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# taz.de -- Diskussion über Zukunft des Kotti: Nachts wird richtig abkassiert
> Schlimm, schlimmer, Kotti? Die Lage an dem berühmt-berüchtigten Ort in
> Kreuzberg eskaliere, sagen Anwohner. Andere sehen keinen Grund zur Panik.
Bild: Hier ist ja was los: Kottbusser Tor in Berlin.
Bei Podiumsdiskussionen in Kreuzberg weiß man nie, wie sie ausgehen.
Werden die geladenen Gäste ausgepfiffen, weil sie Dinge sagen, die Teilen
des Publikums nicht ins Weltbild passen? Eine Minderheit, die auf diese
Weise im Saal den Ton angibt, genügt, um eine Veranstaltung zu sprengen.
Auch Bürgerversammlungen über den Görlitzer Park haben so das eine oder
andere vorschnelle Ende gefunden. „Kippt der Kotti?“ lautete der Titel der
Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend im Museum Kreuzberg stattfand.
Der Saal unter dem Dach war brechend voll.
Kreuzberg hat ein neues Problem – oder auch keines, das hängt von der
Sichtweise ab. Fast alle Positionen wurden vertreten. Es gab Zwischenrufe
und Störversuche von Leuten, die andere Meinungen als ihre partout nicht
tolerierten. Aber diesmal war diese Gruppe so klein, dass die Veranstaltung
ein reguläres Ende fand. Was durchaus bemerkenswert ist.
Das Kottbusser Tor war noch nie ein Ort für Zartbesaitete. Über der
Adalbertstraße türmt sich das Neue Kreuzberger Zentrum, ein seelenloser
Betonbau aus den 70er Jahren mit über 1.000 Wohneinheiten. Auf dem Platz
davor treffen sich Jahrzehnten Junkies und Obdachlose. Es wird gedealt, die
Hausecken stinken nach Urin, weil es keine öffentlichen Klos gibt. Nachts
wird der Kiez von Touristen und Partyvolk überschwemmt. Es kommt mit der
U-Bahn und steuert die umliegenden Kneipen und Bars an. Im
Kaiser’s-Supermarkt, der bis Mitternacht offen hat, wird vorher noch
ordentlich Alkohol eingekauft. Der Ansturm ist so groß, dass nachts alle
fünf Kassen offen sind.
Kein Wunder also, dass sich auch Diebe und Räuber angezogen fühlen. Seit
2015 wird rund um den Kotti eine neue Form der Bandenkriminalität
verzeichnet. Wie am RAW-Gelände in Friedrichshain umkreisen mehrere Täter
ihr Opfer, tanzen es an, Frauen werden dabei auch begrabscht. Besonders im
Visier sind Betrunkene. „Die Straßenkriminalität hat enorm zugenommen“,
bestätigte Tanja Knapp, Leiterin des Polizeiabschnitts 53, bei der
Diskussion.
Die Strategie der Polizei beschrieb sie so: vermehrte Präsenz in Uniform,
Einsatz von Zivilbeamten mit dem Ziel von Festnahmen, Prävention in
Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft, Sicherheitsdiensten und
Anwohnern. „Wir versuchen, Ihre Ideen aufzunehmen“, wandte sich Knapp an
das Publikum.
Große Polizeieinsätze brächten nichts, kritisierte Richard Stein von der
Kneipe Möbel Olfe. Da würden die Falschen an die Wand gestellt. Unlängst
seien „drei Nachbarjungs“ festgehalten worden. „Lieber sind mir da die
Kontaktbereichsbeamten vom Abschnitt 53“, so Stein. Eine Mischung aus
Polizei und begleitender Sozialarbeit hält er für das beste Konzept. Der
Sicherheit wegen begleitet das Personal der Kneipe betrunkene Gäste zur
U-Bahn oder lasse sie aus der Hintertür raus.
Im Publikum gab es Stimmen, laut denen die Situation nicht schlimmer
geworden sei. Als Migrationsforscher Mark Terkessides dies dementierte,
wurde ihm „Hetze“ gegen Flüchtlinge unterstellt. Ein türkischer
Gemüsehändler konterte mit Blick auf die Diebe erregt: „Das sind keine
Flüchtlinge, das sind Kriminelle.“
11 Mar 2016
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Kotti und Co
Berlin-Kreuzberg
Kriminalität
Sicherheitsgefühl
Videoüberwachung
Kottbusser Tor
Lügenleser
Mietenvolksentscheid
RAW-Gelände
Berlin-Kreuzberg
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