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# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Instrumentalisierte Informationen
> Tausende Flüchtlinge harren in Piräus aus. Jedes Gerücht wird zur
> Nachricht. Helfer geraten unter Verdacht, Freiwillige wurden
> festgenommen.
Bild: Ihr Weg nach Norden ist blockiert: Flüchtlinge in Piräus
Piräus taz | Nora, die ihren Familiennamen nicht nennen möchte, sitzt mit
ihrer knapp zweijährigen Tochter Nathalie in einem der Hunderte von Zelten
am Hafen von Piräus. Seit Wochen harren hier Tausende Flüchtlinge und
Migranten aus. Sie sind verloren in einem Meer aus unsteten Informationen.
„Ich weiß nicht mehr, wem ich hier glauben soll“, sagt Nora, die in dem
einfachen Dreipersonenzelt hockt und ihre Knie eng an sich heranzieht. Auf
der einen Seite des Zeltes stapeln sich Rucksäcke und Taschen. Auf dem
Boden sind sorgfältig zwei Fleecedecken ausgelegt.
„Wir sind seit über einem Monat hier“, seufzt die 30-Jährige. Sie floh mit
ihrer Schwester und ihrer zweijährigen Tochter aus Aleppo in Syrien, kam
mit einem Boot auf der Insel Lesbos an und fuhr dann mit der Fähre nach
Piräus.
Der Hafen von Athen ist in den letzten Wochen zu einer Zeltstadt
herangewachsen. Müllberge türmen sich an den Seiten des Lagers, dessen
BewohnerInnen allein durch die freiwilligen HelferInnen und
MitarbeiterInnen unterschiedlicher Nichtregierungsorganisation einigermaßen
versorgt werden.
## Die Flüchtlinge hoffen auf Nordeuropa
Immer wieder wurde den Bewohnern geraten, in die organisierten Camps
umzuziehen, die von der Regierung betrieben werden. Doch viele der
Flüchtlinge hoffen immer noch, dass sich die Grenzen wieder öffnen und sie
doch noch in Richtung Nordeuropa weiterkommen. Sie haben Angst, dass sie in
den Camps der Regierung eingesperrt werden könnten. Immer neue Gerüchte
machen die Runde. Und so harren sie im Hafen von Piräus aus.
Die freiwillige Helferin Sandra kennt die Angst und die Hoffnung der
Flüchtlinge, wenn wieder einmal ein Gerücht herumgeht. „Ich weiß nie, was
ich sagen soll – denn auch mir fehlen genaue Informationen“, sagt sie.
Sandra kommt aus Irland und ist seit zwei Wochen hier. Ihren Nachnamen
behält sie lieber für sich. Freiwillige stünden momentan in keinem guten
Licht, sagt sie und blinzelt in die Sonne.
Schon zum dritten Mal spitzt sich an diesem Mittwoch im provisorischen
Flüchtlingscamp von Idomeni an der mazedonischen Grenze die Lage zu. Linken
AktivistInnen dort wird vorgeworfen, die Flüchtlinge zu
instrumentalisieren. Mitte März hatte das Flugblatt eines „Kommandos
Norbert Blüm“ dazu aufgefordert, auf Umwegen die Grenze nach Mazedonien zu
überqueren. Etwa 2.000 Menschen waren dem gefährlichen Vorschlag gefolgt,
einen reißenden Fluss zu überqueren.
Doch alle, die es nach Mazedonien geschafft hatten, wurden anschließend von
Sicherheitskräften nach Idomeni zurückgebracht. Nicht wenige sind dabei
misshandelt worden.
## Immer wieder neue Flyer
Vor einigen Tagen kam es erneut wegen eines Flugblatts zu Krawallen:
Hunderte Flüchtlinge versuchten am Sonntag, den Grenzzaun nach Mazedonien
niederzureißen. Ein Flyer in arabischer Schrift soll die Menschen dazu
ermutigt haben.
Und wieder werden AktivistInnen, die vor Ort als HelferInnen tätig gewesen
sein sollen, beschuldigt, hinter dem Aufruf zu stecken. Diesmal allerdings
griff die griechische Polizei ein. Nach Angaben eines Polizeisprechers in
Idomeni seien vorübergehend 16 Personen aus Schweden, Österreich, Portugal,
Griechenland sowie ein in Griechenland lebender Palästinenser und ein Syrer
sowie drei Deutsche festgenommen worden. 15 der Festgenommenen seien wieder
auf freiem Fuß.
Nur ein Mann aus Deutschland sitzt wegen Waffenbesitzes in
Untersuchungshaft, weil ein Messer in seinem Auto gefunden. Er habe aber
sehr wahrscheinlich nichts mit den Unruhen von Sonntag in Idomeni zu tun,
sagt der Polizeisprecher der taz. Man versuche weiterhin herauszufinden,
wer die Gerüchte unter die Flüchtlinge streut.
## Helferin Sandra arbeitet in der Kinderecke
„Die angeblichen AktivistInnen zu finden wird schwer“, meint Sandra im
Lager von Piräus und teilt ein paar Buntstifte an einige Kinder aus. Die
meisten der HelferInnen blieben nur für kurze Zeit, da sie ihren Aufenthalt
selbst finanzieren müssen. Und klar, meint Sandra, schlimme Menschen gebe
es überall. Hätte Europa die Flüchtlingshilfe gleich zur Regierungssache
der Staaten erklärt und nicht in private Hände abgegeben, wäre vielen
Flüchtlingen das Chaos nach ihrer beschwerlichen Flucht erspart geblieben.
