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# taz.de -- Prozess gegen türkischen Journalisten: Erst beschossen, dann verur…
> Der Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ wird zu fast sechs
> Jahren Haft verurteilt. Und vor dem Gericht wird auf ihn geschossen.
Bild: Can Dündar vor dem Gericht
Istanbul dpa | Im Prozess gegen regierungskritische Journalisten in der
Türkei ist der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet zu fünf Jahren und zehn
Monaten Haft verurteilt worden. Das Gericht in Istanbul hat Can Dündar der
Veröffentlichtung geheimer Dokumente schuldig befunden. Auch der Bürochef
seiner Zeitung in Ankara, Erdem Gül, muss wegen des Verrats von
Staatsgeheimnissen für fünf Jahre ins Gefängnis.
Der Vollzug der Haftstrafen wurde von dem Gericht in Istanbul ausgesetzt.
Sie sollen erst dann gültig werden, wenn sie vom Berufungsgericht überprüft
wurden. „Wir werden weiterhin unsere Arbeit als Journalisten erledigen“,
sagte Dündar nach der Urteilsverkündung. Daran könnten „alle Versuche, uns
zum Schweigen zu bringen“, nichts ändern.
Vor der Urteilsverkündung war ein Anschlag auf Dündar verübt worden. Dündar
blieb bei den Schüssen des Attentäters vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul
am Freitag unverletzt. Dündar sagte dem Sender CNN Türk in einem Telefonat
über den Angreifer: „Aus nächster Nähe hat er geschrien, Du bist ein
Vaterlandsverräter.“ Dündar und dem Hauptstadtkorrespondenten der
Cumhuriyet, Erdem Gül, wird in dem hoch umstrittenen Prozess unter anderem
Geheimnisverrat vorgeworfen.
Dündar sagte: „Ich kenne den Attentäter nicht, aber weiß sehr genau wer ihn
ermutigt und mich zur Zielscheibe gemacht hat.“ Er hoffe, dass das Attentat
denjenigen, die seit Monaten gegen ihn Stimmung gemacht hätten, „eine
Lehre“ sei. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP und besonders
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatten Dündar und Gül öffentlich immer
wieder scharf angegriffen. Eine dpa-Reporterin berichtete, nach dem
Anschlagsversuch sei Dündar von Anwälten umringt und in Begleitung seiner
Ehefrau zurück ins Gericht gebracht worden.
Das Gericht hatte sich am Freitag zu Beratungen über das Urteil
zurückgezogen, als es gegenüber vom Haupteingang des Justizgebäudes zu dem
Attentat kam. Dündar sagte, er sei mit seiner Ehefrau auf dem Weg in ein
Café gewesen, um dort auf die Urteilsverkündung zu warten.
Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie der in einen Anzug gekleidete
Attentäter widerstandslos festgenommen wurde. CNN Türk berichtete, bei ihm
handele es sich um einen im Jahr 1976 im zentralanatolischen Sivas
geborenen Mann. Ein türkischer Journalist, der zur Berichterstattung vor
dem Gerichtsgebäude war, sei durch einen Streifschuss leicht verletzt
worden. Nach den Schüssen sei Panik ausgebrochen. Die Verhandlung sollte am
Freitagabend nach Angaben von Dündars Anwalt Bülent Utku wie geplant
fortgesetzt werden.
## Anklage fordert 25 Jahre Haft
Der Prozess gegen Dündar und Gül war am Freitagvormittag in seine
Schlussphase gegangen. Dündar-Anwalt Utku hatte vor Beginn der Verhandlung
gesagt, eigentlich rechne er mit einem Freispruch. „Aber bei politischen
Prozessen weiß man ja nie.“
Dündar und Gül wurden unter anderem die Veröffentlichung geheimer Dokumente
sowie der versuchte Sturz der Regierung und die Unterstützung einer
Terrororganisation zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft hatte
ursprünglich lebenslange Haft für die beiden Journalisten gefordert.
Zuletzt hatte die Anklage beantragt, die Vorwürfe der Terrorunterstützung
und des Putschversuches in einem gesonderten Verfahren zu behandeln. Für
den angeblichen Geheimnisverrat forderte sie 25,5 Jahre Haft für Dündar und
zehn Jahre Gefängnis für Gül.
Hintergrund der Anklage ist ein Cumhuriyet-Bericht über angebliche
Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien aus dem vergangenen
Jahr. Staatspräsident Erdogan hatte Anzeige gegen Dündar und Gül erstattet.
Sowohl Erdogan als auch der türkische Geheimdienst MIT wurden als
Nebenkläger zugelassen.
## Öffentlichkeit ausgeschlossen
Die Anklage war international als Schlag gegen die Pressefreiheit in der
Türkei gewertet worden. Der Prozess hatte unter großer öffentlicher
Aufmerksamkeit am 25. März begonnen. Schon am ersten Verhandlungstag wurde
die Öffentlichkeit ausgeschlossen, was zu scharfer Kritik führte.
Dündar und Gül verbrachten drei Monate in Untersuchungshaft, bevor das
Verfassungsgericht Ende Februar ihre Freilassung anordnete. Erdogan hatte
die Entscheidung des Obersten Gerichts mit den Worten kritisiert: „Ich sage
es offen und klar, ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung
nicht, ich respektiere sie auch nicht.“
6 May 2016
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