# taz.de -- Kipping und Riexinger über Die Linke: „So schlecht ist unsere Bi… | |
> Die Parteivorsitzenden wollen Wähler von der AfD zurückgewinnen. Wie geht | |
> das? Ein Gespräch über Grenzen, Ängste und die Strategie der Linken. | |
Bild: Gemeinsam seit 2012 an der Spitze der Linkspartei: Katja Kipping und Bern… | |
taz.am wochenende: Herr Riexinger, Sie führen seit vier Jahren mit Katja | |
Kipping die Linkspartei. Welche Stärken hat Ihre Kovorsitzende? | |
Bernd Riexinger: Sie hat gute Ideen. Sie engagiert sich für die | |
Erwerbslosen. Und sie spricht Gruppen an, die für uns wichtig sind: junge | |
Menschen, Frauen, Leute aus dem Piraten-Spektrum. | |
Frau Kipping, was schätzen Sie an Bernd Riexinger? | |
Katja Kipping: Er ist ein kämpferischer Gewerkschafter und verfolgt | |
Theoriedebatten. Und er lässt nicht locker, wenn er von einer Idee | |
überzeugt ist. | |
Hat Katja Kipping Schwächen? | |
Bernd Riexinger: Vielleicht eine gewisse Ungeduld. | |
Und bei ihm? | |
Katja Kipping: Bernd wägt manchmal lange ab, ob wir einen Konflikt eingehen | |
müssen … | |
Also ist er konfliktscheu? | |
Katja Kipping: Nein, wenn die Entscheidung gefallen ist, dann steht er | |
dazu. | |
Die Wahlbilanz Ihrer Partei ist seit 2012 trübe. In Brandenburg 8 Prozent | |
verloren, in Niedersachsen 4, in Sachsen-Anhalt 7. Was machen Sie falsch? | |
Bernd Riexinger: So schlecht ist unsere Bilanz nicht. Bodo Ramelow regiert | |
in Thüringen. Und wir sind in Hessen wieder in den Landtag eingezogen. Die | |
Partei ist stabilisiert. | |
Katja Kipping: Als wir 2012 ins Amt kamen, lagen wir in Umfragen unter 5 | |
Prozent. 2013 sind wir Oppositionsführerin geworden. Im urbanen Milieu | |
haben wir gut zugelegt. Wenn sich die Debatten um Terror, Flucht und | |
Eurokrise drehen, ist es eine Herausforderung, soziale Themen stark zu | |
machen. | |
Die Grünen haben eigene Themen gesetzt. Warum gelingt das der Linkspartei | |
nicht? | |
Bernd Riexinger: Wir haben das Thema prekäre Arbeit und prekäre | |
Lebensverhältnisse gesetzt, weil wir nicht akzeptieren, dass 30 Prozent der | |
Menschen von sozialer Teilhabe ausgegrenzt werden. Unsere Basis ist – gegen | |
den medialen Trend – erfreulich aktiv, das treibt uns an, und das treiben | |
wir weiter voran. | |
Katja Kipping: Wir kämpfen für soziale Garantien und wollen massiven | |
Reichtum begrenzen. In einem Unternehmen sollte beim Zwanzigfachen der | |
niedrigsten Einkommensgruppe Schluss sein. Und wir müssen frecher und | |
widerständiger werden. Was Greenpeace mit der Veröffentlichung der | |
TTIP-Papiere geleistet hat, das hätten wir tun müssen. | |
Inwiefern? | |
Katja Kipping: Die Linksfraktion hätte der Whistleblower sein müssen. | |
2012 war die Linkspartei in Fundis und Pragmatiker gespalten. Sie haben die | |
Partei befriedet. Aber vielleicht zu sehr. Es war nach den Wahlschlappen | |
totenstill in der Partei. | |
Bernd Riexinger: Wir haben lebendige Debatten. Aber es ist der AfD | |
gelungen, die soziale Unzufriedenheit mit der Flüchtlingsfrage zu | |
verschränken. Und es ist schwierig, das nach links zu wenden. Wir müssen | |
die Erwerbslosen und die Arbeiter zurückgewinnen. Wegen unserer klaren | |
Haltung in der Flüchtlingsfrage haben wir bei Jüngeren gewonnen. Die Linke | |
ist der richtige Ort für Leute, die nicht mit 20 an die Eigentumswohnung | |
denken. | |
Sie gewinnen bei jungen Akademikern viel weniger dazu, als Sie bei | |
Arbeitern verlieren. | |
