| # taz.de -- Pfarrbeauftragter über Kirche im Wandel: „Ich bin bald Teil eine… | |
| > Michael Göcking ist kein Priester, leitet aber trotzdem die katholische | |
| > Pfarreiengemeinschaft Wellingholzhausen/Gesmold im Bistum Osnabrück. | |
| Bild: Taufen darf er nicht, leiten schon: Pfarrbeauftragter Michael Göcking | |
| taz: Herr Göcking, Pfarreien zu leiten, als Nicht-Priester, ist höchst | |
| ungewöhnlich. Zeigt sich an Ihnen, dass das Bistum Osnabrück besonders | |
| reformwillig ist? | |
| Michael Göcking: Die Bereitschaft, jenseits des Traditionellen zu denken, | |
| neue Wege zu erproben, ist in unserem Bistum wirklich sehr ausgeprägt. | |
| Eine Freiheit, um die Kollegen Sie beneiden? | |
| Ja, das höre ich oft: „Ihr habt Glück, bei euch ist Mut möglich, ihr hängt | |
| an keinem Gängelband …“ | |
| Als Pfarrbeauftragter leisten Sie Verwaltungsarbeit, sind Mitglied in | |
| Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, leiten die Seelsorge, predigen, | |
| beerdigen. Was dürfen Sie nicht, was ein Priester darf? | |
| Ich habe keine Sakralbefugnis. Ich taufe nicht, mache keine Krankensalbung, | |
| keine Eheassistenz, leite keine Eucharistiefeier. | |
| Was machen Sie anders als ein Priester? | |
| Grundsätzlich? Eigentlich nichts. Der Unterschied liegt darin, dass ich ein | |
| anderer Mensch bin, mit einer anderen Biografie. Ich bin verheiratet, habe | |
| Kinder … Das fließt in mein Tun natürlich ein. Es ist nicht entscheidend, | |
| ob ich Priester bin oder nicht. Entscheidend ist, was ich mitbringe. Meine | |
| Eigenheiten, meine Fähigkeiten. | |
| Ihre Berufung fußt auf einer Ausnahmeregelung des Kirchenrechts, die | |
| voraussetzt, dass nicht genügend Priester zur Leitung der Gemeinden zur | |
| Verfügung stehen. Heißt das, dass Sie das Amt wieder verlieren, sobald sich | |
| ein Priester anbietet? | |
| Ja, das würde es heißen, rein theoretisch. Aber das wird nicht eintreten. | |
| Der Priestermangel ist ja eklatant – und er nimmt zu. Das Experiment ist | |
| auch beendet, sobald der Bischof nicht mehr dahintersteht. Aber auch das | |
| wird nicht eintreten – Franz-Josef Bode hat es ja selbst initiiert, er | |
| unterstützt es stark. Ganz anders als Tebartz-van Elst, der ein ähnliches | |
| Modellprojekt in Limburg seinerzeit gestoppt hat. | |
| Das Bistum Osnabrück hat zurzeit 208 Pfarreien, zusammengefasst in 72 | |
| Pfarreiengemeinschaften und größeren Gemeinden. Es soll vermieden werden, | |
| dass es durch Priestermangel zu weiteren Zusammenlegungen kommt. Ihre | |
| Berufung ist also eine Tugend, die aus der Not geboren ist? | |
| Gewissermaßen. Dabei steht das Bistum Osnabrück noch vergleichsweise gut | |
| da. Trier wird 900 Pfarreien zu 35 zusammenfassen. In Saarbrücken kommt auf | |
| 100.000 Gemeindemitglieder eine einzige Pfarrei. | |
| Wie lief das eigentlich ab? Bischof Bode hat Ihnen ein Angebot gemacht? | |
| Unser Personalreferent hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann, | |
| und ich hätte ablehnen können. Aber ich fand die Idee reizvoll. Und ich war | |
| beeindruckt von seinem Vertrauen in mich. Also habe ich mir Bedenkzeit | |
| erbeten, mit meiner Familie gesprochen, mit Freunden. Passt das zu dir, | |
| habe ich mich gefragt, traust du dir das zu? Schließlich wohne ich ja in | |
| Wellingholzhausen und will da auch weiterhin wohnen, und wenn dann was | |
| schiefgeht … | |
| Sicher keine leichte Entscheidung, sich auf ein Experiment einzulassen, auf | |
| das ganz Deutschland schaut? | |
| Das stimmt. Aber mit 60 einfach nur auf die Rente warten? Sowas ist nichts | |
