sie | |
| ständig. Aber eine Sache ist den Männern am Tisch wichtig: sich von der NPD | |
| abzugrenzen. | |
| „Weiter rechts, als wir schon stehen, will uns keiner haben“, sagt Marc, | |
| „denn rechts von Höcke kommt nur noch die Wand“ fügt er über Björn Höc… | |
| den AfD-Mann aus Thüringen, an. Auch würden Parteiausschlussverfahren gegen | |
| AfDler laufen, die der organisierten rechten Szene zu nah stehen. Sie sind | |
| ja keine pöbelnden dummen Nazis. So auch der Slogan der Jungen | |
| Alternativen: „Verstand statt Ideologie“. | |
| ## Moderat – und gefährlich | |
| Vier Stunden tagt der Stammtisch. Und es zeigt sich: Der Nachwuchs der AfD | |
| gibt sich moderat, ist weder radikal noch rebellisch. Die junge AfD ist | |
| konservativ und spießig. Junge Männer, die Angst haben vor Menschen, die | |
| nicht biodeutsch sind. Die im Geiste der 1950er erzogen sind. Frauen sind | |
| zwar kreativ, aber schutzbedürftig. Sie geben sich zwar Mühe, sind aber für | |
| die Politik eher nicht geeignet. Die Ansichten der jungen Männer sind weder | |
| offensichtlich sexistisch noch rassistisch. | |
| Der Stammtisch fühlt sich an wie ein gemütliches Treffen alter | |
| Schulkameraden zehn Jahre nach dem Abitur. Sie sind keine Menschenfresser, | |
| aber am Ende des Abends nach zigsten Anekdoten über Deutschlands | |
| übereifrige Flüchtlingsaufnahme, als Marc noch einmal betont, dass er sich | |
| von den Medien nicht verstanden fühle, ist das Unwohlsein langsam durch | |
| meinen ganzen Körper gekrochen. Das Subtile ist gefährlich. Das | |
| bürgerlich-konservative Image, das die Jungspunde der AfD von sich | |
| verbreiten, bringt gesellschaftliche Akzeptanz. Akzeptanz dafür, dass sich | |
| menschenfeindliche Haltungen ausbreiten. | |
| Wenn es am Abend des 18. September die erste Hochrechnung zu den | |
| Wahlergebnissen in Berlin gibt, dürften die vier jungen AfDler über den | |
| Einzug ins Parlament jubeln. Sie werden erklären, warum sie nun „besorgte | |
| junge Bürger“ im Abgeordnetenhaus repräsentieren: Weil sie sich wieder | |
| heimisch fühlen möchten in ihren deutschen Straßen. Weil sie sich | |
| ausgenutzt und bedroht fühlen von all den Flüchtlingen. | |
| Ein erschreckendes Szenario. Denn diese Männer haben Macht. Ihre | |
| Ressentiments, ihre Ideen könnten tatsächlich nicht nur in irgendeinem | |
| Café-Hinterzimmer, sondern bald im Abgeordnetenhaus genau so gesagt werden. | |
| 21 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Schmalz | |
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