# taz.de -- Urheberrecht im Netz: Schneiden in der Grauzone | |
> Ab wann ist ein Remix-Film mit Disney- oder Hollywood-Schnipseln | |
> verboten? Angesichts nationaler Gesetze zum Urheberecht dürfte es | |
> tausende Filme im Netz gar nicht geben. | |
Bild: Disney-Figur Donald Duck: dank "Fair use" für einige Sekunden Träger po… | |
Arielle, die kleine Disney-Meerjungfrau, ist sauer. Richtig sauer. "Sie | |
können dieses Material nicht ohne mein Einverständnis benutzen", keift sie. | |
"Ich klage ihnen den Arsch weg." Im Hintergrund hämmern metallene | |
Soundfetzen, über den Bildschirm mäandern wie Menschen gekleidete Katzen, | |
psychedelische Collagen mit Hindu-Heiligenbildchen und Comicfiguren. | |
Verstörend, laut, vier Minuten lang. Ein politisches Video, eines, das sich | |
gegen die Macht von Rechteinhabern wendet, die Künstlern diktieren wollen, | |
welche Inhalte sie verwenden dürfen und welche nicht. | |
In Deutschland wäre es illegal, dieses Video zu produzieren, sagt | |
Medienanwalt Till Kreutzer. Weil die Künstlergruppe Negativland aus San | |
Francisco dafür Dutzende Musikschnipsel, Bilder und Filmsequenzen verwendet | |
hat, ohne die Rechte dafür zu erwerben - und so diverse Urheberrechte | |
verletzt. In Deutschland wäre es auch gesetzeswidrig, ein solches Video im | |
Internet zu posten. In den USA bewegt man sich damit immerhin in einer | |
rechtlichen Grauzone. | |
Das Urheberrecht hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr zu | |
einer Wissenschaft für sich entwickelt. Und das in einer Phase, in der jede | |
Laie technisch dazu in der Lage ist, Filmchen zu produzieren. Mit Material, | |
das möglicherweise urheberrechtlich geschützt ist, bei dem er vielleicht um | |
Erlaubnis fragen muss, bevor er es nutzt. Die Regeln unterscheiden sich von | |
Land zu Land - obwohl die Filme im Netz weltweit anklickbar sind. Was genau | |
erlaubt ist, wenn man fremdes Bild- und Tonmaterial für seinen eigenen Film | |
verwenden will, versteht kaum jemand mehr - selbst Profis sind zunehmend | |
verwirrt. Und so entstehen täglich hunderte von Filmen und Clips, die es | |
eigentlich gar nicht geben dürfte. Verbotene Filme. Ihnen widmete das | |
Portal iRights.info und die Deutsche Kinemathek vergangenen Donnerstag und | |
Freitag eine Tagung. | |
Peter Conheim vom US-Künstlerkollektiv Negativeland, kann an dem Video | |
"Gimme the Mermaid" mit der Arielle-Zeichnung nichts Illegales erkennen. | |
Das sei "fair use", sagt er. So heißt eine Konstruktion im US-Recht, laut | |
der kurze Teile von urheberrechtlich geschütztem Material genutzt werden | |
dürfen. Voraussetzung: Das Werk darf nicht einfach kopiert, sondern muss | |
kreativ verändert werden: für eine Parodie, als gesellschaftlicher | |
Kommentar, für aktuelle Berichterstattung oder zu Lehrzwecken. | |
Kaum jemand nutzte das mutiger als der US-Filmwissenschaftsprofessor Eric | |
Faden: Um in einem Film Basiswissen über Copyright und "fair use" zu | |
vermitteln, ließ er Tiere sprechen. Und zwar nicht irgendwelche - sondern | |
er nutzte winzige Wortschnipsel aus Disney-Filmen, wie etwa aus dem | |
"Dschungelbuch", um die Sachverhalte und Thesen zu erklären. Dass sich | |
Faden an die Werke des Zeichentrickfilm-Giganten heranwagte, ist schon an | |
sich eine Provokation: Disney setzt sich seit Jahren für ein starkes und | |
immer länger geltendes Urheberrecht ein. | |
Auch die New Yorker Remix-Videokünstlerin Elisa Kreisinger schreckt in | |
ihren Arbeiten vor der Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material | |
nicht zurück. Wenn sie Sequenzen aus der US-Serie "Sex and the City" so neu | |
zusammensetzt, als sei deren Hauptfigur Carrie Bradshaw nach ihren miesen | |
Männererfahrungen lesbisch geworden, so sei das einfach "fair use", sagt | |
sie auf der "Verbotene Filme"-Tagung. Um die Rechte kümmere sie sich nie, | |
da sie sich als "Popkulturpiratin" versteht. | |
Diese Videos von Conheim, Faden und Kreisinger dürfte es zwar eigentlich | |
nicht geben - tatsächlich kann man sie sich aber alle im Netz anschauen. | |
Ohne dass den Machern regelmäßig Abmahnungen ins Haus flattern oder YouTube | |
sie aus Gründen ungeklärter Urheberrechte dauerhaft löscht. Weil noch keine | |
Rechteinhaber - weder Filmgesellschaften noch Musiker, Regisseure oder | |
andere - es geschafft haben, ihre Clips aus dem Netz herauszuklagen. Auch | |
dank des Prinzips "fair use". | |
Von unendlicher Liebe | |
Solche Ausnahmeregelungen existieren in Deutschland und überhaupt in Europa | |
