# taz.de -- Debatte Islam und Homophobie: Der Hass vor der eigenen Tür | |
> In der muslimischen Community gilt Homosexualität als Tabu. Aber niemand | |
> kann Toleranz erwarten, wenn er selbst andere ausgrenzt. | |
Bild: Wenn die Gesellschaft verändert werden soll, muss ein jeder vor der eige… | |
Homophobie ist real, weit verbreitet und auch in muslimischen Kreisen tief | |
verankert. Darüber gesprochen wird allerdings wenig. Erst jetzt, nach dem | |
Attentat von Orlando, werden Fragen gestellt, werden in muslimischer | |
Realität lange inhärente Aversionen nun ein Stück weit problematisiert. | |
Womöglich aber für eine sehr begrenzte Zeit. Denn ein längerer Diskurs über | |
die homophoben Züge muslimischer Communitys ist – auch innerhalb dieser – | |
nie wirklich entstanden, geschweige denn in nachhaltigem Mehrwert | |
aufgegangen. Wenn, dann um über die theologischen Aspekte zu debattieren. | |
Nie wurden die gesellschaftlichen Missstände aufgegriffen, nie das | |
salonfähige Unterminieren sozialer Teilhabe homosexueller Muslime | |
diskutiert. Auch unter uns Muslimen wurde und wird die Konfrontation | |
systematisch gescheut. | |
Dabei tragen wir alle Verantwortung: Wenn die Gesellschaft verändert und | |
verbessert, Problematiken umgewälzt und aufgewühlt werden sollen, muss ein | |
jeder vor der eigenen Tür beginnen. Erst mit einer Gräueltat solch | |
verheerenden Ausmaßes erwächst nun eine Diskussion aus der Lethargie. | |
Wo Unrecht passiert, werden Muslime oft verpflichtet, Position zu beziehen, | |
egal ob sie sich mit der Person in der Opferrolle – oder aber auch dem | |
Täter, seinem Tun und Handeln – identifizieren können oder nicht. Dabei | |
gilt doch für alle: Niemand hat das Recht, jemand anderen aufgrund der | |
sexuellen Orientierung schlechter zu behandeln oder gar aus eigenen Kreisen | |
auszuschließen – ganz egal, was für eine Meinung man persönlich vertreten | |
mag. | |
Es geht schließlich um ein menschliches Miteinander in toleranter | |
Friedfertigkeit, der Grundpfeiler einer jeden intakten Gemeinschaft. Vor | |
allem, wenn es sich um eine Gemeinschaft handelt, die sich einen Propheten | |
als personifizierte Nachsicht und Güte zum Vorbild genommen hat. | |
## Mit Geringschätzung behaftet | |
Wenn ein Dialog von vornherein mit Geringschätzung behaftet ist, kann | |
niemand vom Gegenüber einen Schritt nach vorn erwarten. Wenn Homosexualität | |
in muslimischen Kreisen noch immer so stark tabuisiert wird, wieso stutzt | |
man, wenn sich muslimische Homosexuelle von Moscheegemeinden entfernen und | |
schlussendlich von ihrem Glauben abwenden? Und dass auch nichtmuslimische | |
Homosexuelle eine undurchdringliche Distanz, wenn nicht einen inneren Groll | |
gegen Muslime im Allgemeinen hegen, verwundert kaum. | |
Dabei gilt Solidarität im Islam als eine unabdingbare Tugend. Der | |
islamische Glauben ist von Rücksicht auf andere geprägt. Er ist offen und | |
zugänglich für alle und schreibt gleichsam jedem eine autonome | |
Selbstbestimmung zu, frei von auferlegten Zwängen. Die Entscheidung, das | |
Leben so zu gestalten, wie es einem beliebt, sofern es niemand anderes | |
Willen überschneidet, liegt nach islamischen Grundsätzen einzig und allein | |
in den Händen des Individuums. Niemandem steht eine Ächtung der | |
persönlichen Entscheidung anderer zu. | |
