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# taz.de -- Politische Streiks in Frankreich: Nichts fließt mehr in Grandpuits
> Die Arbeiter der Total-Raffinerie sind entschlossen, ihren Streik bis zur
> Rücknahme der Arbeitsmarktreform fortzusetzen. Die Produktion ruht.
Bild: Gewerkschafter im Mittelpunkt: Laurent Gaston-Carre (l., CGT) und Franck …
Grandpuits taz | Die Raffinerieanlage Grandpuits ist auf diesem flachen
Land des Pays de Brie mit den rot-weiß gestreiften Kaminen und dem
charakteristischen Wirrwarr von Röhren von Weitem zu sehen. Der Rauch weckt
einen falschen Eindruck von Aktivität. Es handelt sich in Wirklichkeit um
Abgase, die beim Erkalten der normalerweise auf 400 Grand erhitzten
Destillationsanlage entstehen.
Die seit einer Woche streikenden Arbeiter haben am Montag beschlossen,
zusätzlich die Produktionsanlagen abzustellen. Das ist, wie sie
bereitwillig erklären, eine komplizierte und riskante Sache, die mehrere
Tage in Anspruch nehme. Das hätten sie nicht leichten Herzens beschlossen,
versichert Grégory Pouvesle. „Wir streiken nicht gegen unser Unternehmen,
sondern gegen die Regierung. Wir geben acht auf unsere Produktionsmittel
und machen nichts kaputt“, präzisiert er.
Pouvesle ist der Delegierte der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO), die
zusammen mit der CGT diesen Arbeitskampf in einer der acht Raffinerien
Frankreichs organisiert. Am Haupteingang von Grandpuits hängen die Fahnen
der beiden Verbände und ein Schild „En grève“ (Im Streik). Auf dem
Parkplatz errichten mehrere Gewerkschafter ein Streikzelt. „Das geht so
lange wie nötig“, sagen sie. Selbst wenn sie die Arbeit wieder aufnehmen,
würde es fast eine Woche dauern, bis wieder Treibstoff produziert wird.
Vorderhand aber komme kein Tropfen Benzin aus der Anlage von Grandpuits.
Auch ohne die Stilllegung der Produktionsanlagen wäre diese Anlage von
Total bald außer Betrieb gewesen, weil im Hafen von Le Havre das größte
Erdölterminal seit Wochenbeginn blockiert ist und kein Nachschub an Rohöl
mehr in die Raffinerien gelangt. Deshalb haben die Streikenden gar keinen
Grund, die Raffinerie zu besetzen oder den Zugang zu blockieren.
„Was aber passieren könnte, ist, dass ein Teil des Personals vom Staats
zwangsverpflichtet wird wie beim letzten Streik 2010 von Sarkozy. Damals
wurde diese Maßnahme vom Internationalen Arbeitsamt nachträglich für
unzulässig erklärt“, betont Pouvesle. „Hollande ist nicht besser als
Sarkozy. Wir sind nicht mehr in einer Demokratie, sondern in einer
Diktatur“, schimpft er.
## „Auf Vorrat“ volltanken
Die Spannung ist spürbar in diesem Tauziehen zwischen der Regierung und den
Gewerkschaften. Während des Gesprächs vor dem Betriebstor fährt ein
Patrouillenwagen der Gendarmerie vorbei und dreht unter den misstrauischen
Blicken der Raffineriearbeiter eine Runde auf dem Parkplatz.
Die Arbeiter von Grandpuits wissen, dass die Ordnungshüter seit
Wochenbeginn die verbarrikadierten Zufahrten zu den Benzinlagern in
Fos-sur-Mer bei Marseille und Douchy-les-Mines bei Lille mit Gewalt geräumt
haben. Die Benzinknappheit, die von den Gewerkschaften als Druckmittel
verwendet wird, lässt sich nicht länger ignorieren.
Noch am Wochenende behauptete Transportminister Alain Vidalies, es gebe
keinen Mangel, punktuelle Probleme würden nur wegen Hamsterkäufen
auftreten, und im Übrigen habe Frankreich Vorräte für mehr als zwei Monate.
Die Realität sieht ein wenig anders aus. Rund 25 Prozent der Tankstellen
sind vor allem im Norden und Süden sowie in der Region Paris wegen
Versorgungsproblemen dicht. Das lässt sich auf der einstündigen Autofahrt
in Richtung Osten nach Grandpuits verifizieren. In Einkaufszentren, wo es
wie in Brie-Comte-Robert noch Treibstoff gibt, bilden sich Schlangen.
Mehrere der Wartenden geben freimütig zu, dass sie „auf Vorrat“ volltanken.
## Ein politischer Streik
Betroffen von der Verknappung sind besonders die Liefer- und
Handwerksbetriebe. Selbst die sonst bei Streiks sehr toleranten Franzosen
werden ungeduldig, wenn es um ihr Auto geht. „Wir wissen, was wir tun. Die
Regierung will ihre Arbeitsgesetze mit Macht durchsetzen. Der Streik ist
unsere Antwort, und wir sind entschlossen weiterzumachen, bis die Regierung
einlenkt“, droht der CGT-Delegierte Laurent Gaston-Carrère.
Auf die Frage, ob es nicht illegitim sei, wenn eine „Minderheit“ das Land
blockiere, wie dies Staatspräsident Hollande kritisiert hat, verweist er
CGT-Mann zur Antwort auf die Umfragen, denen zufolge eine 70-prozentige
Mehrheit gegen die Reform sei. Er verhehlt aber nicht, dass es sich um
einen politischen Streik handelt.
Genau das hält sein Arbeitgeber, Total-Präsident Patrick Pouyanne, für
völlig inakzeptabel: „Damit wird in gewisser Weise der soziale Pakt
zwischen dem Unternehmen und seinen Angestellten gebrochen“, bedauert
Pouyanne, der bereits droht, Total werde aufgrund dieser Aktionen die
geplanten Investitionen von 600 Millionen in Frankreich „ernsthaft
überprüfen“.
Ein Streikender in Grandpuits räumt ein: „Die Leute haben nicht ganz
Unrecht, wenn sie sagen, dass sie wegen unserer Aktion zu Geiseln des
Konflikts werden. Aber die soziale Auseinandersetzung ist so hart geworden,
dass uns kein anderer Ausweg bleibt. Beide Seiten gehen aufs Ganze.“ Das
ist der Eindruck, den heute alle in Frankreich haben. Vor allem die CGT
will beweisen, dass sie trotz sinkender Mitgliederzahlen in der Lage ist,
mit gezielten Aktionen das Land lahmzulegen. Aber auch die Regierung kämpft
ums Überleben. Sie muss sich von der Opposition vorwerfen lasse, sich habe
die Kontrolle verloren und lasse zu, dass sich das „Chaos“ in Frankreich
breitmache.
25 May 2016
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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