Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Diskussion um TTIP und Ceta: Abstimmung im Galopp
> Die EU-Kommission könnte versuchen, die Abkommen TTIP und Ceta an den
> Parlamenten der Mitgliedstaaten vorbei beschließen zu lassen.
Bild: Demonstration gegen TTIP in Hannover
Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, sie ist im Europaviertel überall
zu spüren. „Früher hat Handelspolitik ein paar engagierte, gut informierte
Journalisten interessiert“, sagt Handelskommissarin Cecilia Malmström.
„Jetzt haben wir eine emotionale, in einigen Ländern hitzige Debatte.“ In
einem kleinen Seminarraum im riesigen Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der
Europäischen Kommission, empfängt sie am Mittwoch eine Gruppe ausländischer
Journalisten. Sie sind kurzfristig nach Brüssel eingeladen worden, um der
Debatte etwas entgegenzusetzen.
Das scheint dringend nötig: Der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen
TTIP und Ceta nimmt zu. „In manchen Ländern fühle ich mich, als wäre ich
die einzige Person in der ganzen Stadt, die für TTIP ist“, klagt Malmström.
Der öffentliche Protest hat Konsequenzen: Auch die Politik in vielen
EU-Mitgliedstaaten geht auf Distanz zu den Abkommen.
Luxemburgs Parlament hat die Regierung bereits aufgefordert, Ceta die
Zustimmung zu verweigern. In Belgien hat das wallonische Parlament dem
Abkommen eine Absage erteilt. In den Niederlanden könnte es eine
Volksabstimmung geben. In Deutschland drohen die grün regierten Länder mit
einem Veto im Bundesrat. Und in Frankreich äußert Präsident François
Hollande Zweifel.
In Brüssel verfolgen die Verhandler der „Generaldirektion Handel“ diese
Entwicklung mit Wut. Ihre Arbeit der letzten Jahre, die sie als Kampf für
Wohlstand und Wachstum sehen, wird in der Provinz von unwissenden Menschen
mit niederen Motiven zerstört – so empfinden das die meisten. Malmström
äußert sich noch einigermaßen diplomatisch. Neben „populistischen“
Argumenten „ohne jede faktische Grundlage“ gebe es auch konstruktive
Kritik, sagt sie.
## Saftiges Steak, klare Worte
Führende Mitarbeiter der Kommissarin, die namentlich nicht zitiert werden
dürfen, werden in Gesprächen bei saftigen Steaks und gutem Wein deutlicher:
Die Kritiker von TTIP und Ceta würden „pure ideologie“ vertreten, sie seien
getrieben von „Antiamerikanismus“, „Europaskepsis“ und „vollständiger
Risikofeindlichkeit“.
Doch es sind nicht nur die Kritiker, die die Brüsseler Bürokraten wütend
machen. Auch von den nationalen Regierungen sind sie enttäuscht. „Sie
beugen sich dem Populismus, statt ihm entgegenzutreten“, sagt ein führender
Verhandler. Auch Handelskommissarin Malmström greift die Regierungen
ungewöhnlich offen an. „Wir sind es leid, dass die Mitgliedstaaten intern
fordern, dass TTIP so schnell wie möglich verabschiedet wird“, sagt sie mit
bitterem Ton. „Und danach gehen sie zu den Medien und sagen, TTIP ist nicht
wirklich eine gute Idee.“
Dass es über das Abkommen mit den USA in absehbarer Zeit eine Einigung
geben wird, daran zweifeln auch in Brüssel viele. Um so größer ist der
Druck, wenigstens das fertig ausgehandelte Abkommen mit Kanada, das als
Vorbild für TTIP gilt, schnell zu ratifizieren. Damit die nationalen
Parlamente keine Probleme machen können, plant die Kommission eine
Machtprobe mit den Mitgliedstaaten. Sie will Ceta als reines EU-Abkommen
definieren – dann haben die Parlamenten der Mitgliedstaaten nichts zu
melden.
Offiziell will sich die Kommission erst am 5. Juli festlegen. Doch die
internen Aussagen lassen keinen Zweifel daran, wie Brüssel die Sache sieht:
Handel sei schon immer eine reine EU-Angelegenheit gewesen, heißt es da.
Und seit dem Lissabon-Vertrag sei die Gemeinschaft auch für Investitionen
zuständig, das zweite große Thema von Ceta und TTIP. Gutachten, die zur
gegenteiligen Meinung kommen – etwa jenes, das der Bielefelder
Völkerrechtler Franz C. Mayer für das deutsche Wirtschaftsministerium
erstellt hat –, werden als „Einzelmeinung“ zurückgewiesen.
## Politische Kehrtwende?
Auch wenn sie es bestreitet: Sollte die Kommission Ceta und TTIP als reine
EU-Abkommen einstufen, wäre das eine politische Kehrtwende: Malmströms
Amtsvorgänger, der Niederländer Karel de Gucht, hatte noch unmittelbar vor
der EU-Wahl im Interview mit der taz versprochen: „Aufgrund der derzeitigen
Breite des Abkommens halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass nationale
Parlamente wie der Bundestag und der Bundesrat am Ende über TTIP
abstimmen.“ Auch was Ceta angeht, hatte die Kommission den Aussagen der
Handelsminister, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handele, bisher
nicht widersprochen.
