# taz.de -- Gastbeitrag Mietenbündnis: Wagt die Enteignung! | |
> Warum nicht die ehemals städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW per Dekret | |
> rekommunalisieren? Das fordert die Mieterinitiative „Kotti & Co“. | |
Bild: Die Rekommunalisierung von Wohnungen wünschen sich viele aus dem Mietenb… | |
„Ich würde fast sagen, Berlin sollte die alten GSW-Bestände zurückkaufen�… | |
so Iris Spranger, die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im | |
Abgeordnetenhaus, vor Kurzem im Bauausschuss. Dort war die „Deutsche | |
Wohnen“, ein börsennotierter Immobilienkonzern, geladen, dem heute die | |
ehemals kommunalen Bestände von rund 60.000 Berliner Wohnungen gehören. Und | |
ihre Parteikollegin Ülker Radziwill, Charlottenburger SPD-Abgeordnete, | |
sprang ihr bei. „Ja, wir bereuen“ den Verkauf der GSW. „Wir mussten es tun | |
in einer Zeit, als Berlin noch mehr Schulden hatte, und es war trotzdem ein | |
Fehler“. | |
Doch handelt es sich dabei um mehr als Rhetorik aus der Abteilung „Hätte, | |
hätte, Fahrradkette“? Zumindest blättert Radziwill danach noch im | |
Grundgesetz und zitiert Artikel 14, Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein | |
Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ | |
Das Grundgesetz und andere Gesetze haben nun auch die Aktivisten der | |
Mieterinitiative von Kotti & Co gelesen. Und zwar einige Zeilen weiter. Vor | |
gut einem Jahr hatte „Kotti & Co“ den Berliner Mietenvolksentscheid mit in | |
Gang gesetzt und mittels eines ausformulierten Gesetzentwurfs die Berliner | |
Politik auf dem falschen Fuß erwischt. Nach Verhandlungen mit dem Senat | |
setzte die Initiative zumindest für die Sozialmieter in den städtischen | |
Wohnungsbaugesellschaften einige Verbesserungen durch, die seit Mitte | |
November letzten Jahres Gesetz sind. | |
Gerade am Kottbusser Tor gehören einige der Sozialbauten aus den 70er | |
Jahren der Deutsche Wohnen AG, und nicht nur dort führt die | |
„mittelstandsorientierte“ Vermietungspolitik dieses Konzerns zur | |
Verdrängung der angestammten Bevölkerung. Bis 2004 gehörten diese Häuser | |
der GSW, der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, einer | |
der größten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Doch im Rahmen der | |
neoliberalen Sanierung des Berliner Haushalts verkaufte der rot-rote Senat | |
diese Gesellschaft für heute lächerliche 405 Millionen Euro an ein | |
Finanzkonsortium. Trotz anderslautender Zusicherungen zum Mieterschutz nahm | |
dann die Eigendynamik des Kapitalismus ihren Lauf. 2010 kam die GSW an die | |
Börse, und 2013 übernahm die Deutsche Wohnen den Aktienbestand. In den | |
letzten Wochen wiederum musste die Deutsche Wohnen eine Übernahmeschlacht | |
der Vonovia auf dem Aktienmarkt abwehren. Alles zum Wohle der Mieter und | |
Mieterinnen? | |
Jetzt präsentiert die „Re-Kommunalisisiungs AG“ von „Kotti & Co & Friend… | |
einen konkreten Vorschlag zur „stadtpolitischen Aktivenkonferenz“ der | |
Mieterinitiativen (taz berichtet) am kommenden Wochenende, um „die soziale | |
Wohnraumversorgung zu gewährleisten“. Ganz freiwillig wird die Deutsche | |
Wohnen ihre Beute nämlich nicht herausrücken. Aber im Grundgesetz steht in | |
Artikel 14 auch, dass „eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig | |
ist“. Es müssen nur „Art und Ausmaß der Entschädigung geregelt“ werden… | |
„unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der | |
Beteiligten zu bestimmen“ ist. | |
Der Senat muss laut Paragraf 28 der Berliner Verfassung „die Schaffung und | |
Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem | |
Einkommen, fördern“. Und wie das Ganze handwerklich umgesetzt werden kann, | |
steht im Baugesetzbuch in den Paragrafen 85 und folgende. Notwendig ist | |
nur, Wohnen nicht nur rhetorisch, wie dies zum Beispiel auch Ülker | |
Radziwill macht, als Teil der Daseinsvorsorge wie Bildung, Wasser, Strom | |
etc. zu definieren, sondern auch praktisch. Dazu kommt, dass inzwischen | |
wegen der Mietpreisbremse in über 300 Kommunen in der Bundesrepublik der | |
Wohnungsnotstand amtlich festgestellt ist. | |
Natürlich hat Kotti & Co dazu hochkarätige Juristen und Experten befragt. | |
Meist ernten die Leute der Initiative ein schelmisches Grinsen und ein | |
„Wenn man politisch will, dann kann man das machen“. Denn zum Beispiel beim | |
Bau der A 100 ist genau diese Vorgehen für den Senat gängige Praxis: Für | |
den Weiterbau der Betonpiste nach Treptow wurden mehrere Hausbesitzer | |
enteignet. | |
Selbst um die Finanzierung der Entschädigung haben sich die Aktivisten von | |
Kotti & Co in ihrem Vorschlag Gedanken gemacht. Ähnlich wie im | |
sozialdemokratischen Wien und Berlin in den 20er Jahren soll eine kommunale | |
„Haus-Zins-Steuer“ auf den Mehrfachbesitz von Wohnungen aufgelegt werden, | |
„um die enormen Gewinne der Immobilienwirtschaft abzuschöpfen und | |
zweckgebunden zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu verwenden“. Sie | |
hoffen, dass dieses Geld dann nicht nur zum Rückkauf der GSW, sondern auch | |
für alle anderen der aktuell noch rund 120.000 Sozialwohnungen in Berlin, | |
die sich in privaten Händen befinden, reicht. Und dass es zur Finanzierung | |
umfangreicher Neubauten für Menschen mit geringem Einkommen dienen kann. | |
Anders als beim Mietenvolksentscheid soll der Vorschlag diesmal im Vorfeld | |
breit diskutiert werden. Ob mit einem neuen Volksentscheid oder anderen | |
Instrumenten, Ziel der Diskussion ist die Rückführung des ehemals | |
kommunalen Eigentums in den Besitz der Allgemeinheit. | |
Christoph Villinger, 53, wohnt in der Nähe des Kottbusser Tors und würde | |
gerne seine Nachbarn behalten. Deshalb engagiert er sich beim | |
Mietenvolksentscheid und zählt sich zum Co von „Kotti und Co“. Er ist | |
Journalist und schreibt regelmäßig für die taz. | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Christoph Villinger | |
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