| # taz.de -- Atomausstieg und Energiewende: „Das Thema ist durch“ | |
| > Klimaforscher Mojib Latif tritt bei den „Erneuerbaren Lesetagen“ auf. Er | |
| > findet, dass Deutschlands AKW-Ausstieg die Welt verändert. | |
| Bild: Streitet unermüdlich für Ozean- und Klimaschutz: Mojib Latif | |
| taz: Herr Latif, braucht man die Lesetage „Lesen ohne Atomstrom“ noch? | |
| Deutschland hat den AKW-Ausstieg doch beschlossen, und alles wird gut. | |
| Mojib Latif: Das könnte man denken, aber nach Vorträgen kommen oft Menschen | |
| zu mir, die Atomkraft für beherrschbar halten. | |
| Trotz Tschernobyl und Fukushima? | |
| Ja. Sie sagen: Uns Deutschen passiert so etwas nicht. | |
| Demnach braucht man die Lesetage weiter als Propaganda? | |
| Ja. Außerdem waren sie ja eine Gegenbewegung zu den Vattenfall-Lesetagen. | |
| Die inzwischen nicht mehr existieren. | |
| Nein, aber die Nachfrage nach „Lesen ohne Atomstrom“ ist groß, und nebenbei | |
| kann man Leute fürs Lesen und für die Politik interessieren. | |
| Sind die Lesetage auch Ausdruck der Angst, der Ausstieg könnte widerrufen | |
| werden? | |
| Ich glaube nicht. Zumindest in Deutschland ist das Thema durch. Die | |
| Energiekonzerne geben klein bei und bauen neue Strukturen auf, | |
| verabschieden sich vom alten Geschäftsmodell mit Atom- und fossilen | |
| Energieträgern: Kohle, Öl, Gas. | |
| Klein beigeben? Die Energiekonzerne stellen riesige | |
| Schadenersatzforderungen. | |
| Sie versuchen das Maximum rauszuholen, aber das sind Rückzugsgefechte. | |
| Überhaupt müssten Sie als Klimaschützer Atomkraft eigentlich schätzen… | |
| Das höre ich immer wieder, aber es geht nicht nur ums Klima. Kurz vor | |
| Fukushima hieß es: Wir können nicht aus Atomkraft und Kohle zugleich | |
| aussteigen. Aber natürlich kann man, und wir tun es ja. Das heißt aber | |
| auch, dass wir Abschied nehmen müssen von zentralistischen | |
| Energiestrukturen – zugunsten von an den Standort angepassten | |
| Versorgungseinheiten. | |
| Apropos Standort: Sind Sie sicher, dass alle „Lesetage“-Orte ohne Atomstrom | |
| auskommen? | |
| Ich weiß es nicht. Mein Bauchgefühl sagt mir: Es wird nicht so sein. | |
| Dann wären die Lesetage teilweise eine Mogelpackung? | |
| Vielleicht. Aber das Motto bezieht sich vor allem darauf, dass man keine | |
| Sponsoren hat, die mit Atomstrom Geld verdienen. | |
| Die Begleitkampagne der Lesetage fordert den Stopp von Atomtransporten | |
| durch Hamburgs Hafen. Wenn alle Häfen Atomtransporte verweigerten: Stünden | |
| dann alle AKW still? | |
| Ich glaube nicht. Außerdem ist das nicht praktikabel: In den Städten und | |
| Kommunen, die die Häfen betreiben, bekäme man dafür keine Mehrheit. Ich | |
| glaube, man muss Atomkraft eher durch den zügigen Ausbau erneuerbarer | |
| Energien überflüssig machen, anstatt rückwärts zu schauen und die alten | |
| Strukturen zu blockieren. | |
| Dafür müsste es günstig sein, neue Strukturen aufzubauen. Das erfordert | |
| politischen Willen. | |
| Ja. Den gibt es zwar, aber nicht in dem Maße, wie es ich mir wünschen | |
| würde. Auch das jüngste Pariser Klima-Abkommen ist ein ein bisschen | |
| zahnloser Tiger. | |
| Deutschland hat Belgien jetzt um die Abschaltung grenznaher AKW gebeten. | |
| Zeigt das nicht, dass das Problem im Alleingang nicht lösbar ist? | |
| Das würde ich nicht unterschreiben. Die deutsche Energiewende hat eine | |
| Menge bewirkt: Weltweit gibt es derzeit mehr Investitionen in erneuerbare | |
| Energien als in konventionelle. Außerdem ist die Forderung, Dinge | |
| international zu lösen, ein Totschlag-Argument, um nichts zu tun. Ich finde | |
| aber, man muss einen Anfang machen. Nur dann ist man glaubwürdig. | |
| 21 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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