# taz.de -- Bilanz drei Jahre Papst Franziskus: Kleine Schritte | |
> Am Sonntag ist Papst Franziskus drei Jahre im Amt. Will man seine | |
> Errungenschaften würdigen, muss man sich einer anderen Zeitrechnung | |
> bedienen. | |
Bild: Derzeit gibt es weltweit kaum einen größeren Kapitalismuskritiker von G… | |
Tausend Jahre sind eine ziemlich lange Zeit – 30 Generationen in etwa, in | |
solchen Zeiträumen denkt niemand. Na ja, außer Astronomen, Geologinnen und | |
notgedrungen Atomphysikern vielleicht. Und Kirchenleuten, genauer: | |
Mitgliedern der römisch-katholischen Weltkirche. Für viele von ihnen war es | |
ein großes Ereignis, dass Papst Franziskus vor Kurzem den Moskauer | |
Patriarchen Kyrill in Havanna auf dem Flughafen traf. Es war das erste | |
Treffen der Oberhäupter der russisch-orthodoxen und der katholischen Kirche | |
überhaupt. Das erste seit etwa tausend Jahren, seit der Entstehung der | |
russisch-orthodoxen Kirche, die den Papst nicht als Oberhaupt anerkennt. | |
Wer über die Kirche Roms, die älteste Institution der Menschheit, | |
nachdenkt, sollte also lange Zeiträume im Kopf haben. Insofern sind die | |
drei Jahre, die Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus nun dieser | |
riesigen Glaubensgemeinschaft mit ihren 1,2 Milliarden Anhängern vorsteht, | |
ein Witz. Was bedeuten schon drei Jahre in dieser so geschichts- und | |
traditionsbewussten Vereinigung, die behauptet, nicht nur von dieser Welt | |
zu sein? Kann man da in drei Jahren überhaupt etwas ausrichten, gar etwas | |
reformieren? | |
Offenbar schon, wie die letzten drei Jahre mit Papst Franziskus zeigen. | |
Seine fast absolutistische Machtfülle hilft ihm dabei. Unbestritten: Vieles | |
von dem, was zu reformieren gefordert wird, ist unverändert geblieben. Der | |
Argentinier auf dem Papstthron hat die Frauenordination nicht eingeführt. | |
Das Zölibat für die Priester bleibt bisher bestehen. Die Sexualmoral der | |
Kirche ist so rückständig wie eh und je. | |
Der Missbrauchsskandal frisst sich trotz einiger Aufklärungsbemühungen im | |
Norden der Welt weiter durch diese männerbündische Institution. Rechtlich | |
und theologisch hat sich die Lage der Schwulen in der Kirche nicht | |
verbessert, trotz aufmunternder Sätze von Franziskus, wie diesem: „Wenn | |
eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich | |
keiner, der sie verurteilt.“ Es gibt gute Gründe, mit dieser Vereinigung | |
nach wie vor nichts zu tun haben zu wollen. | |
Aber es gibt eben auch ein paar Gründe, genau hinzuschauen, was Papst | |
Franziskus mit seiner Kirche macht. Denn das ist durchaus spektakulär. | |
Zumindest wenn man bereit ist, in den Zeiträumen der Kirche zu denken. Dann | |
wird deutlich: Wesentlich zum Verständnis seines Pontifikats ist die | |
Forderung von Papst Franziskus nach Begegnung, Dialog und Bewegung. „Macht | |
Unruhe! – „Hagan lío!“, wie er im Spanischen ausruft. | |
## Die einfachen Katholiken stehen im Vordergrund | |
Dieses Denken hat einen befreiungstheologischen Hintergrund – Franziskus | |
hat die lange im Vatikan als sozialistisch verfemte Theologie aus | |
Lateinamerika in Rom rehabilitiert: Sie fordert, theologisch gesprochen, | |
das Hören auf das Volk Gottes, das auf dem Weg ist. Das heißt, nicht mehr | |
die Kirchenhierarchie und die seit Jahrhunderten festgelegten Dogmen stehen | |
wie bisher im Vordergrund, sondern die einfachen Katholiken in aller Welt, | |
mit ihrem sich wandelnden Glauben, der ernst genommen werden muss. | |
Derzeit gibt es weltweit kaum einen größeren Kapitalismuskritiker von | |
Gewicht als den Papst. Sein Satz: „Diese Wirtschaft tötet“, ist selbst | |
vielen Linken zu heiß. Er ist umso erstaunlicher, als Bergoglio aus der | |
politisch rechten Ecke der argentinischen Kirche kommt. Viele Bischöfe und | |
Priester kollaborierten in der Zeit der Militärdiktatur (1976–1983) mit der | |
Junta. Auch Bergoglio hat als junger Chef der Jesuiten in dieser Zeit | |
Schuld auf sich geladen (wobei manche betonen, er habe Verfolgten damals | |
auch geholfen). | |
Franziskus hat nach den bleiernen Jahren unter den Päpsten Johannes Paul | |
II. und Benedikt XVI. ein Klima der Offenheit und Bescheidenheit in der | |
Kirche gefördert. Die befreiungstheologische „Option für die Armen“ ist | |
sein Programm, er lebt es. Das heißt: Die Kirche muss sich vor allem um die | |
