| # taz.de -- Udo Lindenberg wird 70: Der Greis ist heiß | |
| > Er malt Bilder mit Eierlikör – und trinkt ihn auch. Und er ist eine coole | |
| > Sau: Sechs taz-AutorInnen über 70 Jahre Udo Lindenberg. | |
| Bild: Udo | |
| ## Gebrochene Herzen | |
| Mit meiner Kindergartenliebe Tom war schon Schluss. Nicht länger schoben | |
| wir beim Mittagsschlaf heimlich unsere Liegen zusammen. Auch der | |
| Grundschulfreund war passé, mit dem ich Bömbchen baute aus | |
| Überraschungseiern, Backpulver und Wasser. Das war das Level an | |
| Beziehungserfahrung, das ich hatte, als Mitte der Neunziger Udo Lindenberg | |
| sang: „Ein Herz kann man nicht reparieren.“ | |
| Das Lied veröffentlichte er 1991, erst später sah ich es mit entsprechendem | |
| Video bei MTV. Und es blieb mir sofort im Ohr. Denn das erschien logisch: | |
| Das Herz ist etwas ganz Krasses und wenn es kaputt ist, „dann ist alles | |
| vorbei“. Auch die Sprache war kindgerecht: „Wenn ich dich so seh, … aua d… | |
| tut weh …“ | |
| Besonders das Ende bewegte mich, weil er, so glaubte ich, mit einem Kind, | |
| also einer Neunjährigen wie mir, singt: „Ich kenn da ’ne Kur, da hilft | |
| küssen nur.“ Es geht also doch! Irgendwann ist’s wieder gut. Bis ich | |
| heirate, tut’s nicht mehr weh, oder so. | |
| Die schlimme Phase, in der ich mit Erwachsenen und im Besonderen meinen | |
| Eltern auf Kriegsfuß stand, kam später. Erst vereinte uns Lindenberg und | |
| sein kaputtes Herz. Ihn hatten meine Eltern schon früher gehört, Empfang in | |
| Dresden über Kurz- und Mittelwelle. Er kam bei vielen in der DDR gut an. | |
| Deutschrock hatte hier von der Klaus Renft Combo bis zu Silly eine lange | |
| Tradition. | |
| Mit dem „Sonderzug nach Pankow“ verärgerte Udo allerdings Erich Honecker, | |
| den er „Honey“ nennt. Zwei junge Männer, die den Song auf einer Disko in | |
| Guben spielten und erwischt wurden, entkamen daraufhin nur knapp einer | |
| Haftstrafe. Im Oktober 1983 spielte Lindenberg, wie im Lied gewünscht, im | |
| Palast der Republik in Ostberlin. Nicht unbedingt eine Sternstunde seiner | |
| Karriere. Wie er seinem „Honey“ dafür Honig um den Mund geschmiert hat und | |
| sich für seinen „Sonderzug nach Pankow“ bei ihm entschuldigt hat, klingt | |
| nicht nach Rock ’n’ Roll. | |
| Mittlerweile weiß ich, dass das Kind von „Ein Herz kann man nicht | |
| reparieren“ Inga Humpe war, ein gebrochenes Herz wirklich nicht zu | |
| reparieren ist, bis es dann doch verheilt. Meine Eltern und ich haben mit | |
| AnnenMayKantereit erneut musikalische Überschneidungen. Wieder ein Sänger | |
| mit einprägsamer Stimme und tragisch uneindeutigen Texten: „Ich halt dich | |
| nicht fest. Und lass dich nicht los.“ Beziehungen halt. Katrin Gottschalk | |
| ## Hinterm Horizont geht’s weiter | |
| „Kennengelernt habe ich Udo Lindenberg im Folkclub Danny’s Pan in Hamburg. | |
| Damals spielte er Schlagzeug bei den 1965 gegründeten City Preachers. | |
| Daraus ist eine richtige Freundschaft entstanden. | |
| Zu jener Zeit wohnte ich in Sankt Georg. Die Wohnung einer Nachbarin wurde | |
| zufällig frei. Da Udos Schwester Inge eine Bleibe suchte, zog sie ein. Inge | |
| hatte einen kleinen Sohn, Marvin. Als er zwölf war, schrieb er ‚Peggy, ich | |
| liebe dich!‘ auf meine Treppenstufe. Nach Jahren traf ich Marvin wieder, | |
| bei Udos Geburtstagsfeier im Atlantic-Hotel, wo er schon lange wohnt. | |
