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# taz.de -- Rückkehr eines irakischen Flüchtlings: Die Flucht ist ihm peinlich
> Nach drei Monaten in Berlin kehrt der Kurde Gaylan Mawlud freiwillig in
> den Irak zurück. Er warnt seine Freunde: Geht nicht nach Deutschland.
Bild: Gaylan Mawlud verkauft heute wieder Kleidung am Marktstand seines Bruders…
Erbil taz | Jeden Tag um 16 Uhr, wenn die Mittagshitze langsam abkühlt,
läuft Gaylan Mawlud durch die engen Gassen des Basars von Erbil zum
Marktstand seines Bruders. Bis 22 Uhr steht er hinter der Auslage und
verkauft, das Hemd für 5.000 irakische Dinar, etwa 4 Euro, die Jeans für
15.000 Dinar.
Vor einem halben Jahr lief Mawlud noch durch die Straßen Berlins, ließ sich
treiben, machte hier und da ein Foto. Abends saß er in einem Mehrbettzimmer
in einem Hostel am Alexanderplatz. Mawlud sah in glückliche Gesichter, die
Flüchtlinge, die zusammen mit ihm angekommen waren, wähnten sich am Ziel.
Mawlud nicht. Nach drei Monaten ging er zurück in den Irak. Heute warnt er
seine Freunde: „Geht nicht nach Deutschland!“
Mawlud ist einer von über 2.000 Flüchtlingen aus dem Irak, die seit
September vergangenen Jahres aus Deutschland zurück in ihr Heimatland
gegangen sind. Mehr als 2.000, die es vorziehen, in einem Land zu leben,
das unter einem Bürgerkrieg leidet und an der Front mit dem IS liegt. Warum
gehen sie zurück? Hatten sie falsche Vorstellungen vom Leben in
Deutschland? Oder sagt ihre Rückkehr auch etwas über die Verhältnisse für
Flüchtlinge hierzulande aus?
Mawlud ist kein guter Verkäufer. Um ihn herum ruft die Konkurrenz den
Passanten ihre Preise zu. Doch wer Mawlud nicht anspricht, bekommt keine
Beratung. Trotzdem läuft das Geschäft. Der Stand hat die beste Lage: am
Rand des Basars, im Schatten der Zitadelle, dem wichtigsten Monument Erbils
und Weltkulturerbe. 23 Jahre ist Mawlud alt. Mit den Händen in den
Hosentaschen steht er und wartet, dass der Tag vorbei geht.
## Wartend in Erbil
„Im letzten Sommer“, sagt Mawlud, während er Hemden zusammenlegt, „dachte
ich jeden Tag, ich muss sterben.“ Nicht aus Angst vor dem IS, der an Erbil
heranrückte. Nicht weil er politisch verfolgt wurde. „Ich habe mich hier
gelangweilt“, sagt er leise. Jeder Tag fühlte sich wie der vergangene an
und der davor: Hemden falten, auf Kundschaft warten. Am freien Tag ins Café
gehen und Wasserpfeife rauchen. Warten, bis etwas passiert, aber eigentlich
wissen: Es wird nichts passieren.
Im vergangenen Sommer sah Mawlud die Bilder im Fernsehen, von Flüchtlingen,
die nach Europa gingen. Sie sahen glücklich aus, wie sie in Lesbos aus den
Booten stiegen oder in Serbien aus den Zugfenstern winkten.
Mawlud lebt in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak. In den letzten
zwei Jahren hat es nur zwei Anschläge gegeben. Die Peschmerga feiern
Erfolge im Kampf gegen den IS – auch dank deutscher Waffen. Die
Verteidigung gegen den IS und der Konflikt mit der Zentralregierung in
Bagdad hat die kurdische Region in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Im
Nordirak leben zudem über eine Millionen Binnenvertriebene, Jesiden und
Hunderttausende syrische Flüchtlinge.
