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# taz.de -- „Ende Gelände“-Protest in der Lausitz: Erfolg für die Antikoh…
> Tausende haben Tagebauanlagen und ein Kohlekraftwerk in der Lausitz
> besetzt. Sie kamen mit Dixi-Klos und Shuttle-Service.
Bild: Besetzt: Tagebau-Bagger in Welzow
Welzow taz | Es ist Samstag, 10.32 Uhr, als ein Mann in einem weißen
Overall fast unbemerkt vor sich hin spricht: „Hinten steht alles. Es kann
losgehen.“ Die Funkvorrichtung, die von seinem Ohr am Kinn entlang zu einem
Funkgerät am Gürtel führt, ist kaum sichtbar, aber doch: Da steckt ein
Knopf in seinem Ohr. Ein kleines Mikrofon verbirgt sich abgeschirmt in
seiner rechten Hand. Er gibt den Startsignal an die Spitze des
Besetzermarsches. Die Aktion beginnt.
Rund 400 Menschen in weißen Ganzkörperanzügen stehen jetzt, aufgestellt zu
einem Block, bereit. Ein Shuttle-Service aus acht Reisebussen hat sie
soeben in dem kleinen Ort Terpe in Brandenburg, nahe dem Kohlekraftwerk
Schwarze Pumpe, abgesetzt. Und dann ziehen sie los auf die Schienen, vorbei
am Ortsausgangsschild von Terpe. Darauf steht: „Glückauf“. Der Gruß der
Kohlearbeiter.
45 Minuten später ist der zentrale Schienenknoten, über den das
brandenburgische Energiekraftwerk Schwarze Pumpe mit Braunkohle aus den
umliegenden Tagebauten beliefert wird, von einer Blockade betroffen.
Zwei besetzte Schaufelradbagger. Eine besetzte Verladestation. Ein von
einer Betonpyramide blockiertes Gleis. Eine von Kletteraktivisten besetzte
Brücke. Und schließlich ein Sturm auf das Kraftwerksgelände selbst, bei dem
einige an den Türen zur Schaltleitzentrale rütteln: Insgesamt rund 3.000
Menschen haben am Wochenende das Kraftwerk vom Kohlenachschub
abgeschnitten.
## Eine historische Blockade
Als am Samstagnachmittag die Blockaden seit teilweise über 24 Stunden
stehen, hat die Anlage ihre Leistung bereits gedrosselt. Von den zwei
Kühltürmen dampft nur noch einer. Betreiber Vattenfall wird später
vermelden: Nur die zusätzliche Energieerzeugung durch starken Wind
verhindert an diesem Wochenende einen Energieengpass in der Region.
Erst am Sonntagnachmittag, als die Aktivistinnen aus ganz Europa ihre
Blockaden nach über 48 Stunden beenden und die Polizei die letzten von
ihnen schließlich doch räumt, normalisiert sich die Situation. Es war eine
historische Kraftwerksblockade. Sie hat eine lange Vorgeschichte und wurde
organisiert von einer jungen europäischen Klimabewegung, die sich vor allem
auf eines versteht: Logistik.
Ebenfalls an diesem Samstag, einige Stunden später, setzt wenige Kilometer
vom Örtchen Terpe entfernt ein großer Jubel ein. Hier, an der
Verladestation zwischen Tagebau und Kohlekraftwerk, haben sich bereits am
Freitag Hunderte Klimaaktivisten eingerichtet.
Oben auf dem Turm der Dutzende Meter hohen Anlage haben französische
Umweltaktivistinnen ihr Quartier aufgeschlagen. Darunter ruhen Besetzer aus
Schweden, Tschechien und Polen, versteckt hinter provisorisch errichtetem
Windschutz und Transparenten. Und unten, zwischen den Gleisen, wo sich am
Boden zentimeterhoch feinster Kohlestaub angesammelt hat, liegen einige
hundert auf Isomatten und Strohsäcken im Staub. Sie tragen Mundschutz. In
ihren Nasen- und Augenwinkeln, in ihren Ohrmuscheln hat sich porentief
Staub abgesetzt.
