# taz.de -- Papst zu Ehe und Familie: Ein Himmelreich für Heteros | |
> Papst Franziskus veröffentlicht sein Schreiben zum Familienbild und zur | |
> Sexualmoral. Sex wird sehr positiv gezeichnet – solange er hetero ist. | |
Bild: Eine Empfehlung des Papstes: Man sollte sich doch als Ehepartner „jeden… | |
Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das ist die missmutige Interpretation | |
des „postsynodalen Schreibens“, das Papst Franziskus am Freitagmittag | |
vorgelegt hat. Es ist verbindlich für die knapp 1,2 Milliarden Menschen, | |
die weltweit katholischen Glaubens sind. | |
Der rund 200-seitige Text mit dem schönen Titel „Amoris laetitia“ (also: | |
Die Freude der Liebe“) macht reformorientierten katholischen Gläubigen nur | |
wenig Hoffnung, dass sich in ihrer Kirche bei vielen Streitthemen etwas | |
grundsätzlich ändert – etwa beim Umgang der Kirche mit Homosexuellen. Aber | |
ein paar Lichtblicke in Sachen Ehe-, Familien- und Sexualmoral gibt es für | |
die dennoch liberal Hoffenden in dieser Glaubensgemeinschaft schon. Wenn | |
auch ziemlich vage. | |
Kurzer Rückblick: Dem päpstlichen Schreiben ging ein weltweiter | |
Beratungsmarathon voraus, der in der Kirchengeschichte bisher einmalig ist: | |
Über zwei Jahre dauerte dieser Prozess. Zuerst wurden die Mitglieder der | |
Kirche überall auf der Welt gefragt, was ihnen in Sachen Ehe, Familie und | |
Sexualität auf den Nägeln brennt. | |
Dann diskutierte im Herbst 2014 eine Synode der Bischöfe der Welt in Rom | |
diese Ergebnisse. Es folgte eine zweite Befragung des Kirchenvolks | |
weltweit. Im Oktober vergangenen Jahres dann die zweite Weltbischofssynode | |
im Vatikan, die aber nach zwei Wochen Streit (und Intrige) nur mit einem | |
sehr vorsichtigen Kompromisspapier endete. Deshalb die innerkirchliche | |
Spannung auf das jetzige Schreiben des Papstes, der an die Beschlüsse der | |
Synode nicht gebunden ist: Würde er die Sache noch mal zuspitzen? Würde er | |
auch in der Morallehre der Kirche die Reform so vorantreiben, wie er es | |
etwa bei den Kirchenfinanzen seit seinem Amtsantritt im Frühling 2013 getan | |
hat? | |
## Viel Toleranz und Wohlwollen | |
Der Witz ist: Das hängt davon ab, wie man den Text mit seinen über 325 | |
Abschnitten liest. Das ist umso unbefriedigender, als der Papst selbst in | |
seinem Schreiben die Luft aus der ganzen Diskussion herausgenommen hat. | |
Wenn er, zumal ziemlich spät im Text (Abschnitt 300), schreibt, dass man | |
„von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle | |
gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte“: einen solchen Satz | |
kann man entweder als Flucht vor der Verantwortung werten, denn wozu ist | |
sonst ein Papst und ein solches Schreiben da? Oder als Ausdruck des | |
Selbstverständnisses dieses Papstes, der nicht der große Zampano sein will, | |
sondern auf die Weisheit des Kirchenvolks und der Bischöfe vertraut, wie er | |
immer wieder betont. | |
Das Papier ist insgesamt durchdrungen von viel Toleranz und Wohlwollen, was | |
die moderne Ehe und Familie angeht. Das gilt auch dann, wenn es dabei nicht | |
immer ganz so zugeht, wie die Kirche es traditionell gerne hätte. Auch der | |
Sex (in der heterosexuellen Ehe!) wird immer wieder sehr positiv | |
gezeichnet. Eine Kostprobe: „Wir dürfen also die erotische Dimension der | |
Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die | |
zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk | |
Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert.“ Von der | |
Sexualfeindlichkeit der katholischen Kirche ist hier nur wenig zu spüren. | |
Aber: Das betrifft eben nur die Norm-Ehe und den Sex zwischen Mann und | |
Frau. Zu Homosexuellen nichts Neues: Respekt und Barmherzigkeit, mehr | |
nicht. Auch eine Gleichstellung der Homo-Ehe mit der heterosexuellen lehnt | |
der Papst mit Verweis auf die Synodenväter ab: „Was die Pläne betrifft, die | |
