# taz.de -- Mietpreisbremse in Berlin: Der Preis ist weiter viel zu heiß | |
> Vor einem Jahr wurde die Mietpreisbremse in Berlin eingeführt. Doch sie | |
> wirkt nicht wie gewünscht. Senator Geisel will nun nachbessern. | |
Bild: Sonnige Zeiten für Mieter? Mitnichten! | |
Die Sache mit dem Nachmieter hatte sich Lars Schneider einfacher | |
vorgestellt. Nach knapp vier Jahren wollte er aus seiner 2,5-Zimmer-Wohnung | |
in Prenzlauer Berg ausziehen. 555 Euro warm hatte er für die knapp 60 | |
Quadratmeter in einem Altbau aus den 1920er Jahren an Miete bezahlt. Nun | |
wollte eine Bekannte die Wohnung als Nachmieterin übernehmen. Doch als | |
diese beim privaten Vermieter anfragte, war plötzlich von einer Miete von | |
780 Euro die Rede. Dafür werde die Wohnung aber noch einmal kernsaniert, | |
hieß es. Dabei war die letzte Instandsetzung erst vor Schneiders Einzug | |
erfolgt. | |
Eine ähnliche Erfahrung hat auch Mona Preuß gemacht. Wie Schneider möchte | |
sie nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Ihre | |
Einzimmerwohnung im Helmholtzkiez sei zwar nicht gerade luxussaniert | |
gewesen, erzählt sie. Doch ein neuer Anstrich hätte aus ihrer Sicht und der | |
eines möglichen Nachmieters völlig ausgereicht. Der Vermieter sah das | |
jedoch anders. Dafür sollte die Wohnung nach der Sanierung statt 350 über | |
500 Euro kosten. | |
Eigentlich sollen solche Mietexplosionen seit dem 1. Juli 2015 in Berlin | |
der Vergangenheit angehören. Seitdem gilt in der gesamten Stadt die | |
Mietpreisbremse. Nach dieser darf eine neu vermietete Wohnung nur 10 | |
Prozent teurer sein als vergleichbare Wohnungen in der Umgebung – | |
ortsübliche Vergleichsmiete nennen das die Fachleute. Eine stadtweite | |
Übersicht über diese bietet der Mietspiegel. | |
In Berlin können alle die Vergleichsmiete mithilfe eines Formulars | |
errechnen, das die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf ihrer | |
Internetseite anbietet. Berücksichtigt werden dabei nicht nur die Lage und | |
Größe einer Wohnung, sondern auch, ob Heizungsrohre auf oder in der Wand | |
verlegt wurden, ein Aufzug existiert oder das Badezimmer ein Fenster | |
aufweist. Am Ende ergibt sich ein Wert, auf den 10 Prozent aufgeschlagen | |
werden müssen, um die laut Mietpreisbremse maximal mögliche Miete zu | |
erhalten. | |
## Natürlich: Ausnahmen | |
Klingt einfach. Doch natürlich gibt es Ausnahmen. Eine kommt dann zum Zug, | |
wenn die Wohnung vor der erneuten Vermietung umfassend modernisiert wurde. | |
Danach darf der Vermieter sie so teuer anbieten, wie er möchte. | |
Das scheinen sich Berliner Vermieter zunutze zu machen, was nicht nur die | |
beschriebenen Erfahrungen, sondern auch ein Blick in aktuelle | |
Wohnungsanzeigen nahelegt. Viele Wohnungen werden dort als frisch saniert, | |
aber dafür zu saftigen Preisen inseriert. Eine 76-Quadratmeter-Wohnung am | |
U-Bahnhof Neukölln soll etwa 869 Euro kalt kosten. Bei einer vergleichbaren | |
Wohnung würde die Mietpreisbremse bei 430 Euro die Grenze ziehen. Ohne | |
Sanierung und den Einbau eines modernen Bads, der in der Anzeige explizit | |
angepriesen wird, müsste die Wohnung sogar noch günstiger sein. | |
Sorgt also ausgerechnet die Mietpreisbremse in Berlin für Luxussanierungen? | |
Wibke Werner vom Berliner Mieterverein will das so nicht bestätigen. „Das | |
mit der Sanierung haben die Vermieter gar nicht nötig“, meint sie dagegen. | |
„Wir haben das Gefühl, dass die Mietpreisbremse generell ignoriert wird.“ | |
Auch diese Vermutung scheinen aktuelle Wohnungsanzeigen zu belegen – | |
diesmal für Wohnungen, deren letzte Sanierung schon etwas länger her ist. | |
So wird etwa in der Bornholmer Straße eine 1-Zimmer-Wohnung ohne Balkon und | |
mit innen liegendem Bad für 453 Euro kalt inseriert. Laut Mietpreisbremse | |
dürfte sie jedoch nur 310 Euro kosten. Auch außerhalb des S-Bahn-Rings wird | |
aufgeschlagen, wie eine 1-Zimmer-Wohnung in der Marzahner Bärensteinstraße | |
zeigt. Kosten soll sie 267 Euro. Der Höchstpreis nach Bremse liegt bei 218 | |
Euro. | |
Nun lässt die Gesetzeslage eine weitere Ausnahme zu, nach der Wohnungen | |
teurer angeboten werden dürfen, wenn bereits der Vormieter mehr bezahlte. | |
Darauf hätten sich die Anbieter, auf die in diesen beiden Beispielen | |
geforderte Miete angefragt, leicht berufen können. Doch die Hausverwaltung, | |
die für die erste Wohnung als Ansprechpartner angegeben ist, reagiert gar | |
