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# taz.de -- Protest gegen Nato-Atomwaffen: Der Unbeirrbare
> Hermann Theisen kämpft mit Flugblättern gegen US-Atomwaffen in der Pfalz.
> Regelmäßig verfolgt ihn die Justiz. Jetzt droht ihm Knast.
Bild: Bezeichnet sich selbst als „radikalen Antimilitaristen“ – Hermann T…
Heidelberg taz | Hermann Theisen schreibt Flugblätter, das Demonstrieren
reicht ihm schon lange nicht mehr. Es sind Flugblätter, die die Justiz auf
den Plan rufen. Er wendet sich an die Soldaten des Fliegerhorsts Büchel in
der Eifel, wo Atomwaffen der US-Armee lagern sollen. Er schreibt an
Bürgermeister, Verwaltungsangestellte und Lokalpolitiker der
strukturschwachen Gegend.
Theisen wendet sich an die Angestellten des Rüstungskonzern Krauss-Maffei
Wegmann in München, der den Leopard-II-Panzer produziert und nach
Saudi-Arabien verkauft. „Beteiligen Sie sich an Ihrem Arbeitsort an
Boykott- und Sabotagehandlungen gegen den geplanten Waffendeal“, ruft
Theisen in seinem Flugblatt den Angestellten der Münchner Panzerschmiede
zu.
Ab und zu zieht er dann los – in Büchel kennen sie ihn schon – und verteilt
seine Flugblätter. Und regelmäßig verfolgt ihn die Justiz mit
Strafverfahren. Unzählige Bußgelder musste er zahlen, dreimal saß er kurz
in Haft. „Die Flugblätter nerven und provozieren“, sagt Hermann Theisen, 52
Jahre alt, in seiner Küche in Heidelberg. Er sitzt in Jeans an einem langen
schmalen Holztisch „Aber in Deutschland darf man das. Deswegen ist mir
diese Aktionsform so sympathisch.“
Aber darf er das wirklich? Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat im April 2016
Anklage gegen Theisen wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in
Verbindung mit einer Aufforderung zum Verrat von Dienstgeheimnissen“
erhoben. Nicht zum ersten Mal. Zwei Berufungsverfahren beim Landgericht
Koblenz stehen noch aus, zwei Ermittlungsverfahren sind in der Schwebe. Im
Grunde geht es um das gleiche Flugblatt, das zu unterschiedlichen
Zeitpunkten verteilt oder per E-Mail versandt worden ist. Der Ton in der
juristischen Auseinandersetzung wird schärfer, der Takt der Strafverfolgung
dichter.
Das sei wie wiederholtes Fahren ohne Führerschein, erklärt Theisens Anwalt
Martin Heiming. Die Frage ist, ob die Justiz die Flugblattaktionen wie
bisher als einzelne Vergehen ahndet oder ob sie ihn als Wiederholungstäter
behandelt. In dem Fall könnte das Strafmaß höher ausfallen, eine Haftstrafe
nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Aber wegen eines Flugblatts in Haft
gehen? „Ich weiß nicht, ob es das je nach 1945 gegeben hat“, sagt Theisen.
Hermann Theisen bezeichnet sich als „radikalen Antimilitaristen“. Der Mann
ist, positiv gesagt, beharrlich, böse ausgedrückt, eine Nervensäge. „Ich
bin einfach so ein Typ, der unbeirrt an einem Thema dranbleibt“, sagt er
und schiebt hinterher, „und sicher auch ein bisschen unbelehrbar“. Es ist
früher Abend. Die Wohnung im Parterre bewohnt er seit 21 Jahren mit seiner
Familie zur Miete.
## „Ich habe meiner Familie viel zugemutet“
Die Forsythien in den Vorgärten blühen, die Bäume in den ruhigen Straßen
des gutbürgerlichen Viertels zeigen zartes Grün. Auf dem Tisch ein großer
Blumenstrauß, Theisens Frau hatte vor ein paar Tagen Geburtstag. Das ist
sein anderes, sein normales Leben, aus dem es ihn trotz seiner politischen
Aktivitäten nicht rauskatapultiert hat. „Ich habe meiner Familie viel
zugemutet“, sagt er nur.