| Riesengroß, hübscher Kerl. | |
| Auch Udo war hübsch! Ich habe mich in seine großen Augen, den vollen Mund | |
| und seine langen Haare verliebt. Udo hat mich immer Peggy Panther genannt. | |
| Das finde ich schön und richtig. | |
| Mitte der Siebziger zog er in eine Villa, Inge leider mit. Sie hatten noch | |
| einen Bruder, Erich, ein Maler. Wahnsinnig netter Mann, der 2006 leider | |
| gestorben ist. Mit ihm und Udo habe ich einmal sehr schön Heiligabend | |
| gefeiert. | |
| Dann sollte ein Film über Udo gemacht werden: Jemand rief an, überheblich | |
| im Ton – ich war total überarbeitet. Daraus wurde ein übel gelauntes | |
| Interview, das ich sofort bereut habe! Damit habe ich Udo gekränkt, es kam | |
| zum Bruch. Später hatte ich einen Unfall, ausgerechnet, als ich zu einem | |
| Konzert von ihm eingeladen war. Da hab ich ihm was Schönes gesagt: „Lieber | |
| Udo, ich wäre gerne gekommen und hätte applaudiert. Aber mit gebrochenen | |
| Händen, Armen und Nase geht das leider nicht!“ Das hat ihn, glaube ich, | |
| gefreut. | |
| Ich freue mich auch auf sein Musical, das bald in Hamburg läuft. „Hinterm | |
| Horizont geht’s weiter“ ist eines meiner Lieblingslieder von ihm. | |
| Lieber Udo, ich wünsche dir – wie wir Juden sagen – Liebe und Lebensfreude | |
| bis 120! Peggy Parnass | |
| Peggy Parnass, geboren 1934 in Hamburg, ist Publizistin, Autorin und | |
| Schauspielerin. Ihre Eltern wurden in Treblinka von den Nazis ermordet, | |
| genau wie ihre Großeltern und viele weitere Verwandte in anderen KZs. | |
| ## Markanter Vorname | |
| In der aktuellen Ausgabe des Musikmagazins Spex ist eine Kolumne über Udo | |
| Lindenberg, in der die Autorin den Protagonisten mehrmals schlicht Udo | |
| nennt. Mich befremdet das, ich nenne Personen, die ich nicht kenne, | |
| grundsätzlich nicht nach ihrem Vornamen: Uwe Seeler nicht Uwe und Ulrike | |
| Meinhof nicht Ulrike. | |
| Irritiert hat mich der Tonfall vor allem, weil ich mir niemals hätte | |
| träumen lassen, dass Spex einen Künstler vom Kaliber Lindenbergs auf diese | |
| Weise eingemeindet. Steht der „Helmut Schmidt des Deutschrock“ (Rheinische | |
| Post) ästhetisch nicht für das größtmögliche Gegenteil dessen, was Spex | |
| verkörpert hat und immer noch verkörpert – trotz der zirka acht | |
| Metamorphosen, die das Magazin seit der Gründung durchlaufen hat? | |
| Mir fiel bei der Lektüre wieder ein, dass Lindenberg auf dem einzigen | |
| Album, das ich von ihm besitze, noch auf die Nennung seines aus heutiger | |
| Sicht markanten Vornamens verzichtet hat. Sein Solodebütalbum – das bei mir | |
| im Regal steht, weil mein Schwiegervater es sonst entsorgt hätte – erschien | |
| 1971 unter dem Namen Lindenberg. Besonders ist es nicht nur, weil es sein | |
| einziges Nachname-only-Werk ist, sondern weil er damals auf Englisch sang. | |
| Lindenberg ließ den Udo wohl weg, weil er ihn als hinderlich für eine | |
| internationale Karriere betrachtete. Falls jemand die Platte mal auf dem | |
| Flohmarkt oder bei Ebay sieht: Mit einem soliden Stones-Plagiat geht es | |
| los, ein paar Southern-Rock-Anleihen gibt’s auch. | |
| Zugegeben: „Ich bin Rocker“ fand ich als Zwölfjähriger gut, und ich hatte | |
| auch das dazugehörige Album, aber wenn ich den Titel nicht gegoogelt hätte, | |
