| # taz.de -- Tödliche Flüchtlingspolitik der EU: Sie wussten, was sie tun | |
| > Auf EU-Geheiß wurde ab 2014 nur noch die Küste Italiens kontrolliert. | |
| > Dass deshalb die Todeszahlen steigen würden, hatte die EU selbst | |
| > vorhergesagt. | |
| Bild: Gerettet von der italienischen Marine: ankommende Flüchtlinge im April 2… | |
| Vor genau einem Jahr ertranken in einer einzigen Nacht 800 Menschen vor der | |
| libyschen Küste. Ein überladenes Flüchtlingsboot war gekentert, | |
| herbeigerufene Retter suchten mit Hubschraubern vergeblich nach | |
| Überlebenden. „Da sind nur Kraftstoff und Trümmer, wir finden nichts mehr�… | |
| sagte einer von ihnen. Bis zum Ende des Jahres 2015 stieg die Zahl der | |
| Ertrunkenen auf rund 3.700 – mehr als je zuvor. | |
| Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hatte vor diesem Anstieg der Zahl an | |
| Schiffskatastrophen gewarnt. Trotzdem entschied sich die EU, die | |
| italienische Seerettungsmission „Mare Nostrum“ vor Libyen 2014 zu beenden. | |
| Das zeigt eine am Montag vorgestellte Studie des Londoner Goldsmith | |
| College. Darin haben die Wissenschaftler teils interne EU-Dokumente und | |
| Tagungsprotokolle ausgewertet. | |
| Demnach hielt Frontex die Mission „Mare Nostrum“ für einen „Pull-Faktor�… | |
| Sie verleite Flüchtlinge in Libyen, in See zu stechen, weil sie nicht weit | |
| kommen müssten, um Aussicht auf Rettung zu haben. Genau diese Aussicht | |
| solle es nicht mehr geben – dann würden „nennenswert weniger Migranten“ … | |
| Aufbruch riskieren. Deshalb sollte die Operation der italienischen Marine | |
| gestoppt und das Seegebiet vor Libyen nicht weiter überwacht werden. | |
| Ersatzweise sollte Frontex eine eigene Mission namens „Triton“ starten, die | |
| nur die unmittelbaren Küstengewässer Italiens im Blick behält. | |
| In einem im August 2014 von Frontex verfassten Konzept für die | |
| „Triton“-Mission warnte die Agentur jedoch, es sei „wahrscheinlich“, da… | |
| der Rückzug von Italiens Marine einen Anstieg der Todeszahlen zur Folge | |
| haben. „Die Priorität von EU und Frontex gebührte klar der Abschreckung. | |
| Das hatte Vorrang vor Menschenleben“, kommentierte der Goldsmith-Forscher | |
| Lorenzo Pezzani. Den EU-Entscheidungsträgern sei das Risiko „im Detail | |
| bewusst gewesen“. | |
| Am 3. September 2014 lud der Innenausschusses LIBE des Europäischen | |
| Parlaments den damaligen Frontex-Chef Gil Arias zu einer Anhörung ein. Die | |
| Abgeordnete Barbara Spinelli fragte ihn, ob er sich „bewusst sei, dass | |
| wieder mehr Menschen im Mittelmeer sterben werden“, wenn „Mare Nostrum“ | |
| beendet sei. Arias antwortete, die „Triton“-Mission werde „Mare Nostrum“ | |
| nicht ersetzen, weder ihr Mandat noch ihre verfügbaren Ressourcen. | |
| Trotzdem lief „Mare Nostrum“ Ende 2014 offiziell aus, an ihre Stelle trat | |
| „Triton“. Italien war nicht ganz wohl mit dieser Entscheidung: Rom beendete | |
| zwar offiziell „Mare Nostrum“, ließ aber einige Schiffe vorerst weiterhin | |
| für Rettungseinsätze nahe Libyen kreuzen. Frontex versuchte dies zu | |
| unterbinden: In einem Brief vom Dezember 2014 forderte die Agentur die | |
| italienische Regierung auf, dies zu unterlassen – es entspreche „nicht dem | |
| operativen Plan“. | |
| In den folgenden Monaten gingen die Unglückszahlen steil nach oben. Zwei | |
| Wochen nach den schweren Schiffsunglücken, am 29. April 2015, nannte | |
| EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Ende von „Mare Nostrum“ | |
| „einen Fehler, der Menschenleben gekostet hat“. Einige Staaten, darunter | |
| Deutschland, schickten daraufhin Marineeinheiten, die EU weitete das | |
| Einsatzgebiet von „Triton“ aus: Statt 30 Meilen patrouillierten die Schiffe | |
| nun bis zu 138 Seemeilen südlich von Italien – noch immer weit von Libyen | |
| entfernt. Trotzdem wurde 2015 nach der Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge zum | |
| Rekordjahr. | |
| 18 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Flüchtlinge | |
| Europäische Union | |
| Libyen | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Sudan | |
| Fluchtrouten | |
| Fluchtrouten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| EU-Hilfe für libysche Flüchtlingsblockade: „Die Europäer sind naiv“ | |
| Die EU will Libyen benutzen, um Schlepper und Flüchtlinge fernzuhalten. | |
| Doch der dortige Regierungschef hat keinerlei Einfluss. | |
| Kommentar EU und tote Flüchtlinge: Das Ende der Rettungslüge | |
| Die „oberste Priorität“ von Frontex ist nicht die Rettung von Flüchtlingen | |
| – sondern deren Abschreckung. Dabei werden Tote in Kauf genommen. | |
| Mögliches Bootsunglück im Mittelmeer: Bis zu 400 Tote befürchtet | |
| Bei einem Schiffsunglück im Mittelmeer sollen bis zu 400 Menschen ums Leben | |
| gekommen sein. Noch gibt es aber keine Bestätigung für das Ereignis. | |
| EU kooperiert mit afrikanischen Regimes: Europa schafft sich ab | |
| Um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, kooperiert die EU auch mit | |
| Afrikas Diktatoren. Die EU-Politiker wissen selbst, wie verachtenswert das | |
| ist. | |
| Fluchtrouten verändern sich: Es gibt immer einen Weg nach Europa | |
| Die EU versucht seit Langem, fliehende Menschen schon weit vor ihren | |
| Grenzen aufzuhalten. Das ist teuer, tödlich – und nutzlos. Ein Essay. | |
| Interaktive Grafik zu Fluchtrouten: Wie sich die Wege verschieben | |
| Die EU-Grenzpolitik will Flüchtlinge von Europa fernhalten. Doch es | |
| entstehen neue Routen. Wie politische Entscheidungen die Wege nach Europa | |
| verändern. |