Hermann Theisen wirkt nicht verbissen oder verbittert, im Gegenteil, er
scheint gelassen, mit sich im Reinen, und wenn er spricht, spricht er eher
schnell. Da ist einer von seinem Thema überzeugt – oder tief eingestiegen.
Sein Lebensthema ist die atomare Bedrohung. Angeblich zwanzig
US-amerikanische Atomwaffen lagern in den Bunkern des Fliegerhorsts Büchel
im Kreis Cochem-Zell, wo die deutsche Luftwaffe Piloten für den Einsatz in
Jagdbombern der Nato ausbildet. „Ich finde es empörend,“ sagt Theisen,
„dass seit Jahren parteiübergreifend gefordert wird, dass die Waffen
wegmüssen. Und jetzt sollen sie sogar modernisiert werden.“
Wie kommt einer dazu, sich über Jahrzehnte dem Kampf gegen Militarismus zu
verschreiben? Und gibt es nicht andere, mindestens genauso drängende Fragen
heute – Globalisierung, Flüchtlingspolitik, Umweltpolitik? Sicher, sagt
Theisen, die gibt es, und die sind genauso wichtig. Aber darum müssen sich
eben andere kümmern.
## Der Wehrdienstverweigerer
Hermann Theisen, 1962 geboren im pfälzischen Bad Kreuznach, ist in den
achtziger Jahren politisch sozialisiert worden. Nato-Doppelbeschluss,
Anti-AKW-Demos, Friedensbewegung, Reaktorunglück in Tschernobyl. „Die
atomare Gefahr war existenziell spürbar. Endzeitstimmung, Von einem Moment
auf den anderen kann alles zu Ende sein.“ Er absolvierte zunächst eine
kaufmännische Ausbildung, verweigerte den Wehrdienst und leistete seinen
Zivildienst in einem Altenheim. Anschließend studierte er in Darmstadt
Sozialpädagogik.
Seit zwanzig Jahren arbeitet Theisen als Sozialarbeiter in einer
psychiatrischen Klinik mit Suchtkranken. Seine Kollegen wissen von seinem
Engagement. „Das ist dort kein Thema. Ich habe keinen missionarischen
Eifer.“ Aber Ehrgeiz. Vor fünf Jahren machte Theisen einen Master of Social
Work.
Sehr früh stand für Hermann Theisen fest, dass er nie Soldat werden will.
Sein Vater hatte sich als Fremdenlegionär im Indochinakrieg verpflichtet.
„Er wollte wohl der Enge und Armut seines Eifeldorfs entkommen und hat sich
von der französischen Armee anwerben lassen.“ Das war 1949, lange vor
Theisens Geburt, der vier ältere Geschwister hat. Als Kind hat es ihm in
dem Eifeldorf immer gut gefallen. Erst später entdeckte er, wie ärmlich und
klein es dort eigentlich war. Nach zweieinhalb Jahren in der Fremdenlegion
erlitt sein Vater eine Schussverletzung und wurde vorzeitig entlassen. Er
arbeitete dann als Heizungsmonteur. Sein Vater habe nie darüber gesprochen,
erzählt Theisen, er sei ein sehr freundlicher, aber gebrochener Mann
gewesen.
## Kein Bock auf Gruppen
Hermann Theisen ist diskret, was seine Herkunft, seine eigene Familie
anbelangt. Er hat zwei Kinder, Zwillinge, gerade zwanzig. Er macht sein
eigenes Ding, hält das Private vom politischen Engagement getrennt. „Ich
habe irgendwann beschlossen, das alleine zu machen.“ Gruppenprozesse sind
schwierig, langwierig. Inhalte von Flugblättern diskutieren, Aktionen
abstimmen, Prozessbegleitung – „das kriege ich nicht hin“, sagt Theisen.
Nicht neben Familie und mit vollem Job.
