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# taz.de -- Schlager gegen Rechts: Da muss ich meinen Manager fragen
> Udo Lindenberg wirft Helene Fischer vor, sie sage nichts zur politischen
> Situation. Das zu tun ist aber auch ein Geschäftsmodell.
Bild: Darf sie? Will sie? Muss sie? Helene Fischer äußert sich nicht zur poli…
Demnächst wird Udo Lindenberg als „Düsseldorfer des Jahres“ geehrt. Das t…
dieser Stadt am Rhein gut, auf den 5. Dezember, den Tag der Ehrung, freut
sich der Einvernommene sehr. Im Interview mit der Rheinischen Post, dem
Zentralorgan der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, verbreitet der
gebürtige Gronauer viel gute Laune – wird dann aber auch böse.
Seiner Kollegin Helene Fischer nämlich macht er den Vorwurf, sie sage,
anders als Udo Lindenberg und viele andere aus seinem Milieu, nichts zur
aktuellen politischen Situation: „Wenn mehr Leute was machen, sich
positionieren würden, auch aus der Schlagerecke. Wenn von Helene Fischer
auch mal ein Statement käme gegen Rechtspopulismus. Aber es gibt viele, die
äußern sich prinzipiell gar nicht, die sagen, wir sind reine Entertainer.“
Und führt dann noch die – klassische – Riege jener an, die, was die
Statement-Aussagerei anbetrifft, es Lindenberg gewöhnlich gleichtun:
Herbert Grönemeyer, BAP & Niedecken, die Toten Hosen, Jan Delay oder
Clueso.
Allerdings geht der Vorwurf ins Leere – denn sich zum Guten, Wahren &
Schönen, also zum klassischen linken und alternativen Welthaltungsprogramm
zu bekennen, mag auch eine krasse Herzenssache sein, aber: Es gehört mit
zum Geschäftsmodell. Jeder Musiker, jede Musikerin verkauft nicht nur Noten
und Texte, sondern auch sich selbst. Menschen, die, wie es so unschön
heißt, „für etwas einstehen“.
1975 trug sich die für die Sängerin Su Kramer („Wie das Wasser so fließt
die Zeit“) unschöne Geschichte zu, dass sie vom Stern zu etwas Politischem
befragt wurde. Und die frühere „Hair“-Darstellerin ist so bescheuert,
ehrlich zu sagen (und das auch noch zur Veröffentlichung freizugeben):
„Diese Frage kann ich nicht beantworten, ohne mit meinem Manager oder mit
meiner Plattenfirma gesprochen zu haben.“ So erledigte sie sich, die sich
selbst zur Unmündigen gemacht hatte, mit wenigen Worten selbst: Sie wusste
einfach nicht, dass damals schon die Zeiten der politischen
(Pseudo-)Authentizität begonnen hatten.
## Die Marke Lindenberg
Für nur wenige Künstler der vergangenen 70 Jahre war es wirklich eine
existenzielle Geschichte, sich für den politischen Kanon der Linken und
Alternativen einzusetzen. Harry Belafonte in den USA etwa, der in seinem
Land bis Ende der sechziger Jahre unter Rassismus zu leiden hatte: Weiße
Künstlerinnen durften ihn in Shows nicht berühren – bis das Tabu die
berühmte Britin Petula Clark brach. Das war ernsthaft politisch, und das
verdient jede Überlieferung im Sinne von: grenzverletzend, notwendig,
anständig, couragiert.
Jedoch: Dass Lindenberg zu den Guten zählt, in unserem Sinne, ist ja
ohnehin keine Überraschung. Udo Lindenberg verwandte sich schon 1978
öffentlich für die Wahl der Bunten Liste/Wehrt Euch – und das hätte er, der
Logik aller Geschäftsmodelle in den populären Künsten gemäß, nicht tun
müssen. Lindenberg war ja schon ein Erfolgreicher, damals, „Hoch im Norden“
und „Alles klar auf der Andrea Doria“ oder „Ball Pompös“ immer in den
Charts, erfolgreich in seinem Genre wie kein anderer. Aber er konnte sich
dies nicht nur leisten. Seine Welthaltungen („Statements“) waren Teil
seines Geschäftsmodells: Ohne diese Bekundungen wäre er als Marke „Udo
Lindenberg“ kaum mehr als ein Westfale, den es dauerhaft auf Tournee treibt
und der öfter in Hamburg in einem Klassehotel Station macht.