| wäre er mir, anders als bei den meisten anderen Alben, die ich aus | |
| Distinktions- oder sonstigen Gründen verkauft habe, nicht eingefallen. | |
| Schon damals blöd fand ich seine Beatles-Coverversion „Wenn ich 64 bin“. | |
| Dass Beatles-Coverversionen ein glitschiges Terrain sind, auf dem auch | |
| schon Künstler ausgerutscht sind, die ein paar Ligen über Lindenberg | |
| spielen, konnte ich noch nicht wissen. René Martens | |
| ## Unersetzbarer Schlaks | |
| Madame Tussaud hat den Vogel abgeschossen. Neben der Udo-Wachsfigur in der | |
| Berliner Filiale liegen Udos „Unique Selling Propositions“ bereit. Imitate | |
| seines Huts mit angeklebten Nackenhaaren, Sonnenbrille. | |
| Dazu die Stimme, die Haltung, das Beinschlackern – all das sind Merkmale | |
| eines wahren Stars: Hervorragend imitierbar. Aber unersetzbar. Udo ist ein | |
| Prominenter mit authentischen Markenzeichen. Er findet die eigene Frise | |
| immer noch richtig schick (er trägt keinen Iro, um aufzufallen), steht auf | |
| Filzhüte, und benutzt die Sonnenbrille nicht, um Diva zu spielen, sondern | |
| weil er den Aha-Effekt liebt, wenn er dann doch irgendwann die | |
| kajalumrahmten Klüsen dahinter auspackt. | |
| Während Madonna für ihre Wandlungsfähigkeit geschätzt wird, Bowie das | |
| Chamäleon war, und selbst von Grönemeyer aus Schauspielzeiten | |
| unterschiedliche Images existieren, bleibt Udo verlässlich Udo – | |
| persönlich, musikalisch und im Style. Das gilt für Songs, für Interviews, | |
| für das Musical, in dem ein Schauspieler dank Udo-Accessoires leichthändig | |
| die Identität des Rockers einnimmt. Selbst in seinen Duetten klingt er | |
| genauso lindenbergig wie solo. Auch sein Hallohallöchen lässt sich | |
| höchstens nachmachen, nie verfälschen. | |
| Vor fast 20 Jahren hatte Udo seine gesamte panische Gestalt kurzzeitig an | |
| die Telekom verkauft, hatte mit „Dödndödündö!“ gar deren Audiojingle | |
| nachgenäselt. Geschadet hat es ihm nicht. Sein Image saß da schon | |
| bombenfest am schlaksigen Körper, zu stark war der Glaube der | |
| konzernkritischen Öffentlichkeit an das Gute im Udo. | |
| Lindenberg ist einer jener Menschen, die als junger Mann – dank Hut, | |
| Brille, verzogener Schnute – erwachsen aussahen, und jetzt, als | |
| potenzieller Pensionär, gerechterweise nicht wirklich alt. Denn das, was | |
| ihn ausmacht, ist geblieben. Und wird, wenn es so weitergeht, auch noch 30 | |
| bis 40 Jahre bleiben. Es sei denn, es gäbe irgendwann einen Filzhutengpass. | |
| Das steht nicht zu befürchten. Jenni Zylka | |
| ## Sprache so, ey | |
| Wenn Musiker auf Deutsch über Liebe singen, möchte man ihnen meist | |
| empfehlen, sofort damit aufzuhören. Eine Leistung ist daher gar nicht hoch | |
| genug anzuerkennen: Udo Lindenberg hat ergreifende Liebeslieder auf Deutsch | |
| komponiert. | |
| Dazu zählen politische Songs wie der Chanson „Mädchen aus Ostberlin“ | |
| (1973), das rockigere „Du knallst in mein Leben“ (1983), selbst Spätwerke | |
| wie „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ (1988) – im Prinzip simple | |
| Schlager – entwickeln eigene Kraft. Friedrich Hollaenders „Ich weiß nicht, | |
| zu wem ich gehöre“ kann niemand singen wie Marlene Dietrich – Lindenberg | |
| ausgenommen. Man könnte weiter aufzählen: „Radio Song“ (1976) und „Bitte | |
| keine Love Story“ (1974) sind (wieder) zu entdecken. | |