## Lieferservice frei Haus
Nun, am Samstag um 17.14 Uhr, klatschen und jubeln sie alle. Gerade treffen
zwei frische Dixi-Toiletten ein. Ein Transporter bringt sie auf einem
Anhänger. Auch an Essen mangelt es ihnen nicht. Alle paar Stunden kommt das
Logistikteam aus dem Protestcamp mit Nachschub in großen Töpfen: Für all
die Hunderte, die da draußen irgendwo das Kohlekraftwerk blockieren, die
Schienen oder den Tagebau gibt es am Wochenende den Lieferservice frei
Haus: warme Pastinakencremesuppe, Rote-Beete-Salat. Manche sagen, was hier
geboten wird, tauge als Reisepaket – bei Neckermann Adventures.
Denn es gibt ja nicht nur Angebote in Sachen Aktivurlaub, es gibt hier für
alle auch die Chillout-Arena: In einem hellblauen Zelt in dem Protestcamp
bei Proschim, wo es WLAN und Vollverpflegung gibt, hat das Welcoming-Team
eine Lounge eingerichtet. Dort liegen Kissen und Decken auf dem Boden
bereit, der Empfangsschalter ist mit frischen Blumen dekoriert. Es fehlen
hier nur die organisierten Fußmassagen, aber da legen die Aktivistinnen und
Aktivisten gegenseitig Hand an. Entspann dich, du kannst das.
Dass die Stimmung an diesem Pfingstwochenende beim mutmaßlich größten
Basisgruppentreffen von Klimaaktivistinnen lange so außerordentlich
entspannt war, hatte einen Grund: [1][Polizei und der Betreiber Vattenfall
ließen sie zwei Tage lang bei fast allem, was sie taten, gewähren].
Offenbar sollte sich nicht wiederholen, was sich bei einer
[2][Vorgängeraktion im August 2015] im Tagebau Garzweiler ereignet hatte.
Dort hatten sich der Werkschutz von RWE und die Polizei mit den Besetzern
heftige Auseinandersetzungen in der Tagebaugrube geliefert und sich damit
viel öffentliche Kritik eingehandelt – auch weil die Polizei sich teils in
RWE-Fahrzeugen durch die Gelände fahren ließ.
Und so empfing auch der Vattenfall-Konzern die Besetzer dieses Mal mit
liberaler Pose: Die Betreiberfirma hatte die Arbeiten im Tagebau Welzow-Süd
bereits vorsorglich eingestellt und ihre Mitarbeiter angewiesen, freundlich
und kooperativ mit den anrückenden Umweltaktivisten umzugehen. Das taten
sie, sofern sie im Dienst waren, auch tatsächlich. Und doch waren viele von
ihnen offensichtlich fassungslos über den Verlauf der Besetzung.
## „Von allen im Stich gelassen“
Stephan Kliesch, 32, arbeitet als Hilfsgerätefahrer am Tagebau Welzow-Süd.
Er steht an diesem Pfingstsonntag am Fuße einer besetzten Gleisbrücke und
blickt zu den Besetzern hoch. „Wir“, sagt Vattenfall-Arbeiter Kliesch,
„werden hier einfach von allen im Stich gelassen: von der Polizei, von der
Landesregierung und auch von Vattenfall.“
Sein Arbeitgeber will die Kohleförderung, von der in der Region Tausende
Arbeitsplätze abhängen, beenden und das zunehmend unrentable Geschäft mit
dem fossilen Brennstoff abstoßen. Dafür will Vattenfall dem neuen Besitzer
sogar noch 1,7 Milliarden Euro zusätzlich zahlen. Kliesch sagt: „Diese
Aktivisten pissen und scheißen hier auf unsere Geräte. Die können hier
machen, was sie wollen. Da bist du einfach verloren.“
Ein paar Meter hinter ihm stehen noch andere Anwohner, darunter ein Mann
mit einer Glatze, der einen Elektroschocker in der Hand hat. Ein
Klimaaktivist will gerade mit seinem Auto den Parkplatz verlassen. Der Mann
hält seinen Elektroschocker vor das Auto und betätigt ihn. Es surrt. Dann
sagt er zu dem Klimaaktivisten: „Leg den Rückwärtsgang ein.“ Und das tut
der Klimaaktivist in seinem roten Transporter dann auch. Schließlich ist ja
keine Polizei da.
16 May 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Martin Kaul
Malte Kreutzfeldt
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