# taz.de -- Auswirkungen des freien Handels: Herr Lange ist optimistisch | |
> Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP werden vielleicht | |
> noch dieses Jahr beendet. Was kommt da eigentlich auf uns zu? | |
Bild: Transatlantische Verständigung: der US-Handelsbeauftragte Michael Froman… | |
HANNOVER taz | Bernd Lange von der SPD ist jetzt kein Volkstribun oder so. | |
Und flächendeckende Bekanntheit hat der ehemalige Gymnasiallehrer in seinen | |
bald 20 Jahren als Europaabgeordneter nicht erlangt. Aber derzeit ist er | |
viel gefragt. Denn seit 2014 ist der Mann aus Burgdorf bei Hannover | |
Vorsitzender des Handelsausschusses des Europaparlaments. Vor allem aber | |
ist er der „Berichterstatter“ – so nennt das Europaparlament die | |
federführenden Sachbearbeiter für einzelne Themen – für TTIP, das | |
Freihandelsabkommen mit den USA, und das ist das EU-Vorhaben, das zur Zeit | |
die meisten Menschen aufwühlt. Auch bei Barack Obamas Besuch am kommenden | |
Samstag in Hannover wird es die Massen bewegen – zur Gegendemo. | |
Wenn also Bernd Lange fordert, dass „Präsident Obama was im Rucksack haben“ | |
[1][müsse], wenn er nach Hannover kommt, weil es sonst nichts mehr werde | |
mit dem Vertrag, dann ist das derzeit eine Meldung. Und wenn er bei Ceta | |
nicht ausschließt, am Ende zuzustimmen, hat das Gewicht. Denn Ceta, das | |
Freihandelsabkommen mit Kanada, ist fertig. Es soll im Laufe des Jahres vom | |
Europaparlament ratifiziert werden – oder endgültig platzen. Ceta gilt als | |
so etwas wie der Testballon für TTIP. | |
Wobei die Metapher viel zu viel Leichtigkeit suggeriert: Erstens besteht | |
das Comprehensive Economic and Trade Agreement derzeit aus [2][1.598 mit | |
drögestem wirtschaftsjuristischem Englisch in Zwölfpunkt-Schrift bedruckten | |
DIN-A4-Seiten], von der Benennung der Vertragsparteien bis zur „Reservation | |
IIIB-PT-19“, dem letzten Punkt von Anhang III, der eine Ausnahme für in | |
Yukon angesiedelte Investment-Fonds bestimmt: Die müssen einen in Kanada | |
ansässigen Depositär haben. Da hebt nichts ab. | |
Und zweitens ist auch Test das falsche Wort: Wenn der Freihandelsvertrag | |
mit Kanada durchkommt, hat sich der Widerstand gegen TTIP weitgehend | |
erledigt: Die meisten großen US-Firmen haben eine Niederlassung jenseits | |
des 49. Breitengrades. Das Handelsabkommen, das die Kommission schon jetzt | |
in seltsamem Vorgriff aufs Parlamentsvotum „das umfassendste, das die EU je | |
abgeschlossen hat“ nennt, würde also für große Teile der US-Wirtschaft | |
bereits viele der erhofften Außenhandelserleichterungen bringen, ohne | |
weitere Marktöffnung für Husumer Käse und stinkende Volkswagen, falls dafür | |
überhaupt noch eine Nachfrage besteht: Das wäre aus europäischer Sicht | |
jedenfalls auch keine glückliche Lösung. | |
## Veto aus Wallonien | |
Fragt sich, ob sie zu verhindern ist: Zwar hat die Regierung der | |
wallonischen Hälfte Belgiens bereits ihr Veto angekündigt. Bei der Demo in | |
Hannover [3][wird] Niesco Dubbelboer vom niederländischen „Meer | |
Democratie“-Verein als Redner die dortigen Vorbereitungen [4][für ein | |
Referendum vorstellen]. Gegenwehr kommt auch von der einzigen konsequent | |
europafreundlichen Kraft in Großbritannien, der Labour Party. Ein Ja des | |
Parlaments könnte die EU gefährden. | |
Der niedersächsische Sozialdemokrat Lange allerdings wirkt ganz zufrieden | |
mit dem Erreichten. Er spricht von einem „[5][Etappensieg]“ bei der | |
umstrittenen Investorenschutz-Regelung – die bisherigen | |
ISDS-Schiedskungelrunden, in denen Investoren ihre Rechte gegenüber Staaten | |
geltend machen können, sollen durch eine neuartige Institution ersetzt | |
