| # taz.de -- Ausstellung über die Band Negativland: World of „funnymen“ | |
| > Der Schweriner Kunstverein zeigt eine Ausstellung über die Praktiken der | |
| > kalifornischen Culture-Jamming-Pioniere Negativland. | |
| Bild: Negativland kritisieren zwar Kapitalismus und Gesellschaft – aber nie o… | |
| Rund um den Schweriner Pfaffenteich ist es still, fast als läge er in einem | |
| Dorf. Eine Hand voll Menschen spaziert um das künstlich angelegte Gewässer, | |
| das sich in Bahnhofsnähe befindet. Eine Fontäne bläst Wasser in die Luft. | |
| Eigentlich sollte hier eine Fähre fahren, doch sie liegt am Nordufer vor | |
| dem E-Werk. | |
| Der Schweriner Kunstverein zeigt hier die Ausstellung „Negativland“. Es ist | |
| eine Hommage an die gleichnamige kalifornische Experimentalband, die vor | |
| allem wegen ihrer anarchischen Soundcollagen und des Engagements für die | |
| Copyleft-Bewegung bekannt ist. Gegründet wurden Negativland von Mark | |
| Hosler, David Wills und Richard Lyons Ende der 70er Jahre, später kamen | |
| weitere Mitglieder wie Don Joyce dazu. Eingebettet waren sie im Umfeld der | |
| nordkalifornischen Alternativszene, um Künstler wie Frank Zappa und the | |
| Residents, auch die Computerpioniere im Silicon Valley waren nicht weit. | |
| Negativland beschreiben sich [1][in ihrem FAQ] auf der Homepage als | |
| funnymen, die auch Künstler seien. Ihren Namen haben sie der Legende nach | |
| der Krautrockband Neu!, entlehnt, die 1972 den Song „Negativland“ | |
| veröffentlichten. Kurz nach ihrer Taufe starteten Negativland mit „Over The | |
| Edge“ eine mehrstündige Radioshow beim Community-Sender KPFA in Berkeley. | |
| Er ist eine linke Bastion in der Bay Area. Bis zu seinem Tod im Juli 2015 | |
| leitete Don Joyce die Sendung. [2][„Over the Edge“] läuft noch immer. | |
| In der Mitte der Kunsthalle im E-Werk hängt ein dunkler Vorhang. | |
| Großflächige, aufgeklebte Papierfetzen dienen als Leinwand. Videoclips | |
| laufen im Loop. Jeder einzelne ein rekontextualisiertes Set aus | |
| Filmzitaten, Werbe-Slogans und Musiksamples. Darin spricht Arielle, die | |
| Meerjungfrau, mit drohender Männer-Stimme: „You can’t use it without my | |
| permission.“ Eine Comic-Hindu-Frau singt vor psychedelischem Hintergrund: | |
| „She’s got everything“. | |
| The Weatherman, das Pseudonym von Bandmitglied David Wills, trägt den | |
| Finger von E. T., dem Außerirdischen, und tippt damit auf allem herum. | |
| Jesus wird immer wieder ans Kreuz genagelt. „Christianity is stupid and | |
| Communism is good“, tönt es, el Comandante Fidel Castro erscheint. Ein | |
| Hammer schwingt über den Himmel, wieder wird ein Nagel in Jesus’ Hand | |
| geschlagen. Eine animierte Dose, auf der „Dispepsi“ steht, fliegt durchs | |
| Bild und fängt Feuer. | |
| Adbusting ist hier das Stichwort, also die Kunstpraxis, Werbetafeln und | |
| Reklameschilder subversiv nachzubearbeiten. „Negativland“, die Ausstellung, | |
| wendet sich an Kenner, die die Clip-Fragmente, die Drucke der Plattencover | |
| und Flyer-Ensembles einordnen können. Für alle anderen liegt ein Booklet | |
| aus, das die Arbeit des Bandkollektivs erklärt und selbst schon einen | |
| Scherz enthält. | |
| ## „Pioniere in der Diskussion um die Freiheit der Kunst“ | |
| Wie kommt so etwas nach Schwerin? Kurator Andreas Wegner findet diese Frage | |
| unnütz. „Negativland sind so etwas wie Pioniere in der Diskussion um die | |
| Freiheit der Kunst“, entgegnet er. „Sie haben mit ihren Collagen einen | |
| wichtigen Prozess angestoßen, der vor allem die Musik betrifft – und dafür | |
| teuer bezahlt. In der bildenden Kunst läuft das unter Appropriationskunst | |
| und ist durch Künstlerinnen wie Louise Lawler, Elaine Sturtevant, Sherrie | |
| Levine oder Cindy Sherman bereits eingeführt. In der Musik funktioniert das | |
| leider nicht“, sagt Wegner. | |
| Für ihre Arbeit zweckentfremdet Negativland alles, was unter dem Begriff | |
| Konsumkultur fällt: Ausschnitte aus Musik, Film, Werbung – daraus zitieren | |
| sie, um etwas Neues zu basteln, das sich über das Entlehnte wieder lustig | |
| macht. Das Original wird als sicht- oder hörbare Quelle aus dem Alltag | |
| genutzt. „Culture Jamming“ haben sie die Strategie genannt. Das gefällt | |
| nicht allen. | |
| Zwei größere Prozesse hatte Negativland durchzustehen, in denen es vor | |
| allem um Urheber- und Markenrechtsverstöße ging. Beide haben sie verloren. | |
| Einen Rechtsstreit führten sie 1991 mit der Popband U2 um den | |
| Weltverbesserer Bono, weil sie einen ihrer Songs und das Bandlogo parodiert | |
| hatten. Im zweiten Fall macht sich Negativland mit einer Serie von Werken, | |
| wie T-Shirts („Just Say Bo No“), CDs und Videos, über den Rechtsstreit | |
| lustig. | |
| ## Produktwerbung mit Mittelfinger | |
| Die böse Männerstimme von Arielle ist die des mahnenden Anwalts. Da das mit | |
| der Nutzung von Musik nicht so einfach ist, engagiert sich Negativland in | |
| dem Nonprofitprojekt Creative Commons, das sich dem Vertrieb lizenzfreier | |
| Musik verschreiben hat. Trotzdem: „Jam is my Speciality“, ist das Motto. So | |
| lautet der Schriftzug auf einem CD-Booklet, das auf eine Radioshow, die | |
| JamConvention von 1984, hinweist. Darunter befindet sich das Bild einer | |
| Frau, die vermutlich aus einer Produktwerbung stammt. Neben ihrem Gesicht | |
| ist ein Mittelfinger montiert. Eine Flasche in Lila lädt zur Teilnahme ein. | |
| Damit ist alles gesagt: Fuck you. Und irgendwie auch: Hihi. Negativland | |
| kritisieren zwar Kapitalismus und Gesellschaft – nicht aber ohne Ironie. | |
| Subversion ist das höchste Ziel. | |
| Die Ausstellung in Schwerin zeigt die Arbeit der Experimentalband im | |
| Kleinen und verzichtet weitgehend auf die Kontextualisierung. Vielleicht | |
| ist das aber auch genau die richtige Strategie. | |
| 2 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.negativland.com/news/?page_id=283 | |
| [2] https://kpfa.org/program/over-the-edge/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Grieben | |
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