Trotzdem ist in muslimischen Kreisen ein hoher Grad an Homophobie zu | |
beobachten. Dieser Hass ist nicht immer augenscheinlich – und genau das ist | |
das Kernproblem. Er liegt häufig in kürzesten Aussagen, unauffälligen | |
Betonungen gewisser Worte – oder einfach nur in Grundhaltungen, die so | |
etabliert scheinen, dass sie nicht einmal mehr hinterfragt werden. | |
## Diffamierung wird zum Slang | |
Insbesondere die muslimische Jugend muss dahingehend dringend | |
sensibilisiert werden. Es kann nicht unbeachtet bleiben, wenn ein unter | |
vielen Jugendlichen bekannter türkischstämmiger YouTuber auf der | |
Videoplattform einen „Streich“ hochlädt, der aus einem falschen Outing | |
besteht, um dabei die Reaktion seines Vaters zu filmen. Dass dieser Vater | |
ihn dann, außer sich vor Wut, fast schlägt und der Junge ihn zu | |
beschwichtigen versucht, es sei ja bloß ein Scherz gewesen, wird mit | |
Gelächter statt mit notwendiger Besorgnis quittiert. | |
Auch betiteln junge Muslime oftmals für sie Widersinniges als „schwul“ und | |
„homo“. Diffamierung wird zum Slang. Es scheint okay, niemand spricht | |
darüber und schon gar nicht dagegen, bis es sich normalisiert und ein | |
berechtigter Diskurs darüber als Wortklauberei betrachtet wird. Wenn dann | |
jemand die Problematik anspricht, wird nicht selten auch mal das | |
Grundverständnis des Islam und der Glauben der Person in Frage gestellt. | |
Das ist fatal. | |
Auch ist auffällig, dass vor allem muslimische Männer einen ausgeprägten | |
Degout gegenüber Schwulen in sich tragen, was vermutlich zum Teil mit einem | |
Männlichkeitskomplex einhergeht. Nicht selten wird etwas noch so | |
unscheinbar Feminines abfällig als „schwul“ bezeichnet. Der Grad an | |
Maskulinität wird dann mit der Absenz jeglicher selbst kategorisierter | |
Feminität gemessen und diese in absurde Korrelation mit dem Wert der | |
eigenen Person als Mann gebracht. So ist es nicht abwegig zu sagen, dass | |
homophobe und patriarchale Züge sich an bestimmten Punkten durchaus kreuzen | |
können. | |
## Auch andere sind ausgegrenzt | |
Zu selten erlebt man außerdem noch, dass Muslime gegen Hassbewegungen | |
arbeiten, die sie nicht selbst betreffen. Wir können uns aber nicht immer | |
nur dann für etwas einsetzen, wenn es um eigene Rechte und Interessen geht, | |
nur dann unsere Stimme erheben, wenn es gegen unsere Reihen geht. Wer | |
Solidarität einfordert, der muss Solidarität leben. Und wer eigenhändig | |
Feindseligkeit ankurbelt, der muss Feindseligkeit einstecken können. | |
Wir können nicht ausschließlich über Islamophobie reden, wenn in den | |
eigenen Reihen Homophobie, Antisemitismus, Antiziganismus und kultureller | |
Rassismus immer wieder ausbrechen. Denn Muslime sind nicht die einzige | |
Minderheit, die unter täglicher Ausgrenzung leidet – und nicht jeder Hass | |
dreht sich um den Islam. | |
Erst wenn wir aufhören, Solidarität mit Sympathie abzuwägen und beginnen, | |
Voreingenommenheit in jedem Kontext gleich unerträglich zu finden, kann | |
auch außerhalb unserer Gemeinschaft Gleichberechtigung entstehen. Denn wer | |
das exakt selbe tut, wogegen er anzukämpfen meint, der hat den Kampf nicht | |
im Geringsten verstanden. | |
19 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Büşra Delikaya | |
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