| Gemein ist diesen Songs, dass sie musikalisch recht gewöhnlich sind. Ja, | |
| teils kitschnah und einfallslos. Als Songs, das kann man anhand von | |
| Coverversionen studieren, funktionieren sie durch Lindenbergs Gesang. Es | |
| braucht das Spröde, das Schwache, das Coole in Lindenbergs Stimme, um diese | |
| Songs zu dem zu machen, was sie sind. | |
| Zum Lindenberg-Sound gehören auch Texte. Nur er konnte in der | |
| Bundesrepublik über „so ein ganz heißes Mädchen aus Pankow“ singen, das … | |
| gern treffen würde, wären da nicht „Nervereien“ mit dem „Tagesschein“… | |
| so, „ey“. Kleinigkeiten in Performance und Sprache machen die Songs | |
| unverwechselbar. Lindenberg singt nicht nur alltäglich, nachvollziehbar | |
| über Liebe, sondern auch in eigener Udo-Diktion – aus der Liebsten wird | |
| etwa die „Komplizin“. | |
| Noch etwas ist angenehm: Es drückt nicht all das Gewicht der Welt, auch | |
| nichts Larmoyantes, auf seine Musik. Immer wirkt es leicht und lakonisch, | |
| auch das unterscheidet Lindenberg von den pathosbeladenen Sängerinnen und | |
| Sängern des Landes. Am Ende empfiehlt Lindenberg, wie in „Bitte keine Love | |
| Story“, Hausmittel gegen Kummer: „Dann renn’ ich in die nächste Kneipe u… | |
| besaufe mich total / Oder ich werfe Beruhigungspillen ein / Das müssen | |
| allerdings ziemlich viele sein.“ Das macht ihn sympathisch. Jens Uthoff | |
| ## Panik in Großbuchstaben | |
| „Easy“, „Gene Galaxo, der Mutant“, „Dröhndiskothek“. Kneipenslang, | |
| Kunstworte, ein eigener Sprachsound. Das fällt mir als Erstes bei der Musik | |
| von Udo Lindenberg ein. Als Zweites seine Gürtelschnalle mit dem Wort PANIK | |
| in Großbuchstaben. Mehr Glam war nicht im Westdeutschland der Siebziger. | |
| Schlaueres Branding auch nicht: Lindenbergs Band hieß Panik-Orchester, dann | |
| gründete er sogar die Panik-Partei. Neben Rio Reiser war Lindenberg der | |
| Erste, der auf Deutsch texten konnte, ohne dass es unangenehm roch. | |
| Bald wurde er Fixstern einer Szene um den Club Onkel Pö in | |
| Hamburg-Eppendorf. Ihr Lokalkolorit wurde damals erfolgreich vermarktet. | |
| Und Lindenberg ging als Muckertype aus ihr hervor. Er drummte, etwa mit | |
| Klaus Doldinger bei der Titelmelodie der ARD-Serie „Tatort“. | |
| An Lindenbergs Solokarriere haben illustre Gestalten wie der TV-Produzent | |
| Horst Königstein geschraubt. Trotzdem steckte er viele Klatschen ein: Beim | |
| Agitprop klang es oft unbeholfen sozialdemokratisch. Jedoch: Bereits Mitte | |
| der Achtziger sang er über Neonazis, „schmeißen grölende Germanen Gangs / | |
| Granaten in die Kebabläden rein“. | |
| Ohne viel Aufhebens hat er für Kollegen gedichtet. Das spätpsychedelische | |
| Kleinod „Unser freies Lied“ (1978), ein Album mit deutschen Versionen von | |
| Songs des italienischen Cantautore Lucio Battisti, geht auf sein Konto. Es | |
| lief im „Gastarbeiterradio“, hinterließ bleibenden Eindruck beim Autor. | |
| „Stell dein Motorrad doch bitte mal leiser / Das fänd ich schön“, fängt | |
| Battisti zart zu singen an. Denkt an das Mädchen Lucia, das einen | |
| Streifenwagen angemalt hat: renitent, unbeschwert, ein wenig angetörnt. | |
| Sprachlich bleibt der Macho abgerüstet, dank Panik-Udos Mosaiklyrik. Grund | |
| genug für eine Gratulation! Julian Weber | |
| 17 May 2016 | |
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