| für mich. Außerdem ist die Unterstützung ideal. Vom Bischof, von meinen | |
| Gemeindekollegen, durch Supervisionen, Coachings. | |
| Es gab eine Gemeindeversammlung im Vorfeld Ihrer Berufung. Kam da Skepsis | |
| auf? | |
| Widerstand gegen die Strukturänderungen, gegen den Prototyp an sich? Nein, | |
| da kam nichts, und das hat uns selbst ein bisschen überrascht. Aber es gab | |
| viele Detailfragen. Wie es jetzt mit dem Gottesdiensten weitergeht, der | |
| Seelsorge. Am Ende herrschte eine sehr positive Aufbruchstimmung. Ein wenig | |
| Wehmut war zu spüren, ein wenig Trauer, schließlich geht hier eine | |
| jahrhundertelange Kontinuität zu Ende, es war ja immer ein Priester vor | |
| Ort, manchmal sogar drei, das ist schon ein Paradigmenwechsel. Aber allen | |
| war klar: Wir müssen und wollen uns verändern. | |
| Keine Einwände, weil Sie kein Priester sind? | |
| Gar nicht. Entscheidend ist ja, ob ich die Leute ansprechen kann, bewegen | |
| kann, ob ich sie erreiche. Kann ich leiten, mich durchsetzen? Das sind | |
| natürlich Suchbewegungen – für einen Ausweg. „Das können wir als heilsam… | |
| Unsinn verstehen“, hat der Theologe Johannes Panhofer mal gesagt, „als Not- | |
| und Übergangslösung zu einer neuen Gestalt von Gemeinde.“ Hat was, der | |
| Satz. | |
| Vor ein paar Wochen, nach 100 Tagen Amtszeit, gab es eine erste | |
| Zwischenbilanz, wieder als Gemeindeversammlung. Wie waren da die | |
| Reaktionen? | |
| Sehr bestärkend. 170 Leute waren da. Und das an einem Sonntag, um 16 Uhr, | |
| das zeigt schon was! Das macht ihr gut, hieß es, ihr seid sehr präsent in | |
| der Gemeinde. | |
| Aber sicher können Sie nicht alle Erwartungen erfüllen? | |
| Nein, es gibt nicht immer nur Kompromissbereitschaft zwischen Tradition und | |
| Moderne. Aber die Kritik betraf nichts Generelles, nur Details. Etwa, dass | |
| wir nicht jeden Sonntag in jeder unserer beiden Gemeinden eine | |
| Eucharistiefeier ausrichten, sondern in einer von ihnen stattdessen einen | |
| Wortgottesdienst, und am Samstagabend davor die Eucharistie. Aber so ist | |
| eben jetzt unser Modell, erst mal für ein Jahr, und das ziehen wir durch. | |
| Ihnen steht ein „moderierender Priester“ zur Seite, der nicht vor Ort lebt | |
| – und der für die Sakramente verantwortlich ist. Wie weit geht dessen | |
| Einfluss? | |
| Wir stimmen uns natürlich ab. Aber in meinen Entscheidungen bin ich | |
| gänzlich frei. Ich habe die pastorale Leitungskompetenz, bin Leiter der | |
| Gemeinde mit Personalverantwortung. Klar ist natürlich: Würden wir nicht am | |
| selben Strang ziehen, oder in verschiedene Richtungen, wäre das Modell | |
| gescheitert. Aber die Zusammenarbeit ist ideal. „Moderierender Priester“ | |
| ist übrigens wirklich ein schwieriger Begriff. Der verunklärt manches. Auch | |
| das: ein Stück heilsamer Unsinn. Aber manchmal führt dich deine Wanderung | |
| eben auch in schräges Gelände. | |
| Wie viele Ihrer 6.500 Gemeindemitglieder erreichen Sie eigentlich? | |
| Zehn Prozent in den Gottesdiensten, und damit liegen wir im | |
| Bistumsdurchschnitt. Als ich in den 1990er-Jahren ins Bistum kam, lagen wir | |
| noch bei 25 Prozent, mindestens. Das ist also sehr gesunken. Und das wird | |
| weiter sinken. Rainer Bucher, ein Theologe aus Graz, hat mal gesagt: „Wir | |
| nähern uns in allen Bereichen der Null-Linie.“ Harte Worte, aber da ist was | |
| dran. Rund 600 Gemeindemitglieder kommen zu unseren | |
| Wochenendgottesdiensten, Ostern und Weihnachten sind es 2.000. | |
| Was tun? | |