Ende Juli vergangenen Jahres fasste Mawlud seinen Entschluss, nach
Deutschland zu gehen. Sein älterer Bruder lebte schon seit vielen Jahren in
Großbritannien, bei Skype hatte er ihm gesagt: Komm zu mir. Aber Mawlud
wollte nach Deutschland. Als er seinen Eltern sagte, dass er gehen werde,
nahm seine Mutter ihn in den Arm und sagte: „Es ist dein Leben. Du sollst
es leben, wie du es möchtest.“
Mit dem Flugzeug flog Mawlud nach Istanbul, von dort aus wollte er auf dem
Landweg über die bulgarische Grenze. Mehrfach wurde er direkt hinter der
Grenze von bulgarischen Soldaten gefasst und in die Türkei abgeschoben.
„Die haben mich geschlagen,“ sagt Mawlud. Dann endlich klappte es, und
Mawlud ging den Weg, den im letzten Sommer Tausende gingen. Zu Fuß, über
Serbien nach Ungarn.
Warum macht jemand wie Mawlud diese gefährliche Reise? Er zieht den Kopf
zwischen die Schultern, die Frage ist ihm unangenehm. Suchte er einen
besseren Job? Sein Blick weicht aus, er schaut auf die Auslage mit den
Hemden. Nein, einen Plan hatte er nicht.
In Ungarn wurde Mawlud festgenommen. Einen Tag blieb er in Haft, dann zog
er weiter. Er wusste nicht, dass diese Festnahme für seine Flucht noch eine
entscheidende Rolle spielen sollte.
Zusammen mit neun anderen Flüchtlingen fuhr er nachts in zwei Autos nach
Deutschland. 650 Euro zahlte er für die Fahrt, sie wurden nicht
kontrolliert. Es war der 25. August, als Mawlud die deutsche Grenze
überfuhr. In diesem Moment war er glücklich. Er glaubte, sein Ziel erreicht
zu haben. Im Zug nach München wurde er von der Polizei aufgegriffen,
registriert und nach Berlin geschickt.
An Berlin erinnert sich Mawlud nicht gern, an das Doppelstockbett im Hostel
am Alexanderplatz, an die vier, manchmal sechs weiteren Flüchtlinge auf dem
Zimmer. Tagsüber stand er am Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz
Lageso, an, das zur gleichen Zeit zum Sinnbild für überforderte Behörden
wurde. Frühmorgens drängelten sich die Leute vor dem Eingang, und wenn es
regnete, saugten sich Mawluds weiße Turnschuhe mit Wasser voll. Jeden Tag
ging er wieder hin, es passierte: nichts. „Immer wieder haben sie zu mir
gesagt: Komm morgen wieder.“ Zwei Menschen seien dort in der Schlange
gestorben, behauptet Mawlud, das habe er von anderen Wartenden gehört.
Diese Todesfälle hat es nicht gegeben, doch das Gerücht zeigt, was ein
Flüchtling im vergangenen Herbst in Berlin für möglich hielt.
Das Leben in Deutschland, Mawlud hatte es sich anders vorgestellt.
Leichter. Die Schlange vor dem Lageso hatten sie im Fernsehen nicht
gezeigt. Die Einsamkeit, die Enge auf den Zimmern auch nicht. Zu Hause in
Erbil hatte Mawlud nicht mehr warten wollen, dass etwas passiert. Jetzt
musste er wieder warten, wochenlang. Die Langeweile, vor der er geflohen
war, hatte ihn eingeholt.
In Deutschland wurde es Winter, dunkel und kalt, und er bekam nur ein
knappes Taschengeld. Einmal kam sein Bruder aus Großbritannien zu Besuch.
Es waren glückliche Tage für Mawlud. Er wäre gern mit ihm gegangen, doch er
war in Deutschland registriert.
## Wartend in Berlin
Auf seinem Smartphone wischt er durch die Fotos aus Deutschland. Ob er
stolz ist auf die digitalen Souvenirs oder beschämt, sein Blick will es
nicht verraten. Ein Bild zeigt ihn vor dem Brandenburger Tor, ein anderes
vor dem Berliner Dom. Dazwischen der Hintern eines Mädchens, das er
heimlich fotografiert hat. Mawlud wischt schnell weiter.
