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# taz.de -- Das Ende einer Ära: Ein keusches Verhältnis
> Annette Kosters Beruf ist vom Aussterben bedroht: Pfarrhaushälterin.
> Viele Priester verzichten darauf. Ein katholischer Abgesang.
Bild: Bei den Jüngeren stoßen sie oft auf Unverständnis für ihr Lebensmodel…
Leverkusen taz | Es ist zwölf Uhr mittags. Der Kaffee vom Morgen steht kalt
geworden auf dem Stövchen in der Küche des Pfarrhauses von Sankt
Aldegundis. Eine intensive Knoblauchbrise durchzieht den Raum.
Aus der Pfanne auf dem Herd steigt der Dunst von glasierten Zwiebeln auf.
Nudeln und Tomatensauce dampfen schon auf dem Esstisch, daneben steht eine
kleine Schüssel mit runden grünen Bohnen. Annette Koster bereitet das
Mittagessen vor. „Mein Chef ist selbst ein wunderbarer Koch“, sagt sie, „…
wäre undenkbar für ihn, in die Kantine zu gehen.“
Die 48-Jährige geht einem selten gewordenen Beruf nach: Pfarrhaushälterin.
„Es ist sinnvoll, wenn Priester eine Haushälterin haben, denn bei der
Selbstversorgung geht einfach zu viel Zeit drauf“, sagt sie.
Der Mittagstisch ist angerichtet. Peter Beyer betritt den Raum und freut
sich, als er sein Lieblingsgericht erkennt. Auch der Pfarrer hält an der
traditionellen Zweisamkeit von Pfarrer und Pfarrhaushälterin fest, ja, sie
ist für ihn selbstverständlich und lebensnotwendig. Seit 20 Jahren lebt er
mit Annette Koster zusammen. Sie führt für ihn den Haushalt. Sie kennt
seine Lieblingsgerichte, seine Gäste und seine Launen. Am Esstisch sitzen
sie gemeinsam.
## Freiwilliges Zölibat
Nach dem Tischgebet spricht der 51-jährige Rheinländer von sich aus das
Thema an, das jeden Pfarrer verfolgt, der eine Haushälterin hat: Ist die
Pfarrhaushälterin in Wirklichkeit die Pfarrfrau? Wie intim ist das
Verhältnis?
„Wir leben beide im Zölibat, bei ihr ist es freiwillig, bei mir Pflicht“,
sagt er und lacht. Die Witzeleien über seine Wohngemeinschaft mit
Pfarrhaushälterin Annette Koster fechten ihn nicht an, im Gegenteil, er
genießt sie: „Ich sage immer, natürlich haben wir ein Verhältnis, ein
Dienstverhältnis.“
Annette Koster und Peter Beyer lernten sich Ende der 80er Jahre in der
katholischen Jugendarbeit kennen. Auch als Koster in Köln Musikwissenschaft
und Slawistik studierte, blieben sie in Kontakt. Vier Jahre nach seiner
Weihe zum Priester fragte Peter Beyer sie, ob sie für ihn arbeiten würde.
Sie überlegte nicht lange und sagte zu. Sie war froh, aus Köln und dem
Unibetrieb rauszukommen. Ein Leben als Musik- oder Sprachlehrerin war für
sie keine Perspektive, von einer Arbeit im Büro ganz zu schweigen. Warum
also nicht in einer Kirchengemeinde einsteigen, wo sie alle ihre Neigungen
zusammen- und einbringen konnte?
## Das Ehrenamt gehört dazu
Annette Koster mag ihren Job und ihre Unabhängigkeit. Sie fühlt sich wohl
in der katholischen Welt zwischen Kirchtürmen und Kindergarten, Küche und
Kräutergarten. Sie hat sich eingerichtet in ihrer kleinen Wohnung unter dem
Dach im Pfarrhaus und schätzt die Freiheit in ihrem Umfeld: Sie teilt sich
ihre Zeit selbst ein, verdient ihren Lebensunterhalt, steht nicht im
Mittelpunkt.