Sandra hilft meist in der Kinderecke, tanzt und malt mit den Kleinsten.
„Damit sie mal ein bisschen vergessen können“, sagt sie. Aber auch das
Einlagern und Austeilen von Lebensmittelspenden gehört zu ihren Aufgaben.
Hinter den zwei Containern auf der gegenüberliegenden Seite von Noras Zelt
sind die lauten Kinderstimmen aus der Kinderecke zu hören.
Nora lässt ihre Tochter kaum aus dem kleinen Zelt heraus. Fast in jeder
Ecke des Lagers riecht es nach Urin, die Toiletten und Duschen reichen für
all die Menschen nicht aus. Im syrischen Aleppo habe sie sieben Jahre lang
als Assistentin eines Schönheitschirurgen gearbeitet, Botox, Fett absaugen,
alles – sie lacht. Ein anderes Leben, das hier nicht mehr wichtig ist. „Ich
habe immer so sehr auf Hygiene geachtet“, sagt sie und streicht die graue
Fleecedecke im Zelt glatt. Sie hat Angst, dass sich ihre Tochter Nathalie
eine Krankheit einfängt, sagt die Mutter. Sie möchte ihrer Tochter zuliebe
in ein anderes Lager umziehen.
Etwa 1.000 Menschen ließen sich in den letzten Tagen in nahegelegene Lager
bringen. Doch noch immer hausen knapp 4.000 Flüchtlinge und Migranten am
Hafen von Piräus. Denn, klar, die Besorgnis, dass sie aus den Lagern der
Regierung nicht mehr herausgelassen werden, schwingt nach den ersten
Abschiebungen von Flüchtlingen zurück in die Türkei mit, meint Nora.
Ihr Mann sei bereits in Belgien. „Er ist vor drei Monaten vorausgegangen“,
sagt Nora leise. Eine so plötzliche Schließung der Grenzen habe keiner
erwartet. Sie senkt den Blick.
## Bis Ende April soll der Hafen Piräus geräumt sein
Gestern habe sie auf einer Liste gestanden, die griechische Freiwillige
angefertigt hatten. Sie sollte mit ihrer Tochter in ein nahe gelegenes Camp
gebracht werden. „Dann fuhr der Bus vor, und alle schrien durcheinander“,
berichtet Nora. Ihr Name, der auf der Liste gestanden habe, sei in dem
Chaos untergegangen. Viel zu wenige ÜbersetzerInnen seien zur Stelle
gewesen. Der Bus ist ohne sie abgefahren.
Etwa 700 Menschen wurden am Montag in das neue Camp Skaramagas – eine
ehemalige Militäranlage – gebracht. Weitere 1.500 Menschen sollen in den
nächsten Tagen folgen. Bis Ende April soll der Hafen Piräus gänzlich
geräumt sein. Wann genau, das weiß niemand. Keine konkreten Informationen,
das sei das Schlimmste, sagt Nora. Wo muss ich mich melden? Wann kommt der
Bus? In welches Camp komme ich?
Nora zuckt hilflos mit den Schultern. Die Informationen hier seien nie
einheitlich. „Einmal hält man einen Flyer in der Hand, der von der
griechischen Regierung stammen soll und der einen auffordert, in Camps zu
gehen. Dann wiederum geht das Gerücht um, man solle hierbleiben, weil man
in den Lagern vergessen werde. Gegenüber ihres Zeltes sind an einer
Holzwand mehrere DIN-A4-Blätter der internationalen
Nichtregierungsorganisation News That Moves angebracht.
„Rumour“ – englisch für „Gerüchte“ – steht auf den Seiten und sol…
kursierenden Gerüchten aufräumen, etwa dem, dass man aus den organisierten
Flüchtlingscamps in die Türkei abgeschoben wird, oder auch dem, dass es in
den Camps Einzelzimmer gibt. „Ich vertraue hier auf nichts mehr“, winkt
Nora ab. „Ich habe ständig Angst, unsere Chance zu verpassen und falsch zu
handeln“, sagt sie.
## Auch Sandra hat die Flyer gesehen
Sandra bewundert ein Bild, das ein kleines Mädchen gemalt hat, streicht dem
Kind liebevoll über den Kopf. „Eigentlich wollte ich nach meinem Master als
Freiwillige nach Südamerika gehen“, erzählt sie dann. Doch warum so weit
reisen, wenn die Probleme vor deiner Haustür liegen? Sie lacht. „Ich selbst
bin wie viele hierhergekommen, um zu helfen. Und nicht um einen politischen
Traum zu leben.“ Letzteres betont Sandra und wird auf einmal sehr ernst.
Ja, sie habe Flyer gesehen, auf denen stand, dass die Flüchtlinge nicht in
die Camps der Regierung gehen sollten. Aber keiner wisse genau, wer sie
verteilt habe. „Es ist schlimm, dass die Flüchtlinge für eigene politische
Meinungen instrumentalisiert werden“, seufzt Sandra. Die Menschen könnten
doch schon jetzt nicht mehr.
Das sei auch gut an den Kindern zu beobachten, die die Angst ihrer Eltern
mittragen. Die Stimmung werde immer angespannter. „Ich mache mir jetzt
Sorgen, dass die Polizei uns freiwillige HelferInnen bald unter
Generalverdacht stellt“, sagt Sandra. Und wer hilft dann?
13 Apr 2016
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Griechenland
Balkanroute
Flüchtlinge
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Idomeni
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Grenze
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