Verbindungen zwischen homosexuellen Personen der Ehe gleichzustellen, gibt | |
es keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen | |
Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien | |
herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.“ | |
## Die katholische Großfamilie als Ideal | |
Über weite Strecken gleicht das Papstschreiben eher einer etwas länglichen | |
Ehe- und Familienberatung. Und offensichtlich schwingt die eigene Prägung | |
des Papstes, die katholische Großfamilie lateinamerikanischer Spielart in | |
den 30er bis 60er Jahren, als Ideal immer im Hintergrund mit. Bis zu der, | |
sagen wir: sperrigen Empfehlung des Papstes, man sollte sich doch als | |
Ehepartner „jeden Abend“ gegenseitig segnen. | |
Immerhin, was die „wiederverheirateten Geschiedenen“ und ihrem Zugang zur | |
Kommunion angeht, gibt es etwas Bewegung. Das ist kein Spezialproblem der | |
deutschen katholischen Kirche, aber für die ist es ein Zankapfel seit | |
Jahrzehnten. Die große Mehrheit der deutschen Bischöfe wünscht sich hier | |
mehr Offenheit im Einzelfall. Und genau das liefert der Papst in seinem | |
Text, wenn er schreibt, es sei „möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken | |
zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung | |
der je spezifischen Fälle“. Wohlgemerkt: Es bleibt eine Entscheidung des | |
einzelnen Priesters im Einzelfall. | |
Die führenden deutschen Bischöfe Reinhard Marx, Heiner Koch und Franz-Josef | |
Bode, die selbst Synodenväter waren, zeigten sich ob dieser Öffnung dennoch | |
zufrieden. Und fühlten sich gleichwohl genötigt, ihre Interpretation des | |
Papsttextes dadurch zu bestärken, dass sie sogar auf zwei Fußnoten in | |
dessen Schreiben verwiesen: Es sind, zum Nachlesen, die Fußnoten 336 und | |
351, wo der Papst sich selbst zitiert mit den Worten: Die Eucharistie sei | |
„keine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel | |
und eine Nahrung für die Schwachen“. | |
## Mit Freuden gelesen | |
So fühlt sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe durch den Text bestärkt – | |
zumal Papst Franziskus stets betont hat, er wolle den Bischofskonferenzen | |
der einzelnen Länder mehr Autonomie einräumen. Der Vorsitzende der | |
Deutschen Bischofskonferenz, Marx, sowie Koch und Bode kündigten an, sie | |
wollten sich nun bemühen, „die Anregungen und Impulse umzusetzen und für | |
die pastorale Arbeit in Deutschland anzuwenden“. Das gelte auch für die, | |
deren „eheliche[n] Beziehungen missglückt“ seien. In welche Richtung das | |
gehen soll, stellten die Bischöfe auch schon klar: „Niemand darf | |
ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes.“ | |
Die Bischöfe verweisen auf die Gewissensfreiheit der Laien, die der Papst | |
mehrmals betont: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber | |
dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ Und sie zitieren einen | |
Satz des Papstschreibens, der tatsächlich als ein Bruch mit vielen | |
Jahrhunderten blutiger Kirchengeschichte und mit der Drangsalierung der | |
Gläubigen zu lesen ist: „Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das | |
ist nicht die Logik des Evangeliums!“ | |
„Das Wichtigste am ganzen Papier ist“, so der Präsident des Zentralkomitees | |
der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, „dass die offensichtliche | |
Diskrepanz zwischen dem Handeln der Gläubigen in Fragen der Ehe, | |
Partnerschaft und Sexualität und der kirchlichen Lehrverkündigung durch | |
diesen Text abgemildert und verändert wird.“ Der Papst hat also mit seinem | |
Text ziemlich geschaufelt: Er hat einen Teil des Grabens zugeschüttet, der | |
zwischen dem Glauben der Laien und der Lehre der Kirche besteht. | |
8 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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