Nur ein paar Stufen sind es hinunter in die Küche, wo sie jeden Tag viel
Zeit verbringt. Die Zubereitung des Mittagessens an diesem Tag gehört zu
ihren leichteren Übungen. „Wir haben oft zehn oder zwölf Leute zu Gast. Der
Pfarrgemeinderat kommt, oder der Kirchenvorstand, es gibt Dienstgespräche,
und Teamtage für hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter“, erklärt
Koster. Auch am Wochenende kommt oft Besuch.
Annette Koster schaut aus dem Fenster und blickt auf „ihre“ rheinische
Idylle. Neben dem Kirchturm von St. Aldegundis, der zweitältesten Kirche
Leverkusens, stehen gepflegte Fachwerkhäuser, umgeben von großzügigen
Gärten. Im Garten der Pfarrgemeinde blüht der Apfelbaum und im
hochgelegenen Kräuterbeet wuchern Lavendel und Rosmarin. Einmal pro Woche
nimmt sich Annette Koster Zeit für den Garten – zusammen mit dem Pfarrer.
Es ist ein gemeinsames Hobby, das die beiden verbindet. Und es ist eine
Auszeit vom Alltag, der für beide vollgepackt ist mit Terminen.
## Orgeln und Seniorenkreis
Zu den Aufgaben von Annette Koster gehören regelmäßige Treffen mit dem
Seniorenkreis und die ehrenamtliche Arbeit für die Berufsgemeinschaft der
Pfarrhaushälterinnen im Bistum Köln. Als nebenberufliche Kirchenmusikerin
begleitet sie zudem in der Messe die Liturgie und die Gemeinde beim Singen
auf der Orgel, wenn der reguläre Kirchenmusiker Urlaub hat oder krank ist.
Ihr Leben, in dem sich Beruf und ehrenamtliche Arbeit mischen, scheint
Koster attraktiver zu sein als das einer evangelischen Pfarrersfrau. Denn
im Gegensatz zur Haushälterin im katholischen Pfarrhaus wird die Ehefrau
eines evangelischen Pfarrers anscheinend automatisch mit ihrem Mann
angestellt – allerdings ohne Arbeitsvertrag.
Ein verheirateter Pfarrer, der mit seiner Familie im Pfarrhaus wohnt – für
Annette Koster ist dieses evangelische Lebensmodell schwierig
nachzuvollziehen. „Der Priesterberuf erfordert unheimlich viel Zeit, ich
glaube, da käme die Familie zu kurz“, meint sie und fügt hinzu: „Obwohl i…
mir schon vorstellen könnte, dass es ein paar Priester mehr gäbe, wenn
diese heiraten dürften.“
## Stumme Priesterrevolte
Trotz der unterschiedlichen Ausgangslage gibt es zwischen evangelischen
Pfarrersfrauen und katholischen Haushälterinnen eine Gemeinsamkeit: Ihre
Ära ist vorbei. Annette Koster weiß das. „Die Pfarrer wollen nicht mehr,
das ist das Problem“, sagt sie. Es klingt nachdenklich und etwas
melancholisch. „Viele wissen nicht, was für eine Erleichterung eine
Pfarrhaushälterin sein kann“, sagt sie, „sie haben ja noch nicht die
Erfahrung gemacht.“
Auch Pfarrer Beyer spürt die Auswirkungen der stummen Priesterrevolte. Bei
seinen Infonachmittagen im Priesterseminar stößt er mit seinem Lebensmodell
auf Verwunderung oder gar Unverständnis. „Die wollen keine Haushälterin,
das ist denen zu teuer“, weiß er. „Der Beruf der Pfarrhaushälterin ist vom
Aussterben bedroht.“
Die Statistik gibt ihm Recht. In den 70er Jahren arbeiteten in Deutschland
noch 16.000 „Priester-Perlen“, wie der Spiegel damals die Frauen im
Pfarrhaus nannte. Im Jahr 2010 gab es nach Angaben der Berufsgemeinschaft
der Pfarrhaushälterinnen noch 2.500 aktive Haushälterinnen, mittlerweile
sind es nur noch rund 1.500 Frauen. Mehr als die Hälfte arbeitet in
Teilzeit.
