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# taz.de -- Amtsverzicht Ministerpräsident Davutoğlu: Zu viel Haltung
> Der türkische Präsident Erdoğan hat sich durchgesetzt. Ministerpräsident
> Davutoğlu verliert seinen Posten – er war wohl nicht biegsam genug.
Bild: Da waren sie noch vereint: Präsident Erdoğan (Bildmitte, rechts) und Pr…
Istanbul taz | Ärgerlich für Angela Merkel: Der türkische Ministerpräsident
Ahmet Davutoğlu, mit dem sie den umstrittenen EU-Türkei Flüchtlingsdeal
aushandelte – und den sie in den letzten Monaten wohl häufiger getroffen
hat als ihren Vizekanzler Sigmar Gabriel –, ist Geschichte. Präsident Recep
Tayyip Erdoğan hat durchgesetzt, dass der Premier gehen muss.
Am Mittwochabend musste er im Präsidentenpalast antreten. Zwar hat der
Präsident formal nicht die Kompetenz, den Ministerpräsidenten zu entlassen.
Aber er hatte sich zuvor der Unterstützung des Vorstands der regierenden
AKP versichert. Der beschloss dann den Abgang Davutoğlus auf einer Sitzung
am Donnerstag.
Am 22. Mai soll nun ein außerordentlicher AKP-Parteitag stattfinden, bei
dem Davutoğlu nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidiert.
Nach den Statuten der AKP wird der neue Parteichef dann automatisch von der
Mehrheit der Abgeordneten im Parlament zum neuen Ministerpräsidenten
gewählt.
In seiner Abschiedsrede am Donnerstag vermied Davutoğlu eine direkte Kritik
an Erdoğan. Er beklagte stattdessen, dass der Parteivorstand ihm in den
Rücken gefallen sei. Indirekt machte er aber klar, dass der Grund seines
Rauswurfes seine eigenständige Haltung als Ministerpräsident war:
Als er im August 2014 das Amt des Parteivorsitzenden und Premiers
übernommen hatte, habe zwischen ihm und Erdoğan Einverständnis darüber
geherrscht, sagte er, dass beide jeweils eigenständige starke Positionen
haben sollten.
## Die Probleme des Landes
Das gilt wohl schon länger nicht mehr. Erdogan ärgerte offenbar besonders,
dass Davutoğlu das Projekt einer neuen Präsidialverfassung nicht energisch
genug vorangetrieben habe. Mit ihr würde Präsident Erdoğan die gesamte
exekutive Macht erhalten. Erst kürzlich hatte Davutoğlu in einem Interview
erklärt, die Türkei habe im Moment andere, größere Probleme.
Zweitens soll Erdoğan dem Premier vorgeworfen haben, gegen die
kurdisch-linke HDP im Parlament nicht hart genug durchgegriffen zu haben.
Der Präsident beschuldigt die HDP schon lange, der parlamentarische Arm der
kurdischen PKK-Guerilla zu sein. Er will insbesondere die
HDP-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ im Gefängnis
sehen. Der Premier beharrte dagegen darauf, im Prozess der Aufhebung der
Immunität der kurdischen Politiker wenigstens einige demokratische
Mindeststandards einzuhalten.
Und drittens soll der Präsident dem Premier vorgehalten haben, dass er mit
westlichen Politikern, insbesondere Angela Merkel, zu eng zusammenarbeite.
Seiner Meinung nach ist Davutoğlu der EU mit dem Flüchtlingspakt zu weit
entgegengekommen.
Für die weitere Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der EU bedeutet der
Rauswurf Davutoğlus deshalb nichts Gutes. Das Abkommen war sein Projekt,
ohne ihn wird die Umsetzung nun wesentlich schwieriger werden.
Das betrifft zuerst die Visafreiheit, für die die EU von der Türkei noch
die Umsetzung von insgesamt fünf Punkten verlangt, darunter die
Präzisierung der vage formulierten türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung. Die
EU will das geändert haben, aber Erdoğan wird dafür wenig Verständnis
zeigen.
## Erdoğans Verhältnis zur EU
Nach Ansicht des Präsidenten tut im Gegenteil die EU seit Langem viel zu
wenig gegen die Aktivitäten der PKK in Europa. Erdoğan dürfte deshalb die
weiteren Forderungen der EU ablehnen und stattdessen damit drohen, ab
sofort die Flüchtlinge wieder in Richtung Griechenland ziehen zu lassen.
Mit dem Rauswurf des Premiers wird nun auch der Weg für die schnelle
Kriminalisierung der kurdischen Abgeordneten frei. Erdoğan verfolgt damit
zwei Ziele: Er will die Unterstützung der PKK schwächen. Zudem würden durch
den Abgang der HDP 25 Prozent der Sitze im Parlament frei. Bei einer
Nachwahl erhofft sich Erdoğan genügend zusätzliche Mandate für die AKP, um
anschließend ohne Stimmen aus der Opposition eine neue Verfassung
verabschieden zu können.
Wer wird Nachfolger Davutoğlus? Wichtigste Voraussetzung für den neuen Mann
dürfte die völlige Loyalität dem Präsidenten gegenüber sein, sagen
politische Beobachter übereinstimmend. Immer wieder fällt der Name des
Energieministers Berat Albayrak. Der junge Mann hat aus Sicht Erdoğans
einen unschlagbaren Vorteil: er ist sein Schwiegersohn.
5 May 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Recep Tayyip Erdoğan
Ahmet Davutoglu
Schwerpunkt Türkei
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