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# taz.de -- Äthiopischer Spielfilm „Beti und Amare“: Aschenputtel der Step…
> Magischer Realismus im von Mussolini besetzten Äthiopien: Das
> Spielfilmdebüt von Andy Siege spielt mit den Bildern und Genres.
Bild: Hiwot Asres als Beti
Es war einmal, in einem fernen Land, eine junge Bauerntochter, und es
herrschte Krieg. Wir schreiben das Jahr 1936, und ein böser Herrscher
namens Benito Mussolini erobert das ostafrikanische Kaiserreich Abessinien,
das später Äthiopien heißen sollte. So oder ähnlich könnte der
außergewöhnliche Märchenfilm „Beti und Amare“ von Andy Siege beginnen, n…
stellt der Regisseur seiner Geschichte statt einem erzählten Prolog alte
Wochenschauberichte voran und entfaltet das Magische im Zeitgeschichtlichen
ganz anders, als man es erwarten mag.
Bethlehem (Hiwot Asres), genannt Beti, als gepeinigte Heldin des Films,
eine Art Aschenputtel der Steppe, zieht, von Hunger und Folter geplagt und
von ihrer Mutter geschickt, durch das öde Land und findet bei ihrem
Großvater Unterschlupf. Eine Reiterbande ist der jungen Frau auf den
Fersen, mit Säbeln bewaffnet und kurz davor, Beti durch Vergewaltigungen
weiter zu erniedrigen. Doch just im Moment der akuten Bedrohung regnet es
bunte Kometen auf die graue Erde.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Farbgebung des Films ein fantastisches
Eigenleben entwickelt, doch es ist für diese Geschichte das Wichtigste –
soll doch bald ein nackter Wolfsjunge, ein Romulus aus dem Weltall, aus
einem der gestrandeten Steine schlüpfen. Ausgestattet mit großen Eckzähnen,
aber ohne Vorstellung vom Leben, muss Beti dem „enfant sauvage“ erst die
Grundlagen des Alltags beibringen und tauft ihren wilden Zögling Amare.
Pascal Dawson, der sich auch als Regie-Assistent und Produzent dieses
ambitionierten kleinen Films betätigt, spielt das unzivilisierte
Wunderwesen als Mischung aus Mogli und Vampirkind und lässt Amares Rolle im
Film lange in der Schwebe – denn ob der weiße Wilde nun eine Bedrohung oder
der Retter der kriegsgebeutelten Beti ist, bleibt erst einmal unklar.
## Eigenwillige Magie
„Beti und Amare“ entfaltet gleich zu Beginn eine wunderbar eigenwillige
Magie, die man im Kino immer seltener mit einer derart konsequenten Lust am
Ungewöhnlichen umgesetzt sieht. Bilder und Filmfarben, Kamerawinkel und
Erzähltempo folgen ihren eigenen Regeln: Mal wird eine Blume im
Schwarz-Weiß-Bild eingefärbt, dann das ganze Bild wie in einem
nachkolorierten Stummfilm in monochrome Farbe getaucht. Mal erinnern die
atemberaubenden Totalen der asketischen Steppe mit ihren dominierenden
Himmellandschaften an die Ölgemälde der niederländischen Meister, dann
wieder hetzen wir aus der Perspektive Amares mit Weitwinkelblick zur
Wasserstelle, ganz wie in John McTiernans „Predator“.
Genrezuschreibungen sind Andy Siege, der in Nairobi als Sohn deutscher
Entwicklungshelfer geboren wurde, ohnehin herzlich egal. Sein mit 14.000
Euro eigenfinanziertes Experiment oszilliert spielend zwischen Kostümfilm,
surrealem Traum, Liebesgeschichte, Science-Fiction-Abenteuer, Hommage an
die Frühphase der Filmgeschichte und Splatterhorrorfilm. Dabei entfaltet
der Film mal eine meditative Ruhe, die von den Klängen Levin Kaerchners und
Alula Arayas auf dem Soundtrack unterstützt wird, dann wieder holen uns
zwischengeschnittene Archivschnipsel in die koloniale Realität
„Italienisch-Ostafrikas“ zurück, und die zwischenzeitlich vernachlässigte
Leidensgeschichte Amares wird im letzten Drittel des Films wieder
Haupthandlungsfeld.
Es ist diese wilde, filmisch sehr selbstbewusste Mischung, die „Beti und
Amare“ so faszinierend macht, wenn man gewillt ist, sich auf dieses
Low-Low-Budget-Abenteuer einzulassen. Eine Mischung aus Verspieltheit –
etwa wenn sich ein übergroßer Mond und ein künstlich funkelnder
Sternenhimmel nachts über die Hütte Amares legen – und dem reellen Anliegen
des Regisseurs, eine Geschichte über historische und gegenwärtige Traumata
zu erzählen, die Frauen in alten und neuen Kriegen aufgrund von
Vergewaltigung und Verfolgung erfahren.
Der überhöhte magische Realismus wird dabei auf sprachlicher Ebene
fortgeführt, wenn die Figuren außerhalb der Landesgrenzen die kaum
verständliche Sprache der Amharen sprechen, wohingegen der Fremdling Amare
sich nur mit Tierlauten und gegenüber Beti nur mit Körpersprache
verständigen kann.
Am Ende stolpert mit einem verwundeten italienischen Soldaten dann erneut
die Zeitgeschichte in den Film, und die vorübergehende Harmonie, die sich
zwischen den ungleichen Kindern entwickeln durfte, findet ein jähes Ende.
Doch ein Märchen wäre kein Märchen, wenn nicht auch hier wieder
unvorhergesehene Wendungen dem Schicksal zuspielen würden. Dass die Figur
der Beti dabei sinnbildlich für ein ausgebeutetes Land und dessen
Befreiungskampf steht, kann sich das Publikum selbst denken, wenn es will.
Es kann sich aber auch einfach nur am Film erfreuen, der die Balance
zwischen erzählerischer Leichtfüßigkeit und politischer Analogie
erfrischend unangestrengt meistert.
14 Apr 2016
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Science-Fiction
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Einwanderung
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