Für die Kommission geht es um viel. Entsprechend scharf sind die Geschütze,
die gegen die angebliche Einmischung aufgefahren werden. Den Vorwurf, es
sei undemokratisch, die nationalen Parlamente außen vor zu lassen, weist
Malmström empört zurück. „Wie kann es undemokratisch sein, wenn die
nationalen Regierungen und die demokratisch gewählten Vertreter der EU im
Europaparlament darüber abstimmen werden?“ Eine andere Vertreterin der
Kommission stellt die Legitimation der nationalen und regionalen Parlamente
offen infrage. „Warum sollten wir es zulassen, dass weniger als ein Prozent
der Einwohner der EU alle anderen daran hindert, ein solches Abkommen zu
schließen?“
In dieser Frage kann die Kommissarin auf breite Unterstützung aus dem
Europaparlament vertrauen: Gegen den vermeintlichen Angriff auf die eigenen
Kompetenzen hält Brüssel zusammen. „Ich bin ziemlich genervt von manchen
nationalen Parlamentariern“, wettert etwa der CDU-Europaabgeordnete Daniel
Caspary. Das geht auch an die Adresse seiner eigenen Partei, die im
Bundestag über Ceta abstimmen will. Dadurch werde das Vertrauen in Europas
demokratische Institutionen zerstört, findet Caspary. „Ich bin ein frei
gewählter Abgeordneter und brauche von niemandem kontrolliert zu werden.“
Wenn die Kommission am 5. Juli tatsächlich ankündigt, Ceta als reines
EU-Abkommen zu behandeln, wird es zu einem Machtkampf kommen: Die
Mitgliedstaaten benötigen ein einstimmiges Votum, um Ceta gegen den Willen
der Kommission als ein gemischtes Abkommen definieren zu können. Doch
Italien hat bereits angekündigt, sich dem zu widersetzen.
Die Kommission braucht für ihren Gegenvorschlag eine qualifizierte Mehrheit
im Europäischen Rat. Weil viele Staaten – darunter auch Deutschland – Ceta
aber nur als gemischtem Abkommen zustimmen wollen, dürfte es auch dafür
keine Mehrheit geben.
## Wer sitzt am längeren Hebel?
Das Ergebnis wäre, dass das Abkommen gar nicht kommt. Das wollen auch die
Mitgliedstaaten nicht. Die Kommission sieht sich darum am längeren Hebel.
„Das wäre sehr traurig“, sagt Malmström auf die Frage, was passiert, wenn
Ceta durch die Blockade verhindert wird. Für eine ernsthafte Option hält
sie das allerdings nicht. „Wir wollen schließlich alle, dass es
durchkommt“, sagt die Kommissarin. „Und darum werden wir gemeinsam den
besten Weg suchen, es zu verabschieden.“
Mit harten Verhandlungen hat die Kommission schließlich Erfahrung.
„Endspiel“ nennt man in Brüssel jene Phase am Schluss der Gespräche über
ein Handelsabkommen, wo unter dem Zeit- und Erwartungsdruck Kompromisse in
allen noch offenen Streitfragen gemacht werden. Bei Ceta dürfte es nach der
Fertigstellung des Abkommens zu einem weiteren Endspiel mit den
Mitgliedstaaten kommen. Zum Leidwesen der Kommission werden dabei nicht nur
wenige Experten zuschauen, sondern ganz Europa. Die gute alte Zeit kommt so
schnell nicht wieder.
19 Jun 2016
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Schwerpunkt TTIP
CETA
Europäische Kommission
Schwerpunkt TTIP
Schwerpunkt TTIP
Schwerpunkt TTIP
CETA
Schwerpunkt TTIP
Schwerpunkt TTIP
CETA
Schwerpunkt TTIP
CETA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Veröffentlichung von TTIP-Dokumenten: Energiewende in Gefahr
Greenpeace hat Verhandlungsdokumente zum Thema Energie ins Netz gestellt.
Demnach könnte die Energiewende bald „in Lebensgefahr schweben“.
Verhandlungen zu TTIP: Die Freihandelsuhr tickt
Ab Montag wird in Brüssel weiterverhandelt. Um neue Leaks zu vermeiden,
soll es in Leseräumen Kameras geben.
Streit um Freihandelsabkommen Ceta: Europa im Hauruckverfahren
Die EU-Kommission will, dass das Freihandelsabkommen nicht von den
nationalen Parlamenten ratifiziert wird, sondern nur vom Europaparlament.
EU-Verhandlungen zu Ceta: Die Macht der Parlamente
Die EU-Kommission will das Freihandelsabkommen ohne die nationalen
Parlamente abstimmen. Angela Merkel will den Bundestag miteinbeziehen und
wirbt für TTIP.
Studie von Foodwatch: TTIP hebelt EU-Vorsorgeprinzip aus
Verbraucherschützer fürchten, die Abkommen mit den USA und Kanada
attackieren Umwelt- und Verbraucherschutz. Die Industrie sagt:
„Panikmache“.
Handelsvertrag mit den USA: Bei TTIP droht Alleingang Brüssels
Die Europäische Kommission nimmt das Versprechen zurück, nationale
Parlamente bei dem Freihandelsabkommen zu beteiligen.
Brüssel contra Mitgliedstaaten: EU will Ceta allein durchboxen
Kritiker wollen das EU-Kanada-Abkommen im Bundesrat stoppen. Doch ob der
überhaupt gefragt wird, ist offen.
Freihandelsabkommen CETA: Luxemburg begehrt auf
Der Widerstand wächst: Nun will das erste Land dem Abkommen mit Kanada
nicht zustimmen. Das lässt auch auf Ärger für TTIP hoffen.
Neue Beschwerde in Karlsruhe: Ceta in schlechter Verfassung?
Mehrere große Verbände wollen das EU-Abkommen mit Kanada stoppen. Sie sind
zuversichtlich, dass es klappt – wenn auch erst im Herbst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.