| Früher war ich als Christ Teil einer Mehrheit, bald bin ich Teil einer | |
| Randgruppe, und die Kirche muss Wege finden, damit umzugehen. Falsch wäre, | |
| wenn sie jedem Zeittrend hinterherliefe. Aber sie muss sich erneuern, | |
| strukturell. Klar ist: Das Christentum kann noch immer etwas beitragen zur | |
| Gesellschaftsentwicklung, auch spirituell – zumal in Zeiten, in denen die | |
| Menschen nach Sinnstiftung suchen, gegen die Kälte des Kapitalismus, gegen | |
| die des Materialismus. | |
| Jedes Jahr tritt eine vierstellige Zahl von Gemeindemitgliedern im Bistum | |
| Osnabrück aus der Kirche aus; die Zahl der Katholiken im Bistum sinkt | |
| kontinuierlich. Tragen Berufungen wie die Ihre dazu bei, diese Entwicklung | |
| zu beeinflussen? | |
| Das ist natürlich schwer zu sagen. Ich würde es gern hoffen. Aber die | |
| Verluste sind natürlich gewaltig. Über eine Viertelmillion Katholiken | |
| treten jedes Jahr aus der Kirche aus, bundesweit. Das ist ein genereller | |
| Trend, verstärkt dadurch, wie die Kirche auftritt und handelt. | |
| Bischof Bode hat jüngst die sexuelle Gewalt, die tausendfach von | |
| katholischen Klerikern ausging, als „gleichsam strukturelle Sünde in der | |
| Kirche“ bezeichnet. | |
| Diese entsetzlichen Taten haben uns natürlich massiv Glaubwürdigkeit | |
| gekostet. Auch sie werden uns noch viele Austritte bescheren. Die Leute | |
| sind maßlos enttäuscht, und das zu Recht. Wichtig ist jetzt, wie wir mit | |
| dieser Katastrophe umgehen. Welche Konsequenzen wir ziehen. | |
| Die Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Lingen war ein | |
| Trauerspiel. Bewegt hat sich nicht viel, trotz Bodes Reform-Vorstößen. Ist | |
| es derzeit nicht ziemlich schwer, als Leiter einer Gemeinde zu | |
| signalisieren: Leute, es tut sich was? | |
| Wir müssen neue Andockmöglichkeiten bieten, altgewohnte Wege verlassen. | |
| Auch, indem wir das Ehrenamt weiter stärken. Ehrenamtliche müssen mehr | |
| Verantwortung in der Gemeinde bekommen, mehr Entscheidungsbefugnisse. Wir | |
| bilden zum Beispiel Ehrenamtliche aus, selbst Gottesdienste zu gestalten. | |
| Sollte sich Ihr Melleraner Modell bewähren: Rechnen Sie mit weiteren | |
| Pfarrbeauftragungen von Nicht-Priestern im Bistum? | |
| Absolut. Womöglich noch in diesem Jahr. Auch für andere der 72 Gemeinden | |
| wird sich über kurz oder lang kein Priester mehr finden. 20 Beauftragungen | |
| halte ich auf Dauer für realistisch, vielleicht 25. | |
| Was, wenn Hardliner in Ihren Kirchenvorstand, in Ihren Pfarrgemeinderat | |
| gewählt werden, die den Reformprozess nicht mittragen? | |
| Das wäre natürlich ein bisschen misslich. Aber diese Gefahr sehe ich nicht. | |
| Warum ist der Priestermangel eigentlich so groß? | |
| Das liegt natürlich auch am Zölibat, aber gewiss nicht nur. Dasselbe | |
| Problem zeigt sich ja auch in der evangelischen Kirche. Klar ist: Die | |
| Kirche verliert generell stark an Bedeutung.Viele Menschen glauben offenbar | |
| nicht mehr, dass sie Antworten auf die zentralen Fragen unserer Zeit hat, | |
| und das demotiviert. | |
| Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ müsste sich über Ihre | |
| Berufung ja eigentlich freuen. Hat sie zu Ihnen schon Kontakt aufgenommen? | |
| Bisher nicht. Aber ich höre, sie begrüßt sehr, was bei uns in Melle | |
| geschieht. Es ist ja auch was Besonderes und hat ziemliche Wellen | |
| geschlagen. Bis zu einer Zeitung in Indien. | |
| 6 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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