# taz.de -- Katholische Kirche in Deutschland: Genug gekämpft | |
> Karl Kardinal Lehmann steht für den weltoffenen Flügel der Katholiken. | |
> Zum 80. wird er in den Ruhestand versetzt. Was bedeutet das? | |
Bild: Ist selbst fast schon zu einem Denkmal geworden: Karl Kardinal Lehmann | |
Wer nach Mainz reist, um Karl Kardinal Lehmann zu treffen, muss, bevor er | |
das Bischofshaus betritt, an einem Denkmal vorbei. Es zeigt einen Vorgänger | |
von Lehmann: Bischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, der sich im | |
19. Jahrhundert für Reformen und die Rechte der Arbeiter einsetzte. | |
Ketteler wird, stilisiert dargestellt, als sitzender Mann mit | |
Bischofsmitra, in sich versunken und gebeugt von der Aufgabe. Ein | |
rührendes, trauriges Kunstwerk, wäre da nicht der kleine Spatz, der hinter | |
dem Bischof an der Spitze einer Stele zu sehen ist: Zwitschert der Vogel | |
ein Lied? Heitert er den Bischof auf? | |
Das Ketteler-Denkmal birgt ein paar gute Hinweise darauf, wie es um | |
Kardinal Lehmann und die katholische Kirche in Deutschland heute bestellt | |
ist – und es sind gute Tage, um über den Bischof und seine Kirche | |
nachzudenken. | |
Denn das alte Schlachtross des weltoffenen Flügels der katholischen | |
Glaubensgemeinschaft der Bundesrepublik feiert an Pfingstmontag seinen 80. | |
Geburtstag und wird, dem Kirchenrecht folgend, vom Papst aller Voraussicht | |
nach in den Ruhestand versetzt. | |
## Der ewige Oberhirte | |
Wie Ketteler ist Lehmann mittlerweile gebeugt von seiner Mission als | |
Bischof, ein Amt, das er nun schon fast 33 Jahre innehat, länger als jeder | |
andere Oberhirte in Deutschland. Jahrzehntelang, von 1987 bis 2008, prägte | |
er als Vorsitzender der Bischofskonferenz die hiesige Kirche. Mit seinem | |
Abgang geht eine Ära zu Ende. Und eine neue beginnt. Aber wie könnte die | |
aussehen? | |
Am Spatz vorbei geht man durch ein großes eisernes Tor ins Bischofshaus. Es | |
ist ein zweistöckiger Zweckbau aus den siebziger, achtziger Jahren, der | |
Wohnort Lehmanns seit so vielen Jahren – und eine Bibliothek der ganz | |
eigenen Art. | |
Denn Lehmann ist bibliophil, besser: biblioman: Seine Privatbibliothek wird | |
auf über 100.000 Bücher geschätzt, genauer kann es niemand sagen. Nur eines | |
weiß man: Er soll fast alle seine Bücher schon gelesen haben. | |
Mit seinem Rollator kommt Lehmann nicht mehr an alle seine Schätze ran. Es | |
tut ein wenig weh, diesen einst dermaßen energetischen Mann so gebeugt zu | |
sehen. Der Kardinal aber kann über seine altersbedingte Gehbehinderung | |
lachen. Es ist ein knarziges, ansteckendes Lachen. Als flattere ein Spatz | |
vorbei. | |
## Religiöse Leidenschaft | |
Es ist leicht, mit Lehmann zu lachen, obwohl (oder weil?) sein Leben | |
durchaus hart war: voller Kämpfe, voller Niederlagen, voller Arbeit. | |
Geboren 1936 in Sigmaringen, wurde schnell seine Intelligenz und seine | |
religiöse Leidenschaft entdeckt. | |
Ausgebildet an der Päpstlichen Universität Gregoriana, der Kaderschmiede | |
der Kirche in Rom, promovierte Lehmann in Philosophie (über Martin | |
Heidegger), wurde er Assistent des katholischen Reformtheologen Karl | |
Rahner, 1963 katholischer Priester, nach seiner zweiten Dissertation und | |
Habilitation in Theologie Professor in Mainz und Freiburg – und schließlich | |
1983 Bischof von Mainz. | |
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65), mit dem sich die katholische | |
Kirche der Welt öffnete, war Lehmanns prägendes Erlebnis. Über den | |
Theologen Rahner, der als einer der offiziellen Konzilsberater (Peritus) | |
fungierte, war Lehmann näher dran als alle deutschen Bischöfe oder | |
Theologen seiner Generation. Und das Konzil sollte sein Lebensthema | |
bleiben. | |
Denn schon bald nach diesem kirchlichen Jahrhundertereignis bliesen die | |
Reformgegner in der katholischen Kirche zum Gegenangriff – in Rom und auch | |
in Deutschland. | |
## Schwangerenkonfliktberatung | |
Lehmanns größter Kampf war dabei der um den Verbleib der katholischen | |
Kirche im staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung. Er endete mit | |
einer Niederlage: Rom zwang die deutsche Kirche, aus diesem System | |
auszusteigen. Es war Lehmanns schwärzeste Stunde. Dennoch kämpfe er weiter | |
verbissen für die Reformen des Konzils. | |