nicht. Trotzdem vermittelt der deutsche Videokünstler Stefan Eckel bei der | |
"Verbotene Filme"-Tagung nicht den Eindruck, er und seine Künstlergruppe | |
reproducts würden knietief in Abmahnungsbriefen stehen. Und das, obwohl sie | |
Schnipsel aus 30 Folgen der Serie "Der Kommissar" zu einem Kunstvideo neu | |
zusammengeschnitten haben - zu einer Collage, in der die Ermittler immer | |
wieder die Nachricht von ermordeten Angehörigen überbringen. Ohne Ärger | |
deswegen zu bekommen, weil sie weder Drehbuchautor noch das ZDF um | |
Erlaubnis gefragt hatten. | |
Auch wenn in diesem Fall - wie in vielen anderen auch - nicht viel passiert | |
sei: In Deutschland mache man sich mit dem Veröffentlichen solcher Filme | |
strafbar, warnt Medienrechtsanwalt und iRights-Autor Kreutzer. Das Problem: | |
Das hiesige Urheberrecht zielt unter anderem darauf ab, dem Schöpfer eines | |
Werkes die Entscheidung zu überlassen, wie es bearbeitet werden darf. Kurz: | |
Wer eine Filmsequenz verwenden möchte, müsste theoretisch eine Armee von | |
Filmgesellschaften, Regisseuren, Kameramännern, Autoren und andere | |
Rechteinhaber um Erlaubnis bitten. Die Alternative: Man versucht, Werke zu | |
nutzen, die so alt sind, dass sie nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen. | |
Oder solche, bei denen der Urheber klar gemacht hat, dass er keine Einwände | |
dagegen hat, dass sie geremixt werden. | |
Abgesehen davon hält iRights-Autor Kreutzer den US-Umgang mit dem | |
Urheberrecht für zeitgemäßer. Flexibler. Andere Medienrechtsanwälte in | |
Deutschland teilen seine Einschätzung. Wollen all die Online-Laien-Künstler | |
stärken, die nicht wissen, was genau sie da eigentlich tun. Und wollen | |
klarmachen, dass Remixes keine Piraterie sind, nicht bedeuten, dass | |
irgendjemand weniger Alben oder Filme verkauft. Allein: Kreutzer glaubt | |
nicht daran, dass sich das Urheberrecht, das auf EU-Ebene geändert werden | |
muss, in eine ähnliche Richtung wie in den USA bewegen wird. Zu | |
schwerfällig, zu verknöchert sei das Gesetzgebungssystem. Dabei wäre eine | |
Art "fair use" auch für Deutschland wünschenswert - eine Art | |
Waffengleichheit für Filmemacher, Laien wie Professionelle, und die | |
Industrie. | |
Beschwert sich jemand bei Videoportalen darüber, dass er die Rechte an | |
etwas besitzt, das in einem Video auf dem Portal gezeigt wird, fliegt es in | |
der Regel einfach von der Plattform - verbunden mit einem Hinweis an | |
denjenigen, der es eingestellt hat. Häufig ist die Toleranz hierfür jedoch | |
höher als in anderen Medien. Was daran liegen mag, dass sich die | |
Unterhaltungsindustrie erst einmal Piraterie, also das unveränderte Teilen | |
und Herunterladen von Filmen und Musik als vornehmliches Problem | |
vorgeknöpft hat. Da könnte es kleinkariert wirken, würde sie da gegen die | |
Verwendung von Sekundenschnipseln in Remixes zu kämpfen. Das sagt aber nur | |
wenig darüber aus, ob es den Remixern wegen Urheberrechtsverletzungen nicht | |
künftig stärker an den Kragen gehen wird. | |
Dann, wenn das Werk jenseits des Netzes, also im Fernsehen, im Kino, auf CD | |
oder DVD zum Einsatz kommen soll, gibt es schon heute immer wieder Ärger. | |
So auch bei dem schwedischen Regisseur Johan Söderberg. Der schnitt zum | |
Beginn des Irakkriegs Nachrichtenbilder der ehemaligen Regierungschefs Bush | |
und Blair so zusammen, dass es aussah, als würden sie im Duett die Schnulze | |
"My endless love" singen. Während sich das Video im Netz blitzschnell | |
verbreitete, teilte die Plattenfirma auf Anfrage mit, sie werde die | |
Musikrechte für diese Form der Nutzung nicht freigeben, weil das Video | |
schlicht "nicht lustig" sei. Verkaufen konnte Söderbergs Produktionsfirma | |
seinen Film also nicht, weil sie die Rechte dazu nicht besaßen. | |
Hunderttausende Netznutzer lachten trotzdem weiter darüber. | |
Peter Conheims Künstlerkollektiv Negativland wurde wegen der Musiknutzung | |
in ihrem Arielle-Clip sogar schon verklagt: Die Hardcorepunkband Black Flag | |
ging dagegen vor, dass ein Songschnipsel in dem Video und einer CD von | |
Negativeland verwendet wurde. "Wir haben uns entschieden, ihnen für jede | |
Platte, die wir verkaufen, freiwillig Geld zu geben", sagt Conheim, wippt | |
auf seinem Stuhl beim "Verbotene Filme"-Kongress in Berlin und grinst | |
breit. "Es gibt viele Wege, mit dem Urheberrecht umzugehen." | |
13 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Bundesverfassungsgericht | |
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