Hatte er gehofft, in Deutschland eine Frau kennenzulernen? Mawlud zieht
wieder den Kopf ein. Nein, das sei nicht der Grund für seine Flucht
gewesen. Er habe nur gewusst: Besser als im Irak würde es schon sein in
Deutschland. „Ich wollte hier weg“, sagt er. Mawlud hat elf Geschwister,
sieben Brüder und vier Schwestern. Nach der sechsten Klasse brach er die
Schule ab und begann, im Laden seines Bruders zu arbeiten. Jeans und
Hemden, soll das alles gewesen sein?
Mawlud gibt der deutschen Kanzlerin die Schuld für die Situation in Berlin:
„Merkel hat gesagt, dass wir kommen dürfen“, sagt Mawlud, und muss sich
anstrengen, seine Wut zurückzuhalten. „In Deutschland habe ich gemerkt: Das
stimmt nicht. Merkel sagt etwas, aber sie macht etwas anderes.“
Als Mawlud im November endlich an der Reihe war, hatte die Sachbearbeiterin
im Berliner Landesamt eine schlechte Nachricht für ihn: Sein Fingerabdruck
sei in Ungarn registriert – von der Festnahme. Wenn er Asyl beantragen
wolle, müsse er dort hingehen.
Doch Deutschland schiebt im Herbst 2015 kaum nach Ungarn ab. Nach einem
halben Jahr Wartezeit, so lautet die Regel, hätte er in Deutschland regulär
einen Antrag stellen können. Mawlud wollte nicht kämpfen.
## Ein Flugticket und 950 Euro in bar
Die Sachbearbeiterin machte ihm ein Angebot: Sie bot ihm an, das Flugticket
nach Hause zu bezahlen, dazu 950 Euro in bar, auf die Hand. Mawlud
überlegte nicht lange. Wenige Tage später saß er im Flugzeug von Düsseldorf
nach Erbil, in seinen Händen ein Umschlag mit Scheinen.
Heute ist ihm seine Reise nach Deutschland peinlich. Die Flucht war teuer,
7.000 Dollar habe er insgesamt gezahlt. Sein Auto hat Mawlud dafür
verkauft, einen Nissan Ultima. Jetzt kommt er mit dem Sammeltaxi zur
Arbeit. Seine Freunde auf dem Basar lachen über ihn. „Von dem Geld hättest
du hier ein halbes Jahr in die Disco gehen können“, sagen sie.
Aber Mawlud geht nicht in die Disco, er geht in die Moschee, fünf Mal am
Tag. Jetzt, zum Abendgebet, geht er die Straße runter zur Moschee. Solange
er weg ist, passt sein Freund Sarkawt Sadq auf, der am Stand nebenan
arbeitet und Süßigkeiten verkauft. „Seit 3 Jahren bin ich in Erbil, seitdem
kenne ich Gaylan“, sagt Sadq. Immer sei der unzufrieden, Sadq versteht das
nicht.
Nach dem Abendgebet kommt Mawlud wieder und lehnt sich an eine
Schaufensterpuppe. In Kurdistan macht er sich keine Hoffnung auf ein
besseres Leben. Die kurdische Autonomieregierung sei korrupt, sie behandle
die Bevölkerung nicht fair. Während sein Freund Sadq sich nervös umsieht,
hat Mawlud keine Angst vor Mithörern. Im Irak gebe es keine Zukunft für
ihn, sagt er. In Erbil könne jederzeit alles passieren. „Niemand hat den IS
vorhergesagt. Und plötzlich war er da.“
Viele seiner Freunde denken darüber nach, nach Europa zu gehen. „Geht nicht
nach Deutschland!“, sagt Mawlud ihnen. Sadq vom Marktstand nebenan hat er
überzeugt. Mawlud sagt, auch er will wieder versuchen, nach Europa zu
kommen. Wo er dann hin will, weiß er noch nicht. Nur nicht nach
Deutschland.
Deutsch hat Mawlud nicht gelernt. Nur ein Wort fällt ihm noch ein:
„Tschuldigung“, sagt er.
18 May 2016
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Flucht
Rückkehrer
Nordirak
Kurdistan
Schwerpunkt Syrien
Lageso
Irak
Abschiebung
Familienzusammenführungen
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