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# taz.de -- Leben in Idomeni: Für die Liebe ins Lager
> Mahmoud Ibrahim lebte als Flüchtling in Mölln. Seine Frau schaffte es nur
> bis ins griechische Idomeni. Er reiste zu ihr und wohnt nun freiwillig im
> Camp.
Bild: Lieber im Lager als getrennt: Mahmoud lebt freiwillig in Idomeni, um bei …
Idomeni taz | Mahmoud Ibrahim kniet vor der kleinen Feuerstelle und wedelt
mit einem Stück Karton Sauerstoff in die Glut. Beißender Rauch bahnt sich
einen Weg in alle Richtungen. Er brennt in den Augen und erwischt einen,
egal auf welcher der drei provisorisch zusammengenagelten Holzbänke vor
Mahmouds Zelt man sitzt. Doch das Feuer wärmt, während im Flüchtlingslager
in Idomeni ein weiterer Tag des Wartens der Nacht weicht. „Gleich gibt es
was zu essen“, sagt Mahmoud auf Deutsch.
Unter den rund 12.000 Menschen im Lager fällt der 27-Jährige zunächst nicht
auf: Er trägt kurze schwarze Haare, einen gepflegten Bart und immer
dieselbe schwarze Jacke. Tatsächlich jedoch unterscheidet den Kurden aus
Kobani, der Stadt an der syrisch-türkischen Grenze, etwas ganz Elementares
von seinen ZeltnachbarInnen: Er ist freiwillig hier – zumindest auf dem
Papier.
Seit anderthalb Jahren lebt der syrische Staatsbürger mit einem bewilligtem
Asylantrag in Mölln, Schleswig-Holstein. Als seine Frau Ende Februar jedoch
in Idomeni strandete, beschloss er ihr beizustehen. Mahmoud reiste an und
bewohnt nun mit ihr ein Zelt – seit über einem Monat. Was für wohlbehütete,
mitteleuropäische Ohren nach Romantik in Reinform klingen mag, ist für die
beiden nicht mehr als die Fortsetzung einer bereits zwei Jahre währenden,
leidvollen Odyssee.
Mit dem Beginn des Krieges vor fünf Jahren fiel auch das Leben in Kobani
mehr und mehr in sich zusammen. Auch Mahmoud, der als Fliesenleger
gearbeitet hatte, verlor seinen Job. Eine Weile lang hielt er sich über
Wasser, indem er Gelegenheitsarbeiten in der benachbarten Türkei annahm,
später in Jordanien und dem Libanon. Ende 2013 aber spitzte sich die Lage
zu – der „Islamische Staat“ nahm rund um die Grenzstadt immer mehr Dörfer
ein.
Anfang 2014 ging es dann nicht mehr weiter: Mahmoud hätte sich einer der
zahlreichen kurdischen Widerstandsgruppen anschließen und gegen die
Terroristen kämpfen müssen, doch das wollte er nicht: „Das war eine schwere
Zeit. Der Krieg ist schlimm. Jedes Kind in Syrien kennt heute die Namen
aller Bomben-Typen“, erzählt er. „Eines Nachts bin ich dann einfach
losgelaufen. Alleine mit meinem Rucksack. Es ist so gefährlich, deshalb bin
ich ohne Dina los.“
Dina Maho, 21, ist seine Frau. Als sich Mahmoud an die Anfänge ihrer Liebe
erinnert, muss er lächeln: „Wir waren zwanzig Jahre lang Nachbarn. Und dann
trifft man sich halt immer öfter und telefoniert viel. Dass sie bei dir
übernachtet oder du bei ihr, wie in Deutschland, das gibt es bei uns nicht.
Ich habe sie irgendwann einfach gefragt, ob sie mich heiraten möchte.“
Sie wollte. Ein Standesamt aber, das eine Heiratsurkunde hätte ausstellen
können, gab es in Kobani zu der Zeit schon nicht mehr. „Wir hatten kein
Geld, um zum Amt nach Damaskus zu fahren“, sagt Mahmoud – „außerdem war …
gefährlich.“ Eine Zeremonie in der Moschee gab es dann doch, und ein Fest,
das zwei Tage dauerte. Gerade mal ein Jahr währte ihr Glück. Beide ahnten
damals weder, wo sie sich später wiedersehen werden, noch wie lange sie
darauf warten müssen: Eben weil die Heiratsurkunde fehlt, ist nun aus Sicht
der deutschen Behörden eine Familienzusammenführung unmöglich.
Über Algerien und Libyen erreichte Mahmoud 2014 zunächst das Mittelmeer. Es
ist jene Route, die seit dem EU-Türkei-Abkommen wieder mehr Flüchtlinge auf
sich nehmen. Von Algerien aus war er vorher zu Fuß nach Libyen geschleust
worden, tagelang durch die Wüste, der Willkür brutaler Schleuser
ausgesetzt. Im Anschluss dann die Überfahrt nach Lampedusa: Fünf Tage lang
ausharren in einem Schlauchboot. „Es war schwierig“, sagt er nur und wird
plötzlich ganz still. Eine Weile lang starrt er mit leerem Blick in das
Feuer.
