# taz.de -- Debatte TTIP und der Mittelstand: Die große Mogelpackung | |
> Das geplante Freihandelsabkommen bringt keine Vorteile für | |
> mittelständische Unternehmen. Nutznießer wären allein globale | |
> Großkonzerne. | |
Bild: Zehntausende demonstrierten in Hannover gegen TTIP | |
Den ersten großen medialen Aufschrei bezüglich TTIP gab es vor zwei Jahren | |
rund um die sogenannten Chlorhühnchen. In allen Talkshows wurde ausgiebig | |
über deren Unappetitlichkeit diskutiert. Die politischen TTIP-Befürworter | |
reagierten schnell, um die aufgeregte Öffentlichkeit zu beruhigen: Niemals | |
würden europäische Qualitätsstandards infrage gestellt oder aufgeweicht. | |
Im Gegenteil, musste man da denken: Es bleibt alles genauso gut wie vorher, | |
nein, es wird alles besser! Die Standards werden höher, der Verbraucher hat | |
mehr Auswahl, die Produkte aus Übersee machen das Leben billiger. Die | |
Wirtschaft wächst, es gibt mehr Arbeitsplätze, und am Ende des Jahres hat | |
auch noch jeder mehr Geld im Beutel. | |
Spätestens hier müsste sich der vernunftbegabte Mensch fragen, wie diese | |
Gleichung stimmen kann. Man hat also ein System, aus dem plötzlich überall | |
viel mehr herauskommt? Es muss doch an irgendeiner Stelle entweder mehr in | |
das System hineinfließen – oder jemand hat am Ende weniger als andere. Aber | |
wer? | |
Nachdem im Verlauf des letzten Jahres bekannt wurde, dass die sich durch | |
TTIP ergebenden Wachstumsprognosen in den von EU und Bundesregierung | |
beauftragten Studien ziemlich mickrig sind (nur 0,05 Prozent pro Jahr), | |
musste ein vermeintlicher Nutznießer identifiziert werden: der Mittelstand. | |
## Keine Durchsetzungskraft | |
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind das Rückgrat der | |
europäischen Wirtschaft. KMU sind Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern, | |
sie beschäftigen in Deutschland rund 60 Prozent aller Arbeitnehmer und | |
bilden über 80 Prozent aller Auszubildenden aus. Zahlenmäßig sind 99,6 | |
Prozent aller Unternehmen in Deutschland KMU, der Umsatzanteil beträgt aber | |
nur etwas über 30 Prozent, auch im Export. | |
Was würde das Abkommen für einen mittelständischen Betrieb, zum Beispiel | |
ein Maschinenbauunternehmen mit 50 Mitarbeitern, in der Konsequenz | |
bedeuten? In der Öffentlichkeit wird damit geworben, dass die | |
Doppelzertifizierungen für technische Produkte wegfallen und damit der | |
Export entschieden erleichtert wird. | |
Aber das ist eine Mogelpackung. Standards und Normen unterliegen den | |
Gesetzen der einzelnen US-Bundesstaaten, sie sind nicht einheitlich | |
geregelt. Darüber hinaus gibt es keinen harmonisierten Binnenmarkt, die | |
US-Regierung hat folglich keine Durchsetzungskraft. Daran wird sich durch | |
TTIP erst mal nichts ändern. | |
Ein weiterer Vorteil soll der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen auf | |
dem amerikanischen Markt sein. Hier ist ebenfalls nicht zu erwarten, dass | |
europäische KMU zum Zuge kommen. Darüber hinaus werden die Schiedsgerichte | |
als perfektes Instrument für Mittelständler gepriesen, ihre Investitionen | |
zu verteidigen. Das ist schon mehr als zynisch, da die durchschnittlichen | |
Kosten eines Schiedsgerichtsverfahrens bei 8 Millionen Euro liegen. Welcher | |
mittelständische Betrieb soll sich das leisten können? | |
## Nicht an der Wirklichkeit orientiert | |
In Deutschland werden die Unternehmensteuern (2014 waren es 3 Prozent von | |
600 Milliarden Euro Gesamtsteueraufkommen) in erster Linie von kleinen und | |
mittelständischen Unternehmen erbracht. Eindeutig identifizierbar als | |
Nutznießer von TTIP sind die international aufgestellten, global agierenden | |
Konzerne, die bereits jetzt ihre Niederlassungen, ihre Gewinne und ihre | |
Investitionen steuervermeidend über den ganzen Globus schieben. | |
Die Steuervermeidungsstrategien entspringen einer überschaubaren Anzahl von | |
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien, welche die Global | |
Player beraten. Parallel dazu vergrößern sie permanent den Einfluss auf | |
politische Entscheidungsgremien und bauen Druck auf. | |
Die Politik sollte die Rahmenbedingungen für das faire und gerechte | |
Zusammenleben aller Menschen schaffen und dafür sorgen, dass die | |
Lebensgrundlagen insbesondere für Schutzbedürftige erhalten bleiben. | |
Stattdessen wird der Begriff „fair und gerecht“ im Zusammenhang mit | |
internationalen Investitionen missbraucht. Unter dem Deckmantel der | |
angeblichen Fairness werden regionale Strukturen und geschützte | |
Wirtschaftsräume dem verzerrten globalen Wettbewerb preisgegeben. | |
In Zukunft müssten Gesetzesvorhaben von nationalen Parlamenten auf | |
Vereinbarkeit mit dem Handelsabkommen überprüft werden, was durch Gremien | |
geschehen würde, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. | |
TTIP orientiert sich nicht an der Wirklichkeit, sondern an der abstrakten | |
Vorstellung eines liberalen Wirtschaftsmodells. Anpassungen an | |
Veränderungen wie den Klimawandel sind darin nicht vorgesehen. Sollten die | |
Klimaveränderungen die Volkswirtschaften zur Anpassung von | |
Rahmenbedingungen an Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit zwingen, | |
wären Entschädigungsforderungen die Folge. | |
## Warnungen konsequent ignoriert | |
Die Nutznießer in diesem Fall sind bekannt. Klagen multinationaler Konzerne | |
auf Basis bestehender Abkommen gegen Umweltschutzauflagen gibt es bereits | |
zu Dutzenden – die Energiekonzerne Lone Pine gegen Kanada und Vattenfall | |
gegen Deutschland sind nur zwei Beispiele. | |
Durch die TTIP-Leaks von Greenpeace wurde eines gewiss: Die Vorbehalte und | |
Ängste bezüglich des Abkommens sind mehr als berechtigt. Seit Monaten und | |
Jahren haben verschiedenste gesellschaftliche Gruppen Bedenken und | |
Warnungen geäußert, die von den Befürwortern konsequent ignoriert wurden. | |
Selbst jetzt, nach Beweis durch die Offenlegung der geheimen Dokumente, | |
äußert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wie ferngesteuert mit der | |
leidigen Botschaft, das Abkommen müsse so schnell wie möglich unter Dach | |
und Fach. Warum eigentlich so eilig? | |
Der Auftritt von US-Präsident Barack Obama in Hannover schaffte darüber | |
hinaus mehr Fragezeichen als Verbindliches. Welches Interesse verfolgt ein | |
US-Präsident, der kurz vor Ende seiner Amtszeit steht, wenn er mit solch | |
einer Vehemenz den Abschluss dieses umstrittenen Abkommens forciert? Die | |
fundamentalen Zweifel daran, dass TTIP nicht nur einigen wenigen etwas | |
bringen könnte, bleiben bestehen. | |
24 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Martina Römmelt-Fella | |
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