„Wir leben in einer Singlekultur“, meint Petra Leigers, Bundesvorsitzende
der Berufsgemeinschaft. „Warum sollte ein junger Priester, der in unserer
Gesellschaft aufgewachsen ist und gelernt hat, alleine klarzukommen, mit
einer Pfarrhaushälterin zusammenleben?“
## Trend zur Teilzeit
Es scheint ein katholisches Kuriosum zu sein: Die Emanzipation macht den
Pfarrhaushälterinnen zu schaffen. Statt mit einer Haushälterin als
ständiger Begleiterin das zölibatäre Leben zu meistern, kümmern sich die
Priester heute lieber selbst um ihren Haushalt und behalten ihr volles
Gehalt.
Denn Pfarrhaushälterinnen sind direkte Angestellte des Priesters. Ihr
Gehalt wird zwar von der jeweiligen Diözese mit bis zu 60 Prozent
bezuschusst, doch den Rest müssen die Priester selbst zahlen. In
ostdeutschen Diözesen gibt es gar keine Zuschüsse mehr. Statt
Pfarrhaushälterinnen beschäftigen viele Priester mittlerweile eine
Haushaltshilfe, die wenige Tage in der Woche vorbeikommt.
Auch Koster hätte sich vorstellen können, in Teilzeit zu arbeiten, wie es
viele ihrer Kolleginnen handhaben. Doch als sie mit 29 Jahren ins Pfarrhaus
zog, war Familie für sie noch „kein Thema“. „Ich wollte es auf mich
zukommen lassen“, sagt sie. Sie „hätte“ gekündigt und „wäre“ ausge…
Doch es blieb beim Konjunktiv. Und sie blieb Vollzeit-Pfarrhaushälterin.
Annette Koster schaltet den Herd aus und stellt den Mixer an. Der
ohrenbetäubende Lärm lenkt sie ab. Jahrzehntelang haben die frommen Frauen
in der Berufsgemeinschaft für ein einheitliches Gehalt ihrer Kategorie und
die Anerkennung der Pfarrhaushälterin als Ausbildungsberuf gekämpft. Nun
wird der Beruf komplett infrage gestellt.
## In Zukunft Jobsharing?
War ihr Einsatz umsonst? Stirbt der Beruf wirklich aus oder kann er sich an
die veränderten Umstände anpassen und überleben? „Vielleicht ist es ja
wirklich nicht mehr so nötig, dass immer jemand da ist“, sagt sie, „es
kommen nicht mehr so viele Leute an die Haustür wie früher.“ Vielleicht
könnten sich in Zukunft mehrere Pfarrer eine Haushälterin teilen?
Der österreichische Kulturanthropologe Roland Girtler trauert den alten
Zeiten nach – als Eltern froh waren, wenn einer ihrer Söhne zum Priester
geweiht wurde und er die Schwester gleich mit ins katholische Pfarrhaus
nahm. Als Pfarrhaushälterinnen selbstverständlich katholisch waren, nicht
geschieden sein durften und den Pfarrer selbst im Ruhestand noch pflegten.
Heute, so schreibt Girtler in seinem Buch „Pfarrersköchinnen. Edle Frauen
bei frommen Herren“, wollen „Frauen selbst Pfarrerinnen werden und die
Pfarrer alleine leben und ihre Ruhe haben.“ Na, Gott sei Dank!
Peter Beyer jedenfalls hat kein Problem damit, für die Bezahlung seiner
Haushälterin Abstriche vom Gehalt zu machen. Er schätzt die Entlastung, die
ihm Annette Koster in seinem Alltag verschafft. An die ständigen
Anspielungen auf ihre „Beziehung“ haben sich beide gewöhnt. Sie haben
entschieden: Lieber ein Dienstverhältnis als gar kein Verhältnis.
27 May 2016
## AUTOREN
Astrid Prange
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