| # taz.de -- Debatte Manipulation durch Werbung: Die Kraft der Argumente | |
| > Bei einem Workshop über Heimtierzubehör kann man leicht zur Erkenntnis | |
| > kommen: Marketing macht Meinung zur Lüge. | |
| Bild: Was der Marketing-Profi mit dem Hundespielzeug zu tun hat | |
| Als Vortragsreisende bekommt man allerlei Gelegenheit zu unerwarteten | |
| Begegnungen. Zum Beispiel wurde ich einmal eingeladen, um vor 120 | |
| Schweinemästern über Tierrechte zu sprechen. Das lief nicht ganz | |
| schmerzfrei ab, war aber durchaus anregend. Nie jedoch war meine | |
| Überraschung so groß wie neulich, als eine Marketingagentur anfragte, ob | |
| ich an einem Workshop über Heimtierzubehör teilnehmen könne. Als | |
| „Expertin“. | |
| Zuerst wollte ich absagen, um nicht mittelbar behilflich zu sein, noch mehr | |
| Volieren, Aquarien und Puschelwuschelbürsten für qualgezüchtete Rassehunde | |
| unters Volk zu bringen. Dann allerdings ging mir auf, dass mir wohl eher | |
| die Doppelrolle von „Expertin“ und „Untersuchungsobjekt“ zugedacht war. | |
| Vermutlich dachten sich die Marketingleute, unsere Tierrechtsidee, dass | |
| Tiere nicht in Käfige gehören, könne in Zukunft den Absatz von klassischem | |
| Heimtierzubehör beschweren. | |
| Wenn ich es recht verstehe, planen Marketingagenturen jedenfalls in zwei | |
| Richtungen gleichzeitig: Sie versuchen herauszufinden, wie sich der Absatz | |
| von Produkten positiv beeinflussen lässt, indem man einerseits die Produkte | |
| den Kundenwünschen anpasst, andererseits aber auch die Kundenwünsche den | |
| Produkten. Man versucht, den Trends nicht nur zu folgen, sondern sie auch | |
| zu formen und überhaupt dem aktuellen Kaufverhalten immer einen Schritt | |
| voraus zu sein. | |
| Und hier die Gretchenfrage: Kann Marketing ehrlich sein? „Lobbyismus“ gilt | |
| gemeinhin als unehrliche Variante der Politik; ähnlich ist Marketing (so | |
| meine Arbeitshypothese) die unehrliche Variante der Meinung(sbildung). | |
| ## Marketingprofis mit ansteckendem Eifer | |
| Meine Gefühle, als ich zu diesem Workshop nach Berlin fuhr, waren also noch | |
| ambivalenter als damals bei den Schweinemästern. Und dann kam schnell die | |
| Überraschung: Die dort anwesenden Marketingprofis waren intelligent, sozial | |
| umgänglich und sympathisch; weder trugen sie Anzug noch irgendwelche | |
| extrahippen „Ich hab es nicht nötig, nett auszusehen“-Brillen und | |
| -Klamotten. Kurz und gut, sie widersprachen all meinen Klischees und | |
| widmeten sich ihrer Arbeit mit einem ansteckenden Eifer. | |
| Für uns etwa zwei Dutzend Expert*innen hatte sich die Agentur allerlei | |
| Gedankenspielchen ausgedacht, die zunächst etwas albern klangen; aber als | |
| wir gruppenweise in die jeweiligen Szenarien eintauchten und diskutierten, | |
| rauchten uns aufs Angenehmste die Köpfe, und den gesamten Workshoptag lang | |
| habe ich mich keine Sekunde gelangweilt. | |
| Die Agenturmitarbeiter*innen, die uns dabei anleiteten, hatten viel Ahnung | |
| von Soziologie und waren vorzügliche Statistiker. Nachher googelte ich | |
| einige von ihnen; der eine hatte vorher für eine Luxusautomarke gearbeitet. | |
| Mir klappte die Kinnlade herunter. Wie konnte jemand, der so viel über | |
| Menschen und deren Zusammenwirken wusste, relevante Spannen Lebenszeit der | |
| Verkaufsankurbelung von Luxusautos opfern? | |
| Zwar schwante mir, dass er und seine Kolleg*innen wohl gerne in ihrer | |