## Die proletarischen Gründe der Republik
Singen also Lindenberg, Delay, Grönemeyer gegen Rechtspopulistisches, tun
sie das auch, weil das Publikum es nachgerade erwartet. Insofern predigen
diese Künstler vor ohnehin schon Bekehrten. Helene Fischer könnte in der
Tat in ihren Konzerten Gutherziges, politisch Angemessenes sagen: Aber wenn
sie es nicht tut, entspricht auch dies ihrem Businessplan.
Die nur in Millionen zu zählende Kundschaft dieser Performerin ist, anders
als bei Künstlern wie Lindenberg, tatsächlich nicht deckungsgleich mit
einer Vorliebe für rot-grüne Politiken. Aber abgesehen davon, dass, anders
als Lindenberg, die blonde Chanteuse als nach Deutschland migriertes Kind
(sie stammt aus Krasnojarsk, tiefstes Russland), typisch Aufsteigerin,
keinen Raum für Politisches sich leisten kann (oder gönnen will, je nach
Lesart), repräsentiert sie eine Kunstform des Populären, die nicht im
Mittelschichtig-Dauereingeweihten zu Hause ist, sondern eben auch die
proletarischen Gründe der Republik mit bedienen muss. Und diese legen Wert
auf schöne Konzertabende, die nicht agitatorisch verfremdet werden.
Andererseits lebt die Szene um Udo Lindenberg auch von Abgrenzung – zum
Schlager hin. 1985, als das Charity-Projekt „Nackt im Wind“ geboren wurde,
ein Soli-Lied vieler Künstler im Fahrwasser der Bob-Geldof-Aktion „Live
Aid“ („We Are The World“ mit Konzerten in London und Philadelphia) war
Gitte Hænning okay (die war gerade zum sie ökonomisch verwöhnenden Schlager
auf Distanz und verlegte sich auf „cooleres“ Zeug), aber nicht Cindy & Bert
oder Joy Fleming: Sie waren rufschädigende Elemente auf der Produktion
gewesen, so sagten diese Künstler. Geschmacksigittigitt? Nein,
selbstbesoffen wollte man die nicht dabei haben.
## Der Held Roland Kaiser
Insofern: Lindenberg und andere haben gute Gesinnungen und üben sich darin
auch in „Selbstberauschung“ im Einvernehmen mit sich und dem Publikum –
zugunsten einer Welt, die sie gern hätten. Fein, das! Andere entscheiden
sich anders. Helene Fischer will offenbar nicht.
Aber einer dann doch, auch wenn er dafür kaum Lob aus der Pop-Szene
erhalten hat: Roland Kaiser, ein Mann, der alles schon hinter sich hat und
den Rest jetzt als Zugabe nimmt: Nummer-1-Hits („Santa Maria“, „Joana“,
„Schach-Matt“ o. ä.) – Roland Kaiser. Der trat Anfang 2015 in Dresden auf
bei einer Kundgebung gegen Pegida. Und empörte sich über „die inhumane
Flüchtlingspolitik“ wie er sich auch wünschte, „die Zeit der Sündenböcke
sollte der Vergangenheit angehören“. Für den Schriftsteller Marcel Beyer,
der demnächst den Georg-Büchner-Preis zuerkannt bekommt, ist dieser Mann,
so schrieb er in der Welt zu Recht, ein „Held“ – Kaiser, der wirklich tief
im Segment des Schlagers segelt, erntete von einigen seiner Fans heftige
Missbilligung. Nun wolle man nicht mehr in seine Konzerte gehen.
Um den Clou dieser Intervention zu unterstreichen: Kaiser riskierte etwas,
von dem Lindenberg & Co. nicht einmal ahnen, dass in dieser Hinsicht ein
Risiko liegen könnte. Streit mit der eigenen Fanbase – eigentlich, sagen
Plattenfirmen und Manager, die ökonomische Todsünde schlechthin.
4 Nov 2016
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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