Bernd Riexinger: Wir reden das ja nicht schön. Wir müssen deutlich machen, | |
dass wir Erwerbslose und Arbeiter, anders als die SPD, nicht vergessen. Und | |
wir müssen mehr in die sozialen Brennpunkte und in die Betriebe gehen. | |
Arme erleben Migranten als Konkurrenz. | |
Katja Kipping: Konkurrenz gibt es auch, wenn die Grenzen zugemacht würden. | |
Den Beschäftigten wird ebenso gedroht, dass Werke in Billiglohnländer | |
abwandern, oder man spielt Belegschaften gegeneinander aus. | |
Mit den Flüchtlingen kommt noch eine Konkurrenz hinzu. | |
Katja Kipping: Das Kapital betreibt Ausbeutung und Konkurrenz. Außerdem: So | |
manche Schule im ländlichen Raum wurde nur darum nicht geschlossen, weil | |
dort Geflüchtete unterrichtet werden, so manches Krankenhaus funktioniert | |
doch nur noch, weil dort Migranten arbeiten. Pegida behauptet, dass es mehr | |
Konkurrenz durch Flüchtlinge gibt. Das ist nicht bewiesen. Die | |
Bundesregierung tut nichts gegen solche Ängste. Sie hätte längst eine | |
Sozialgarantie aussprechen können und deutlich machen: Sozialkürzungen wird | |
es wegen der Geflüchteten nicht geben. Das Regierungsversagen in der | |
Flüchtlingspolitik hat der AfD Auftrieb verschafft. | |
Aber die Linkspartei hat im Kampf gegen die AfD mit dem Slogan „offene | |
Grenzen“ doch schlechte Karten. Oder? | |
Katja Kipping: Nein, wenn wir in dieser Frage opportunistisch wanken | |
würden, hätten wir ein größeres Problem. | |
Bernd Riexinger: Wir müssen deutlicher machen, dass unsere Position nicht | |
lautet: Alle sollen kommen. Wir wollen vielmehr Bedingungen, damit Menschen | |
gar nicht erst fliehen müssen. Also konkret: Waffenexporte in Krisengebiete | |
stoppen und der UN-Flüchtlingshilfe mehr Geld zur Verfügung stellen, um | |
Flüchtlinge grenznah unterzubringen. Wenn der politische Wille dazu da | |
wäre, ließe sich das schnell umsetzen. | |
De facto ist Ihre Position trotzdem: Grenzen auf. Warum fordern Sie keine | |
Kontingentlösung für syrische Flüchtlinge? | |
Katja Kipping: Wir dürfen keinesfalls die Problembeschreibung der | |
Rechtspopulisten übernehmen, dass Flüchtlinge, die alles verloren haben, | |
eine Bedrohung sind. Wir müssen die Gegenfrage stellen: Selbst wenn wir | |
keinen Flüchtling mehr ins Land lassen würden – gibt es dann bessere Renten | |
und Jobs und keine Steuergeschenke für Millionäre? Mitnichten. | |
In Sachsen-Anhalt haben Arbeiter und Erwerbslose in Scharen AfD gewählt. | |
Ziehen Sie denn gar keine Schlüsse daraus? | |
Bernd Riexinger: Immer mehr Menschen haben Abstiegsängste und leben in | |
Unsicherheit. Die Politik der Großen Koalition spaltet die Gesellschaft. | |
Die Rechten haben dieses Gefühl „Wir bekommen nicht, was uns zusteht“gegen | |
die Flüchtlinge gewandt. Wir haben es nicht geschafft, mit der Benennung | |
der tatsächlichen Ursachen durchzudringen. In Deutschland ist die soziale | |
Spaltung extrem. 25 bis 30 Prozent fühlen sich an den Rand gedrängt. Die | |
Linkspartei muss versuchen, ein gesellschaftliches Bündnis zwischen der | |
Mitte und unten zu schmieden. Denn sonst grenzt sich die abstiegsbedrohte | |
Mitte nach unten und grenzen sich beide wiederum nach außen ab. | |
Auch ein Teil Ihrer Klientel glaubt, dass für Flüchtlinge viel getan wird, | |
aber für sie nichts. Was antworten Sie denen? | |
Bernd Riexinger: Es gibt gerade bei Ausgegrenzten das Gefühl: Alle reden | |
über Flüchtlinge, niemand kümmert sich um uns. Diese Stimmung kann man | |