So ist er über die Jahre zum Einzelkämpfer geworden, fühlt sich aber gut
vernetzt in der Anti-Atom-Bewegung, ist aktiv im Grundrechtekomitee und in
der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen). Kurze Zeit war er bei den Grünen. Hermann Theisen
neigt nicht zu bloßem Aktivismus. Er zieht nicht von Camp zu Konferenz. Er
überlegt gut, wo er ansetzt, wo er nervt. Beispiel Büchel. „Ich mach das
dann einfach, darin habe ich eine gewisse Radikalität. Da kommt die
Strafjustiz an ihre Grenzen.“
Über die Jahre hat er sich eingearbeitet in juristische Fragen, das macht
ihm Spaß. Es geht um komplexe Sachverhalte, um Grundrecht,
Verfassungsrecht, Völkerrecht. Den Staat herausfordern ist seine
Herausforderung. Er vertraut dem Rechtssystem. „Die meisten Verfahren sind
zu meinen Gunsten ausgegangen.“ Oder wurden eingestellt. Etwa in acht von
zehn Fällen, meint Theisen. Er sieht sich deswegen auch nicht als
Justizopfer. „Aber ich scheine da einen neuralgischen Punkt zu treffen.“
## Der neuralgische Punkt
Wo sitzt dieser neuralgische Punkt? Im September 2015 brachte das
ZDF-Magazin „Frontal“ einen Bericht, der aus Etatplänen des
US-Verteidigungsministeriums schloss, dass in Büchel 20 neue Waffen des
Typs B61-12 stationiert werden sollen. Laut Rüstungsexperten wären diese
wesentlich zielgenauer und entsprächen etwa 80 Hiroshima-Bomben.
Im Ernstfall müssten dann, so die „Frontal“-Journalisten, deutsche
Kampfflugzeuge und Piloten die Nuklearwaffen im Rahmen von Nato-Einsätzen
transportieren und abwerfen. „Für mich ist das ein Skandal, dass wir als
Zivilgesellschaft nicht darüber informiert werden“, sagt Theisen. „Was
überwiegt in so einem Fall“, fragt er weiter, „das Interesse des Militärs
an Geheimhaltung oder das Interesse der Zivilgesellschaft an Aufklärung?“
Für Hermann Theisen ist die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands im Rahmen der
Nato-Strategie klar ein Verstoß gegen das Grundgesetz und das Völkerrecht.
Ein paar Tage nach der „Frontal“-Sendung verurteilte das Amtsgericht Cochem
Hermann Theisen wegen seines Büchel-Flugblatts zu 80 Tagessätzen à 30 Euro,
in Februar 2016 erneut zu 40 Tagessätzen. Die Berufungsverfahren sind
anhängig, in einem Fall fordert der Staatsanwalt eine härtere Strafe.
## Eine neue Anklage
Im April 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz erneut Anklage gegen
Theisen, zweifach. „Psychologisch betrachtet“, scherzt Theisen, „scheint
man die Flugblätter für gefährlicher zu halten als die Sprengkörper.“ Abe…
„Nicht mein Flugblatt ist illegal, sondern das Geheimnis um die Waffen.“
Haben die Staatsanwälte nun endgültig die Nase voll von der Nervensäge?
Theisen ist irritiert. Angst hat er nicht. „Ich habe durchaus Vertrauen ins
Rechtssystem.“ Er weiß, er ist ein schwieriger Mandant für seinen Anwalt.
Theisen geht es nicht darum, um jeden Preis freigesprochen zu werden.
Sondern darum, seiner Sache Gehör zu verschaffen. „Ich bin nicht so naiv,
dass ich denke, dass die Soldaten alles hinschmeißen. Aber ich will eine
Diskussion.“
Fast vier Stunden spricht er in seiner Küche. Es wird Abend, er bietet ein
Glas Pfälzer Weißwein an, reicht Pralinen. Zur vollen Stunde zwitschert
jedes Mal ein anderer Vogel aus der Wanduhr. Die hat seine Frau, eine
Vogelnärrin, geschenkt bekommen. Hermann Theisen bezeichnet sich als
gläubig, aber das ist nichts, das er an die Kirchenglocke hängt.
Hermann Theisen geht gern tanzen, ins Theater. Er hat ein Leben jenseits
des Aktivistendaseins. Er hat berufsbegleitend eine Ausbildung in „Ziviler
Konfliktbearbeitung“ absolviert. Für nächstes Jahr plant er nach zwanzig
Jahren an der Klinik ein Sabbatjahr, er hat das als Erster im Betrieb
durchgesetzt. Beharrlich. Und eben ein bisschen unbelehrbar. „Sie können
mich verurteilen“, sagt er, „aber bitte mit einer guten Begründung.“
6 May 2016
## AUTOREN
Sabine Seifert
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