| Agentur arbeiteten – aber ich trauerte den ganzen Abend und noch ein paar | |
| Folgetage darum, dass in unserer Gesellschaft so viel Talent und Nachdenken | |
| dem Generieren und Befriedigen von Kaufbedürfnissen geopfert wird, statt … | |
| na ja, etwas Sinnvollem halt! | |
| ## Intuitive Ehrlichkeitsskala | |
| Was könnte man nicht alles mit solchen Arbeitskräften in Bewegung bringen! | |
| Man könnte den Autolobbyismus aufdecken, ein Ende des Tiereeinsperrens | |
| herbeiführen, ja, womöglich ganze Revolutionen anstoßen! | |
| Nun mag natürlich manche*r einwenden, auch für solche „guten Zwecke“ | |
| brauche es dann halt Marketing. Aber sollte man in der Politik die anderen | |
| nicht vor allem mit Argumenten gewinnen, und gibt es nicht eine uns allen | |
| intuitiv vertraute Ehrlichkeitsskala mit den unterschiedlichen Stufen | |
| Manipulieren, Beeinflussen, Überreden, Überzeugen? Der Philosoph Jürgen | |
| Habermas unterscheidet bekanntlich zwischen verständigungsorientiertem, | |
| kommunikativem Handeln und strategischem Handeln. | |
| Auch Letzteres kann sich zwar über Sprache vollziehen, aber der/die andere | |
| soll nur zugunsten des Sprechenden beeinflusst werden. In dieser | |
| Unterscheidung hören wir deutlich das Echo des (ebenfalls uns allen | |
| intuitiv vertrauten) Kant’schen kategorischen Imperativs, laut dem man | |
| den/die andere ja stets „auch als Zweck an sich, nicht nur als Mittel“ | |
| betrachten können solle. | |
| „Auch“, dieses Wörtchen ist entscheidend. Selbstverständlich wollen wir o… | |
| etwas Bestimmtes von anderen Menschen, bezwecken etwas, es vermischen sich | |
| immer diverse Motive. Ob ich aber jemanden ausschließlich manipulieren | |
| will, erkennt man zum Beispiel an dem Lackmustest, was passieren würde, | |
| wenn ich dem anderen meine Motive offenlegte. Würde die Glaubwürdigkeit | |
| dessen, was ich sage, darunter leiden, wenn der andere den Hintergrund | |
| meines Sprechens kennen würde? | |
| ## Gemästete Schweine | |
| Beim Marketing, das über das plumpe Bewerben von Waren hinausgeht, ist das | |
| wohl so; der Beeinflusste würde sich beduppt fühlen, wenn er es wüsste. | |
| Besonders dort, wo sich der Versuch der Einflussnahme nicht offen zu | |
| erkennen gibt, mutiert er zur Lüge. Werbung, über der in einer kleinen Ecke | |
| „Anzeige“ steht, ist immerhin gekennzeichnet; mancher „redaktionelle | |
| Inhalt“ jedoch täuscht Argumente nur vor, nachdem der Redakteur in | |
| Südfrankreich mit einem Luxusauto herumbrausen durfte. | |
| So gesehen ist Marketing tatsächlich eine Manipulation des öffentlichen | |
| Raums wie der Lobbyismus und geradezu ein Kontrahent transparenten | |
| demokratischen Agierens. Und das gilt, so befürchte ich, nicht nur fürs | |
| Bewerben von Käfigen, Autos und gemästeten Schweinen. | |
| Auch beim politischen Aktivismus sollten wir uns nicht zu sehr auf die | |
| Strategie, aufs Verkaufen, aufs „Marketing“ der Ideen konzentrieren, auch | |
| wenn dies immer üblicher wird und nicht wenige Aktivist*innen entsprechende | |
| Fachzeitschriften lesen, um deren Tricks für die eigene Sache zu verwenden. | |
| Doch ich denke, inmitten dieses Beeinflussungswirrwarrs sollten wir mehr | |
| Vertrauen haben: in die Kraft der Wahrheit unserer Argumente. | |
| 4 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hilal Sezgin | |
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