| # taz.de -- Anfrage zur Entschädigung für NS-Opfer: Von Armut keine Ahnung | |
| > Eine Anfrage der Linken, wie viele der NS-Opfer heute arm sind, ergab: | |
| > nichts. Es gebe einfach keine Informationen, so die Erklärung. | |
| Bild: Wird nicht erfasst: die Einkommensverhältnisse von NS-Opfern | |
| Berlin taz | An diesem Sonntag jährt sich zum 71. Mal der Tag der | |
| Befreiung. Von den NS-Opfern, die das nationalsozialistische Terrorregime | |
| überleben konnten, werden noch schätzungsweise 450.000 diesen Jahrestag der | |
| bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht begehen können. Nur | |
| ein Teil von ihnen erhält Unterstützungsleistungen aus Deutschland. Die | |
| Bundesregierung kümmere sich zu wenig um die soziale Situation der | |
| Betroffenen, kritisiert die Linksfraktion. „Sie hat am Problem der | |
| Verarmung vieler Überlebender ganz offensichtlich überhaupt kein | |
| Interesse“, sagt deren innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke. | |
| Anlass für Jelpkes Kritik ist die Antwort der Bundesregierung auf eine | |
| Kleine Anfrage. Die Linksfraktion hatte wissen wollen, wie viele der heute | |
| noch lebenden NS-Opfer sich in einer sozialen Notlage befinden. Doch | |
| darüber erhielt sie keine Auskunft. „Der Bundesregierung liegen keine | |
| Informationen darüber vor, inwiefern überlebende NS-Opfer in Europa und | |
| Israel beziehungsweise außerhalb von Europa heute in Armut leben oder von | |
| Armut bedroht sind“, antwortete der Parlamentarische Staatssekretär im | |
| Finanzministerium, Jens Spahn (CDU). | |
| Für die Situation in Deutschland verwies Spahn darauf, dass „Armut im Sinne | |
| von Hilfebedürftigkeit“ generell für ältere Menschen durch die | |
| Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vermieden würde. „Diese | |
| Leistungen gewährleisten den notwendigen Lebensunterhalt“, so Spahn. | |
| Angaben darüber, wie viele Überlebende von relativer Armut betroffen sind, | |
| konnte er nicht machen. Der Regierung lägen „keine Informationen zur | |
| spezifischen Armutsrisikoquote von NS-Opfern vor“. | |
| Gleichwohl versicherte Spahn, dass die Verbesserung der sozialen Lage der | |
| noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus „stets ein besonderes Anliegen“ | |
| der Bundesrepublik gewesen sei. In diesem Zusammenhang verwies er darauf, | |
| dass die BRD von 1953 bis Ende 2015 insgesamt 73,4 Milliarden Euro an | |
| Wiedergutmachungsleistungen gezahlt habe. | |
| Bis zum Jahreswechsel hätten noch 25.519 Menschen Leistungen nach dem | |
| Bundesentschädigungsgesetz bezogen. Monatliche außergesetzliche Beihilfen | |
| auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Jewish Claims Conference | |
| erhielten 59.648 Menschen. Auf Basis der Härtefallrichtlinien des | |
| Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes bekamen noch 179 Zwangssterilisierte und | |
| zwei Euthanasiegeschädigte laufende Leistungen von 320 Euro monatlich. | |
| Außerdem wurden bisher rund 59.000 Ghettorenten bewilligt. Wie viele | |
| NS-Verfolgte sie derzeit bekommen, ist der Bundesregierung allerdings | |
| „nicht bekannt“. Auch sei die Gesamtzahl der Empfänger deutscher Beihilfen | |
| „nicht ermittelbar“, da die verschiedenen gewährten Leistungen sich nicht | |
| ausschließen. | |
| „Die Bundesregierung tut gerade so, als sei alles zur Zufriedenheit | |
| geregelt und sie habe ihre Pflicht zur Entschädigung längst übererfüllt“, | |
| empört sich die Linksparteilerin Jelpke. Dabei blende die Regierung | |
| allerdings insbesondere das Schicksal der verfolgten Roma und Sinti aus. | |
| „Sinti und Roma in Osteuropa, die den Naziterror überlebt haben, leben | |
| heute in bitterster Armut“, konstatiert die Abgeordnete. Bis auf ganz | |
| wenige Ausnahmen erhielten sie überhaupt keine Entschädigungszahlungen aus | |
| Deutschland. Das Verfolgungsschicksal von Juden und Roma sei jedoch | |
| gleichermaßen mörderisch gewesen. „Es gibt deswegen keine Rechtfertigung | |
| dafür, sie bei der Entschädigung derart unterschiedlich zu behandeln“, so | |
| Jelpke. | |
| 5 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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