Um den Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, sammelten sich dagegen | |
die Reaktionäre, die von sich natürlich auch immer behaupteten, sie wollten | |
doch nur das Konzil verwirklichen. | |
Das Gegenteil aber war der Fall. Massiv unterstützt vom damaligen Papst | |
Johannes Paul II. (1978–2005) und seiner rechten Hand Joseph Ratzinger, den | |
späteren Papst Benedikt XVI. (2005–2013), wurde der konservative Flügel der | |
katholischen Kirche in Deutschland immer stärker. | |
Zwar wurde Lehmann nach langem Zögern von Johannes Paul II. 2001 dann doch | |
endlich zum Kardinal erhoben, also in das zweithöchste Amt, das die Kirche | |
zu vergeben hat. Seiner kirchenpolitischen Linie aber half das nur wenig. | |
Bald stand Lehmann mit ein paar Getreuen in der Bischofskonferenz fast | |
allein auf weiter Flur. Gesundheitlich gezeichnet und erschöpft, legte er | |
2008 sein Amt als Vorsitzender der Bischofskonferenz nieder. | |
## Gebeugt, aber verehrt | |
Der konservative Flügel der hiesigen katholischen Kirche schien gesiegt zu | |
haben. Lehmann schritt immer gebeugter durch die Menge seiner Gläubigen, | |
die ihn zunehmend verehrten, ja liebten, gerade wegen seiner Niederlagen. | |
Doch ein Spatz macht noch keinen Frühling. Der kam mit Gewalt und | |
ungewollt: Nachdem der Missbrauchsskandal 2010 aufgedeckt wurde, war die | |
katholische Kirche in Deutschland gezwungen, ihr Selbstverständnis, ihre | |
Strukturen und ihr Auftreten zu überdenken. Mit der Wahl von Franziskus zum | |
Papst weht seit 2013 ein Hauch von Demut auch in die hiesigen | |
Bischofspalais. | |
Und 2014 musste Kardinal Meisner, wie Lehmann nun, aus Altersgründen sein | |
Bischofsamt abgeben. Die klare Spaltung der katholischen Kirche | |
Deutschlands in die Lehmann-Fans und die Meisner-Jünger ist vorbei. | |
Aber was kommt nun? Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx führt | |
seit zwei Jahren die deutsche Bischofskonferenz – das Stimmenwirrwarr der | |
Jahrzehnte unter Lehmann und gegen Meisner ist leiser geworden. Die meisten | |
der Oberhirten an den Spitzen der 27 deutschen Bistümer wurden noch unter | |
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ernannt. | |
## Bremse von Rechtsaußen | |
Es sind in der Regel zuverlässig konservative, häufig etwas farblose und | |
immer ziemlich fromme Gestalten. Der manchmal polternde, manchmal ungemein | |
charmante Kardinal Marx gehört trotz seiner Rolle als Vermittler innerhalb | |
der Bischofskonferenz zu den kantigsten Köpfen in der Männerrunde. Während | |
er sozialpolitisch eher links angehaucht ist, ist seine Frömmigkeit eher | |
traditionell. | |
Marx gehört zum engen Beraterkreis des Papstes, dem Kardinalsrat, einem | |
illustren Kränzchen von neun Kardinälen aus allen Kontinenten. Sie treffen | |
sich alle paar Monate und sollen die Reform der Kurie und der Weltkirche | |
vorantreiben. Im Sinne von Franziskus. | |
Doch einigen Bischöfen in Deutschland schmeckt die ganze Richtung nicht. | |
Sie bremsen, trotz gegenteiliger Bekundungen, wo es geht, den Schwung aus | |
Rom aus. Am rechten Flügel sind deutlich bisher nur die Bischöfe von | |
Regensburg und Passau, Rudolf Voderholzer und Stefan Oster, erkennbar. | |
Gerade Oster, ein smarter Exjournalist, dürfte als Rechtsaußen noch | |
ziemlich von sich reden machen. Peter Seewald, der zwei Interviewbücher mit | |
Joseph Ratzinger veröffentlicht hat, hat kürzlich ein weiteres mit Oster | |
gemacht. Da soll jemand aufgebaut werden. | |
Aufmunterndes Lachen | |
Zum anderen Flügel gehören, mit Einschränkungen, Franz-Josef Bode aus | |
Osnabrück und Ludwig Schick aus Bamberg. Und wie eine Sphinx schwebt der | |
Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki über den Wassern des Rheins | |
– was er will, außer ein frommer Mann zu sein, ist unklar. | |
Kardinal Lehmann wankt, gestützt auf seinen Rollator, hinweg im Mainzer | |
Bischofshaus, zum Mittagessen, es gibt Spargel. Ein aufmunterndes Lachen | |
noch von ihm, dann geht es wieder hinaus auf den Bischofsplatz, wo Ketteler | |
immer noch gebeugt ins Leere blickt und der Spatz hinter ihm, vielleicht, | |
zwitschert. Kardinal Lehmann wirkt heiter in diesen Tagen. Er hat genug | |
gekämpft. Was nun kommt, liegt in Gottes Hand. | |
15 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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