werden, die der Vertragsentwurf als „Tribunals“ bezeichnet, mit großem T. | |
Dass letztere nicht ohne Zustimmung der 28 nationalstaatlichen Parlamente | |
der EU eingerichtet werden können, „ist meine Auffassung seit Langem“, so | |
Lange zur taz. | |
Doch für die allein den Handel betreffenden Bereiche des Abkommens ist laut | |
Lissabon-Vertrag allein das Europaparlament zuständig. „Bei einem etwaigen | |
Ja des Europäischen Parlaments könnten danach große Teile des Abkommens | |
vorläufig angewendet werden“, erläutert Lange. Für Viele im Herzen der | |
Europa-Verwaltung ist Ceta im Laufe der siebenjährigen Verhandlungen zu | |
einem Prestigeprojekt geworden, das man ungern scheitern sähe. | |
Ursprünglich war viel die Rede von Beschäftigungs- und Wachstumseffekten | |
der Abkommen. Aber das waren, wenn man diese Verheißungen nicht als | |
Ablenkungsmanöver bewerten will, fromme Wünsche: Zwar könnten einzelne | |
Branchen tatsächlich profitieren. Zumal die Autoindustrie, im Norden durch | |
VW und, in Bremen, durchs größte Mercedeswerk Deutschlands vertreten, | |
rechnet sich was aus. Und, klar, auch die Hafenwirtschaft. | |
## Kaum messbare Effekte | |
Aber die von makroökonomischen Studien selbst aufgrund optimistisch | |
designter Modelle prognostizierten Wohlfahrtseffekte sind so klein, dass | |
sie nach Inkrafttreten der Abkommen kaum messbar wären. Das | |
EU-Bruttoinlandsprodukt soll durch TTIP um sage und schreibe 0,034 Prozent | |
jährlich steigen, das in den Vereinigten Staaten um 0,028, haben die | |
Forscher des Center for Economic Policy Research im Auftrag der | |
EU-Kommission herausgefunden. In Deutschland wird es, kalkuliert das | |
neoliberale Ifo-Institut, fast 70.000 neue Jobs geben – im Laufe von 15 | |
Jahren. Die wären anders zuverlässiger zu kriegen. Und billiger. | |
Denn bezahlt würden die Abkommen einerseits mit einer Verschärfung des | |
weltweiten Ungleichgewichts: Russland würde weiter isoliert; der große | |
Verlierer aber wäre Afrika: Ceta und TTIP produzieren insofern neue | |
Fluchtgründe. Andererseits bewirken sie eine Preisgabe von Standards: In | |
den ursprünglichen Entwürfen war das eine aggressive und eindeutige | |
Tendenz. Mittlerweile ist die Deregulierung nicht mehr komplett enthemmt. | |
So steht, dank des massiven öffentlichen Drucks, mittlerweile ein „rigth to | |
regulate“ im Vertragstext, ein staatliches Recht, zu regulieren. Das klingt | |
nach nichts, ist aber wichtig: Die alten Investitionsschutzklauseln konnten | |
jede Gesetzesänderung zur Millionenfalle machen. So ächzt die tschechische | |
Republik derzeit, weil die Deutsche Bank sie in eine ISDS-Dreierrunde | |
gezerrt hat, nachdem das Land die Solar-Subventionen gekürzt hat. | |
Dasselbe Spiel betreibt Niedersachsens Norddeutsche Landesbank in Spanien: | |
„Völlig inakzeptabel“ findet das Bernd Lange. Dank des right to regulate | |
lägen solche Fälle künftig „völlig außerhalb des Fokus eines möglichen | |
öffentlichen Investitionsgerichtes“. In diesem Sinne bleibt laut | |
Vertragsentwurf auch eine Rekommunalisierung von öffentlichen | |
Dienstleistungen wie der Müllabfuhr, wie sie Bremen plant, ausdrücklich | |
erlaubt. | |
Aber schon, ob das auch für einen Rückkauf des Stromnetzes wie in Hamburg | |
gelten würde, ist ungewiss, und im Finanzsektor scheint eine | |
Vergesellschaftung gar nicht mehr erwünscht. Mindestens aber müsste ein | |
solches Projekt „frühzeitig bekanntgegeben“ werden, Hyperlink:=heißt es in | |
einem Gutachten der Göttinger Juristen Peter-Tobias Stoll und Till Patrik | |
Holterhus: Erst muss nämlich die „andere Seite“ Gelegenheit zur | |