nicht nur als Rassismus abtun. Diese Leute müssen spüren, dass wir etwas | |
für sie tun. | |
Die Linkspartei kann aber nur bessere Renten und Jobs fordern. Umsetzen | |
kann sie das als ewige Oppositionspartei nicht. | |
Bernd Riexinger: Ja, das ist ein Problem. Es gibt derzeit kein linkes Lager | |
– und das ist für uns kein Anlass zum Jubeln. Sigmar Gabriel hätte für | |
seine Gerechtigkeitsrede auch bei unserem Parteitag Applaus bekommen. Aber | |
es folgt nichts Konkretes. Die SPD entscheidet sich nicht. Wir können SPD | |
und Grüne ja nicht zwingen, ein linkes Lager zu bilden. | |
Daran ist die Linkspartei auch selbst schuld. Die Partei hat unter Ihrer | |
Führung die Abgrenzung von der SPD und den Grünen „wie ein religiöses | |
Dogma“ betrieben und sich in die Bedeutungslosigkeit manövriert, sagt Ihr | |
Vorgänger Klaus Ernst. | |
Katja Kipping: Das ist keine persönliche Kritik von Ernst an uns … | |
Eine Kritik an der Partei, die Sie führen. | |
Katja Kipping: Wir haben schon 2013 klargemacht, dass wir bei Rot-Rot-Grün | |
dabei sind, wenn Selbstverständlichkeiten erfüllt sind: keine | |
Sozialkürzungen, keine Kriegseinsätze und wenn es wirkliche Verbesserungen | |
gibt wie eine Millionärssteuer, sanktionsfreie Mindestsicherung und gute | |
Renten. An uns liegt es nicht. Eine Linksregierung ohne Rückhalt in der | |
Gesellschaft wird wenig ändern können. Deshalb kämpfen wir für | |
gesellschaftliche Mehrheiten und wollen Kristallisationspunkt des Lagers | |
der Solidarität werden. Das wird nicht gelingen, wenn wir uns in | |
vorauseilendem Gehorsam anpassen und mit SPD und Grünen Kaffeekränzchen | |
machen. | |
Die SPD muss sich ändern, die Linke bleibt, wie sie ist – da wird jede | |
Koalition schwierig … | |
Bernd Riexinger: Unser Vorschlag ist: Wir bilden vor der Wahl ein linkes | |
Lager und versuchen, gesellschaftlichen Rückhalt für eine | |
Gerechtigkeitswende zu schaffen. Wir haben der SPD angeboten, uns über | |
Kernthemen zu verständigen. Zum Beispiel über Löhne, prekäre Arbeit, Rente, | |
Frieden. Aber nur abwarten, wie die Wahl 2017 ausgeht, und dann verhandeln, | |
das ist zu wenig. | |
Warum? | |
Bernd Riexinger: Was wird in dieser Republik los sein, wenn unsere | |
Steuerpläne in Koalitionsgesprächen verhandelt werden? Es wird enormen | |
Widerstand vonseiten der Eliten und der Reichen geben. Man muss daher den | |
erklärten Willen und die Kraft haben, das durchzukämpfen. Sonst braucht man | |
es gar nicht zu probieren. | |
Katja Kipping: Wir erwarten von der SPD nicht, dass sie sozialistisch | |
wird, nur dass sie sozialdemokratisch ist. | |
Das ist das Mantra der Linkspartei. Nur: Die SPD hat sich mit dem | |
Mindestlohn und der Rente mit 63 inzwischen bewegt, die Linkspartei nicht. | |
Bernd Riexinger: Die Rente mit 63 hilft einer kleinen Gruppe von | |
Facharbeitern – das Gros wird mit einer Armutsrente abgespeist. Die SPD | |
begreift nicht, wie groß das Ausmaß der Prekarisierung ist und dass es mit | |
kleinen Korrekturen nicht getan ist. Wir können nicht noch mal zehn Jahre | |
auf die SPD warten. | |
Es wird kein linkes Lager geben, solange die Linkspartei die SPD erziehen | |
will. | |
Bernd Riexinger: Das tun wir nicht. Wir machen ihr Angebote. Der Ball liegt | |
jetzt im Feld der SPD. Wenn Gabriel glaubwürdig sein will, muss er nicht | |
nur seine Kommunikation, sondern seine Politik ändern. | |
27 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
Stefan Reinecke | |
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