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# taz.de -- Prozess gegen türkischen Journalisten: Can Dündar vs. Tayyip Erdo…
> Der Prozess ist eine Auseinandersetzung zwischen Dündar und dem
> Präsidenten. Weltweit dürfte dieser Prozess vor allem Erdogan geschadet
> haben.
Bild: Vorne am Mikro: Can Dündar (r.) und Erdem Gül
Istanbul taz | Am Freitagabend ist der Journalist Can Dündar in einem
aufsehenerregenden Prozess in Istanbul zu knapp sechs Jahre Gefängnis
verurteilt worden. Er soll Staatsgeheimnisse verraten haben, weil er als
Chefredakteur von Cumhuriyet, gemeinsam mit dem Hauptstadtkorrespondenten
der Zeitung, Erdem Gül, der dafür fünf Jahre bekam, Berichte über illegale
Waffentransporte des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien
veröffentlichte.
Sechs Jahre Haft für einen Journalisten, der nicht nur seine Arbeit macht,
sondern damit auch noch einen besonderen Coup hingelegt hat, sind natürlich
ein Skandal, einerseits. Andererseits ist der Ausgang dieses ersten
Prozesses – weitere werden folgen – auch Ausdruck des erfolgreichen
Widerstandes eines Journalisten gegen einen scheinbar allmächtigen
Staatspräsidenten.
In dem Verfahren gegen Can Dündar und Erdem Gül geht es nicht einfach
darum, ob eine bestimmte Veröffentlichung presserechtlich zulässig ist oder
nicht. Der Prozess ist eine persönliche Auseinandersetzung zwischen Can
Dündar und Präsident Tayyip Erdogan, der in gewisser Weise stellvertretend
für die beiden Seiten der türkischen Gesellschaft ausgefochten wird.
## Islamistisch vs. säkular
Erdogan ist zwar Staatspräsident, er ist aber in erster Linie der Anführer
der türkischen Islamisten, der die Gesellschaft radikal in seinem Sinne
verändern will. Can Dündar dagegen ist der Prototyp der modernen, säkularen
Türkei, weit mehr als alle türkischen Oppositionspolitiker, die diesen Teil
der Gesellschaft zu vertreten vorgeben. Dündar ist gebildet, er hat an den
renommiertesten Universitäten Ankaras studiert und darüber hinaus einen
Master in Journalismus in London gemacht.
Er ist weltgewandt, er sieht gut aus, er ist ein Hedonist, der das Leben
und die Frauen liebt und er ist mutig. Er ist auch nicht nur Journalist. Er
hat etliche Filme gemacht und Bücher geschrieben, die über den
Tagesjournalismus hinausgehen. Er war Fernsehmoderator, solange türkische
TV-Sender sich noch getraut haben, einem wie Dündar eine Sendung zu geben.
Er kommt aus einem republikanischen Elternhaus, sein Vater war zeitweilig
sogar beim Geheimdienst, mit anderen Worten, er ist alles das, was Erdogan
nicht ist und was dieser ablehnt.
Die Unterstützung der islamistischen syrischen Opposition gegen Assad ist
dagegen Erdogans ureigenes Projekt. Er will dadurch zukünftig seine Macht
auf Damaskus ausdehnen. Die Veröffentlichung seiner geheimen
Waffentransporte in Cumhuriyet war für ihn deshalb eine persönliche
Kampfansage. Er schäumte vor Wut und drohte Can Dündar öffentlich Rache an.
Dündar werde dafür bezahlen. Erdogan persönlich zeigte Dündar an und
Erdogan persönlich schickte seine Anwälte als Nebenkläger in den Dündar
Prozess.
Doch das Verfahren läuft nicht so, wie Erdogan erwartet hat. Erdogan will
Dündar vernichten, doch das gelingt ihm nicht. Zunächst einmal funkte das
Verfassungsgericht dazwischen. Nach drei Monaten Untersuchungshaft für
Dündar und Gül, befanden die obersten türkischen Richter die U-Haft sei
rechtswidrig. Die Begründung der Verfassungsrichter hätte eigentlich dazu
führen müssen, dass der Prozess beendet wird, doch traute die türkische
Justiz sich das nicht, weil Erdogan schäumte und jedem Richter indirekt
drohte, der es wagen sollte, das Verfahren einzustellen.
## Spionage ohne Spionage
Als nächstes musste die Staatsanwaltschaft den offensichtlich absurden
Vorwurf der Spionage fallen lassen, denn es fand sich keine feindliche
Macht, für die Dündar und Gül spioniert haben könnten. Der genauso absurde
Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wurde vom
Prozess abgetrennt, er soll vielleicht später noch einmal aufgegriffen
werden.
Und obwohl Erdogan dafür gesorgt hatte, dass der Prozess gegen Dündar unter
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, war schon lange kein Prozess in
der Türkei mehr so öffentlich wie dieser. Unerschrocken vertritt Can Dündar
seine Position und unerschrocken kritisiert er den Präsidenten. Weltweit
dürfte dieser Prozess vor allem Erdogan geschadet haben.
Jetzt haben die Richter auf sechs Jahren Gefängnis entschieden. Erdogan
hatte mindestens zweimal lebenslänglich erwartet. Das Urteil ist noch nicht
rechtskräftig, nun ist erst einmal das Oberste Berufungsgericht Yargetay an
der Reihe. Can Dündar und Erdem Gül sind weiterhin auf freiem Fuß. Die
Vernichtung eines Gegners sieht anders aus. Dass ein offenbar aufgehetzter
Nationalist in der Prozesspause auf Can Dündar geschossen hat, zeigt,
welche gefährlichen Aggressionen Erdogan freilegt. Auch das gefällt vielen
Menschen in der Türkei nicht.
Selbst wenn Can Dündar am Ende für ein paar Jahre ins Gefängnis muss, er
hat durch seinen Mut und seine Argumente längst ein unzerstörbares Zeichen
des Widerstandes und der Hoffnung gegen das Erdogan-Regime gesetzt.
7 May 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Can Dündar
Cumhuriyet
Pressefreiheit in der Türkei
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