Stellungnahme haben, dann der Regulierungsunter- und schließlich ein | |
Haupt-Ausschuss konsultiert werden. Bei Aufweichungen von Standards sind | |
solche Prüfungen nicht vorgesehen. | |
Vor dem Chlorhühnchen muss dagegen niemand Angst haben, wenigstens keiner, | |
der abgepackte, also wie die US-Broiler im Chlorbad desinfizierte Salate | |
isst. Das Chlorhühnchen dient nur zum Emotionalisieren der sonst so | |
furztrockenen Materie. Andere Standards sind viel problematischer, und | |
plastisch wird das vor allem in der Landwirtschaft. So beharrt | |
US-Agrarminister Tom Vilsack, dem die Performanz seit jeher ein nationales | |
Anliegen ist, auf dem Ziel eines verbesserten Marktzugangs für gentechnisch | |
veränderte Organismen, damit im Zusammenhang stehen auch Fragen der | |
Pflanzenschutzmittel. | |
Fast gesetzhaft gilt die Formel „quantitatives Wachstum geht mit | |
Qualitätsverlusten für die VerbraucherInnen einher“, mit der | |
Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel aus Bremen die erodierende Wirkung | |
von TTIP beschreibt: Tatsächlich muss dafür das Abkommen selbst die | |
Standards nicht ausdrücklich absenken. Es reicht, sie als äquivalent | |
anzuerkennen, sodass das billiger mit der massenhaft verfügbaren Gensoja | |
gefütterte Schnitzel „über den niedrigen Preis die bisher nach | |
Gesundheitsanforderungen regulierten Produkte“ verdrängen wird, so Hickel. | |
## Konzerne sind Gewinner | |
Das betrifft Norddeutschland unmittelbar, auch ohne, dass die | |
Hormonbehandlung hier legalisiert würde: Mehr als zehn Millionen Schweine | |
werden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehalten, und tatsächlich | |
hat die EU die Zölle, die diesen Wettbewerbsnachteil bislang ausgleichen, | |
beim Schweinefleisch in den TTIP-Verhandlungen im vergangenen Herbst zur | |
Disposition gestellt. | |
Dabei sind sowohl der europäische als auch der US-Binnenmarkt mehr als | |
schweinegesättigt. Wer dem Chef des niedersächsischen Landvolks, so heißt | |
dort der Bauernverband, unterstellt, etwas für seine Mitglieder zu tun, | |
kann sich insofern nur wundern, warum der Agrarfunktionär für die Chancen | |
von TTIP wirbt. Einen Hinweis immerhin gibt er im Göttinger Tageblatt: „Die | |
deutschen Landwirte liefern nicht direkt in die USA“, sagt er dort, | |
„sondern sie sind Zulieferer der Nahrungsmittelindustrie.“ | |
Und damit schließt sich der Kreis. Denn die Nahrungsmittelindustrie ist | |
[6][fest in der Hand multinationaler Konzerne] mit denen auch Hilse seit | |
jeher in engsten Beziehungen steht, auch nachdem er 2015 den Aufsichtsrat | |
von Vion verlassen hat, dem zweitgrößten Fleischvermarkter Europas. So ist | |
er beim niederländischen Stärkekartoffelmonopolisten Avebe | |
[7][Aufsichtsratsvize], einem weltweit agierenden Pionier des | |
Gentech-Saatguts. | |
Die multinationalen Konzerne, das sind auch nach Ökonom Hickels | |
Einschätzung die einzigen Gewinner der Freihandelsverträge: „Angestrebt“ | |
werde mit denen „eine Globalisierung, bei der die Großinvestoren die | |
Produkt- und Produktionsbedingungen dominieren“. | |
15 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Obam… | |
[2] http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf | |
[3] https://www.mehr-demokratie.de/interview_niesco_dubbelboer.html | |
[4] https://www.meerdemocratie.nl/teken-voor-een-referendum-over-ttip | |
[5] /!5279225/ | |
[6] https://www.evb.ch/shop/product/themenheft_2014_agropoly/ | |
[7] http://www.avebe.com/news/nieuw-lid-raad-van-commissarissen-avebe/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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