nicht. Bei der zweiten Wohnung bezweifelt der Eigentümer, dass die Miete | |
nach Mietpreisbremse richtig berechnet wurde. | |
Sie gehört zum Bestand der Deutschen Wohnen und damit zu einem der größten | |
privaten Wohnungsunternehmen des Landes. Deren Sprecher verweist auf die | |
Vielzahl von Merkmalen, die zur Berechnung der Vergleichsmiete herangezogen | |
werden. Viele der Details würden in den Wohnungsanzeigen gar nicht | |
abgebildet, meint er. „Die Differenz zwischen den von uns auf Basis des | |
Mietspiegels errechneten Miethöhen und der durch Sie auf Basis der Exposees | |
errechneten Miethöhen zeigt genau diese Schwierigkeit auf. Nicht alle | |
relevanten Merkmale, die Einfluss auf eine Miethöhe nehmen, wie | |
beispielsweise Isolierverglasung oder Energiekennwerte, lassen sich in | |
Exposees abbilden“, erläutert er schriftlich. | |
Allerdings waren genau diese beiden Kennwerte ausdrücklich in der | |
analysierten Wohnungsanzeige vermerkt. Und selbst wenn man der Wohnung | |
einen hervorragenden Sanierungsstand mit Barrierefreiheit, Fußbodenheizung | |
und Autostellplatz bescheinigt, dürfte sie in dieser Lage statt der | |
geforderten 267 maximal 223 Euro kalt kosten. | |
## Komplexe Ermittlung | |
Dennoch hat der Sprecher in einem Punkt recht: Die Ermittlung der | |
Vergleichsmiete ist komplex. Daher bietet der Berliner Mieterverein dabei | |
seine Hilfe an, der Service ist für alle Berliner kostenlos. In Anspruch | |
genommen worden sei er jedoch seit vergangenem Sommer erst etwa 35-mal, | |
sagt Wibke Werner vom Mieterverein. Eine Senkung, die auch nach Abschluss | |
eines Mietvertrags noch verlangt werden kann, sei nur ein einziges Mal | |
eingefordert worden. „Die meisten wollen einfach keinen Ärger mit ihrem | |
Vermieter.“ | |
Auch aufseiten der Hausbesitzer sind bislang kaum Streitfälle bekannt, wie | |
Carsten Brückner, Vorstandsvorsitzender des Eigentümer-Verbandes Haus und | |
Grund, erklärt – und das, obwohl auch er beobachtet hat, dass viele | |
Angebote über dem laut Mietpreisbremse Erlaubten liegen. „Es gibt kein | |
Streitpotenzial. Vielleicht sind sich die Mietvertragsparteien einfach | |
einig“, meint er. | |
Beide sprechen damit einen Knackpunkt der Mietpreisbremse an. Denn die | |
Rechtslage schreibt den Vermietern zwar vor, wie viel sie verlangen dürfen. | |
Ob diese sich daran halten, müssen jedoch die Mieter überprüfen. | |
Mittlerweile ist klar, dass das gerade auf einem angespannten Mietmarkt so | |
nicht funktioniert. | |
## Ungehemmte Forderungen | |
Kein Jahr ist es her, als Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) die | |
Mietpreisbremse als ein wichtiges Instrument lobte, um die Mieten in der | |
ganzen Stadt zu dämpfen. „Den ungehemmten Mietforderungen bei der | |
Vermietung von nicht preisgebundenen Wohnungen schieben wir so einen | |
wirkungsvollen Riegel vor“, sagte er. | |
Mittlerweile erklärt sie seine Sprecherin Petra Rohland auf Anfrage zu | |
einem „Instrument, damit Mieterinnen und Mieter auf zivilrechtlichem Wege | |
die zulässige Miete nach Abschluss des Mietvertrages durchsetzen können“. | |
Aus dem aktiven Vorgehen der Politik gegen steigende Mieten wird damit ein | |
Gesetz, um dessen Einhaltung sich die Bürger schon selbst kümmern müssen. | |
Geradezu hilflos wirkt dazu Rohlands Beteuerung: „Die landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften, die Wohnungsbaugenossenschaften und alle | |
gesetzestreuen privaten Vermieter halten sich an die Regelungen zur | |
Mietpreisbremse.“ | |
Demnach ist der Berliner Mietmarkt in der Hand gesetzloser Gesellen. Wie | |
man die zurück auf den rechten Weg bringen könnte, dazu hat der Berliner | |
Mieterverein ein paar Ideen. Er plädiert dafür, die Ausnahmeregelungen zu | |
streichen und Sanktionen gegen Vermieter einzuführen, die die Bremse | |
ignorieren. Bislang müssen die lediglich die Miete anpassen, wenn Mieter | |
ihr Verhalten rügen. Strafen sind nicht vorgesehen. | |
Auch Stadtentwicklungssenator Geisel räumt nun Defizite bei der | |
Mietpreisbremse ein. „Die bremsende Wirkung hat noch nicht so eingesetzt“, | |
sagte er am Montag. Berlin wolle zusammen mit Hamburg und | |
Nordrhein-Westfalen daher eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung der | |
Regelung starten. Geisel will unter anderem, dass Vermieter künftig bekannt | |
geben müssen, welche Miete der Vormieter zahlte. | |
11 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
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