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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Was die Grenzen wert sind
> Die Autobranche weist den Weg: Limits für Schadstoffe sind was Schönes,
> weil sich keiner dran hält. Das erspart uns eine Menge Ärger.
Bild: Das ist sie, die Vergangenheit
Der Rat des Experten war klar: „Kauf dir einen Diesel!“, sagte mir vor elf
Jahren der Mann, der heute auf allen Kanälen gegen die Dieselmotoren
wettert. Wir werden eben alle immer klüger. Damals waren die Kinder jung,
wir gingen für ein paar Jahre ins Ausland und brauchten etwas Fahrbares. Es
wurde also ein Opel Zafira, auch wenn mir heute bei dieser Beichte die Hand
zittert.
Der Wagen ist zum Familienmitglied geworden, obwohl ich nicht dazu neige,
einen verbeulten Haufen aus Blech, Gummi und klebrigen Sitzen mit großem
emotionalem Mehrwert schönzureden. Gern erinnern wir uns an die
Sternstunden im Opelblitz: Wie unser ältester Sohn auf der
Autobahnraststätte den Zündschlüssel im Wagen einschloss; wie unsere
Tochter die Karre bei der illegalen Fahrschule im Wendland in den Graben
setzte; wie unser Jüngster das Auto schon vor dem Besuch im Haribo-Museum
vollkotzte.
Doch damit ist es nun natürlich vorbei. Wenn wir unseren Zafira zufällig
auf der Straße sehen, tun wir so, als ob wir ihn nicht kennen. Meine Frau
schleicht nur noch geduckt im Schutze der Dunkelheit zum Fahrzeug, wenn sie
zum Frühdienst fährt.
Dabei, ganz ehrlich: Was ist passiert? Opel hat offenbar ähnlich
geschummelt wie VW. Der Zafira pulverisiert alle Grenzwerte für Stickoxid.
Aber daran haben wir uns doch in den Zeiten von „Dieselgate“ gewöhnt, und
die zuständigen Behörden wissen es noch viel länger. Ein Skandal, klar.
Aber das eigentliche Problem sind doch nicht die Grenzüberschreitungen der
Autokonzerne. Es sind die Grenzwerte.
Grenzen sind doch nichts mehr wert, das hat meine Generation seit 1989 zum
Dogma erhoben. Wer konnte denn ahnen, dass 2015 ganz Deutschland – mit
Ausnahme von Angela Merkel und der taz – plötzlich wieder großen Wert auf
seine Grenzen legt! Die Autoindustrie jedenfalls nicht. Und deshalb gelten
diese „Werte“ für sie ja auch nicht so richtig. Die nämlich werden völlig
an den Bedürfnissen der Industrie vorbei festgelegt. Das muss man sich mal
vorstellen: Grenzwerte werden bestimmt, weil sie unsere Gesundheit und
Umwelt schützen sollen. Total irre!
## Die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft
Aber zum Glück greift die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft ein: Die
Motoren dürfen deshalb ganz legal die Grenzwerte für Stickoxide um das
Doppelte überschreiten, hat die EU-Kommission auf sanften Druck der
Autobauer eingeräumt. Und weil das eben nicht konform ist mit dem sonst so
hochgelobten Vorsorgeprinzip, heißt die Berechnung mit EU-eigener Ironie
„Konformitätsfaktor“. Auch beim CO2 wird nichts so heiß gegessen, wie es
aus dem Turbolader kommt. Gesundheitsgefahren? Ja ist denn das Leben nicht
lebensgefährlich?
Dieser Wirbel um Höchstdosen, die aus wissenschaftlicher Sicht für Mensch,
Tier und Umwelt gerade noch vertretbar sind, ist doch eh von gestern. Macht
euch mal locker! Die schöne neue Konformitätswelt könnte auch anderswo zum
Vorbild werden: Wir können doch auch an der Obergrenze für Glyphosat so
lange von Experten herumrechnen lassen, bis der Stoff ungiftig wird. Unser
Grenzwert für radioaktive Strahlung? Ah, das ist so neunziger Style, heute
macht uns ein bisschen Radon doch aktiv! Emissionslimits für Quecksilber
und Dioxin aus Kraftwerken? Könnten wir doch auch in der Pfeife rauchen.
Beim Tempolimit machen wir es schon seit Jahren vor: Erst ein
Tempo-30-Schild aufstellen, dann die Radarfallen abbauen.
Hier ist mein grenzwertiger Vorschlag: Wir kehren all die Obergrenzen auf
einen Haufen. Sie werden umbenannt in „unverbindliche
Schadstoffhöchstmengenempfehlungen, präsentiert von führenden
Bundesministerien“. Das erspart uns eine Menge Ärger, Aufregung und
Bürokratie. Und sichert uns jede Menge Grenzerfahrungen.
21 May 2016
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Emissionen
Opel
Umweltverschmutzung
Dieselskandal
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Klima
Auto-Branche
Joachim Gauck
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