Von Lampedusa gelangte er schließlich über Italien und Frankreich in die
Erstaufnahmestelle in Neumünster; da war Mahmoud schon fast ein halbes Jahr
lang unterwegs. In der Zeit der Trennung hielten er und seine Frau über
Skype und Whatsapp Kontakt. Zwei Jahre lang haben sie sich insgesamt nicht
gesehen. „Das war schwer, Dina hat viel geweint“, sagt Mahmoud. „Und ich
auch.“
## Eine eigene Wohnung hat Mahmoud schon
Dabei hat er seit seiner Ankunft in Deutschland einiges erreicht: Von
Neumünster zog er in eine Unterkunft in Gudow, später in seine erste eigene
Wohnung in Deutschland, nach Mölln. Eigentlich wollte er nach Hamburg, fand
dort aber keine Bleibe. In Mölln hatte er nach wenigen Monaten bereits das
B1-Niveau des Deutschkurses erreicht und ein Praktikum als Fliesenleger
begonnen. Mit seinen Freunden, unter denen auch schon ein paar Deutsche
sind, unternahm er Ausflüge, lernte Hamburg kennen, aber auch Berlin und
Leipzig. „Deutschland ist ein gutes Land, es gibt viele nette Leute.“
Mahmoud grinst: „Nur in Mölln, da ist nichts los.“
Sein Praktikum und den Deutschkurs hat der Syrer nun erst mal abgebrochen.
Nachdem Dina Ende vergangenen Jahres endlich aufgebrochen war, zusammen mit
ihrer Schwester und ihrem Schwager, Khalil, bemühte sie sich zunächst in
der deutschen Botschaft in Istanbul um eine Familienzusammenführung. Das
aber scheiterte – die fehlende Heiratsurkunde. Im Januar blieb ihnen nichts
übrig: Sie machten sich auf den Weg über die damals noch weitgehend
geöffnete Balkanroute. Mahmoud erzählt: „Bevor Dina in das Schlauchboot
gestiegen ist, hat sie mich angerufen, geweint und gesagt: Vielleicht sehen
wir uns jetzt nie wieder. Vielleicht sterbe ich jetzt.“
Soweit kam es zum Glück nicht. Nach ein paar unangenehmen Tagen in Athen,
wo Dina eine Nacht gänzlich schutzlos im Freien verbringen musste,
erreichte sie Ende Februar das Lager in Idomeni – in der Hoffnung, die für
Syrer teilweise noch geöffnete Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Das
aber gelang nicht. Seit mehr als einem Monat sind nun ein paar Zelte direkt
gegenüber des alten Bahnhofs in Idomeni ihr Zuhause. Und das ihrer
Schwester, ihres Schwagers und deren zwei Kinder.
Das Interesse an ihrer Geschichte scheint Dina fast unangenehm zu sein.
Still sitzt sie mit am Feuer, schüchtern ihr Blick. Ihre blonden Haare hat
die Muslima zum Zopf gebunden, einen Hijab trägt sie nicht. Die Augen sind
mit einem blauen Kajalstift umrandet, unter ihrer Lederjacke trägt sie eine
helle Bluse.
## Freiwillig ins Lager
Für Mahmoud war schnell klar, dass er seiner Frau beistehen muss. „Ihr ging
es hier sehr schlecht“, sagt er. Seit er in Deutschland als Flüchtling
anerkannt ist, darf er sich im Schengenraum frei bewegen. Die
Residenzpflicht, meist auf ein Bundesland beschränkt, gilt nur für
AsylbewerberInnen.
Sein Vater, der mit dem Rest der Familie im inzwischen zwar befreiten, aber
auch völlig zerstörten Kobani ausharrt, schickte ihm Geld für den Flug von
Hamburg nach Thessaloniki. Eingeweiht war nur Dinas Schwager: Khalil lotste
den Ehemann bis an ihr Zelt und rief Dina unter einem Vorwand herbei. Zwei
Jahre der Trennung waren überwunden. Mahmoud lacht, als er davon erzählt:
„Sie hat gar nichts gemacht. Sie stand einfach da und konnte nichts sagen.“
Über dem Feuer brät Khalil mittlerweile Spieße, Stücke vom Bein eines
Lamms. Ein Schlachter verteilt jeden Tag Reste um den alten Bahnhof herum.
Anfangs wollte Mahmoud nur zehn Tage bleiben, doch schnell war klar, dass
Dina ihn nicht mehr gehen lassen würde: „Sie hat gesagt, wenn du fährst,
töte ich mich.“
Was bleibt, ist das Hoffen auf eine Lösung, das im wochenlangen Warten
seinen Ausdruck findet. „Eine Wohnung und ein sicheres Land. Das ist unser
einziger Wunsch“, sagt Mahmoud. „Eine Zukunft in Deutschland will ich nur
mit meiner Frau.“
Am meisten Sorgen bereitet ihm hier im Lager die Schwangerschaft seiner
Schwägerin. Die sei außerdem krank. Er blickt wieder ins Feuer. „Scheiße
ist es hier“, entfährt es ihm. Dann zeigt er auf den Sohn seiner
Schwägerin, der auf der anderen Seite des Feuers mit dem Salzstreuer
spielt: „Gestern war seine Mutter zu spät an der Suppenausgabe. Da musste
der Junge hungrig schlafen gehen. Er kann ja nicht die Kleidung essen.“
Kurz darauf reicht er ein Brötchen mit Lammfleisch rüber: „Bitte, du bist
eingeladen.“
18 Apr 2016
## AUTOREN
Kristof Botka
## TAGS
Idomeni
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