Armen und Marginalisierten sorgen – und von ihnen lernen. Das dauert lange | |
und ist erst in Ansätzen zu beobachten. Der Papst geht mit gutem Beispiel | |
voran, sucht auf seinen Reisen das Gespräch in den Slums großer Städte, | |
immer wieder isst er in Suppenküchen oder wäscht Gefängnisinsassen die | |
Füße. Das alles kommt fast einer Revolution in der Kirche gleich – oder | |
genauer: Es ist eine Rückkehr zu der Botschaft Jesu als entscheidendem | |
Bezugspunkt der Kirche. | |
## Die Reform, die Franziskus angestoßen hat | |
Bewegung, Begegnung und Dialog ist auch das Leitbild bei der Kirchenreform, | |
die Papst Franziskus angestoßen hat. Die Kurie in Rom funktioniert zwar | |
immer noch wie ein frühneuzeitlicher Hofstaat: Man muss das Ohr des Papstes | |
haben. Franziskus hat mit dem Beratungsgremium der neun Kardinäle aus allen | |
Weltgegenden allerdings schon wenige Wochen nach seiner Wahl 2013 erstmals | |
eine Institution geschaffen, die seine Reformen durchdrücken soll. | |
Nun ist der Kardinalsrat noch keine demokratische Einrichtung. Aber er | |
schränkt die Macht des Papstes ein, soll die Entscheidungen auch der Päpste | |
nach ihm lebensnäher, weniger zentralistisch machen. Und er bindet die | |
vielfältige Basis der Kirche im Norden und Süden der Welt stärker ein, so | |
die Hoffnung. Die Reform kommt voran – wenn auch langsam. Trotz harter | |
Widerstände aus dem Apparat. | |
Auch um solche Widerstände zu umgehen, stärkt der Papst die Bischofssynode. | |
Das ist eine alte Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65). | |
Aber erst er wagte nun diesen Schritt. Die erste Weltbischofssynode unter | |
seiner Ägide hat im vergangenen Herbst in Rom zu Fragen der Ehe und | |
Familie, trotz zweier weltweiter Umfragen im Kirchenvolk, nicht den großen | |
Durchbruch zu einer neuen Ehe- oder Sexualmoral gebracht. Ob er einen | |
solchen Durchbruch wollte, ist nicht ganz klar – folgt man seinen | |
Äußerungen vor der Synode, wollte er in jedem Fall mehr Bewegung und | |
Barmherzigkeit der Kirche auf diesem Feld. Außerdem erklärte er, den | |
Bischöfen erst einmal zuhören zu wollen. Am Ende wurde klar, wie zerrissen | |
die Weltkirche etwa in Fragen der Homosexualität ist: Wo westeuropäische | |
Bischöfe vorandüsen wollten, bremsten vor allem die Bischöfe Afrikas: Zu | |
politisch brisant ist ihnen diese Sache in ihren Heimatländern. Es wurde | |
ein Dissens in einer Frage deutlich, die vorher nie offen und weltweit | |
diskutiert worden war. | |
## Außerhalb der Kirche hat er keine Macht | |
Die Synode stärkte also das demokratische Element in der Kirche. Der Papst, | |
der bald seine Schlussfolgerungen aus der Synode veröffentlichen will, | |
wollte die offene Diskussion auf der Synode. Auf den Heiligen Geist | |
vertrauend, waren ihm die Dynamik der Diskussion, die „Unruhe“ und die | |
Begegnung wichtiger als das Ergebnis. Ist das naiv? Vielleicht, denn die | |
größten Fortschritte hat die Kurien- und Kirchenreform absurderweise gerade | |
dort gemacht, wo der Papst am wenigstens dialogisch-demokratisch agierte: | |
bei der Bekämpfung der Korruption im Vatikan und beim Ausmisten seines | |
traditionell mafiösen Finanzsektors, nicht zuletzt der Vatikanbank. | |
Der Papst kann nur durch Worte wirken – außerhalb seiner Kirche hat er | |
keine Macht. Trotz dieser Machtlosigkeit versucht er, auch in der | |
Weltpolitik Veränderungen voranzutreiben, den scheinbar unveränderlichen | |
Status quo aufzubrechen. Bezeichnend ist da vor allem seine Umweltenzyklika | |
vom Juni letzten Jahres. In ihr hat der Papst die Folgen des Klimawandels | |
gerade für die Armen der Welt besonders betont – und den reichen Norden zum | |
Verzicht aufgerufen, was manche hier ja fast als Old School abtun. | |
Der Papst redet oft ungeschützt, auch das ist ein Ausdruck seines | |
dialogischen Ansatzes. Manchmal geht das daneben: etwa wenn es um | |
pädagogische Ohrfeigen geht, eine karnickelhafte Fortpflanzung der | |
Katholiken oder seine jüngste Formulierung über die „arabische Invasion“ … | |
Europa durch die Flüchtlinge – die bei genauem Lesen eher positiv gemeint | |
war. Nicht selten aber sind Franziskus’ Einwürfe in die Tagespolitik | |
ungemein treffsicher, ja mutig, etwa sein scharfer Angriff auf die von | |
Donald Trump angekündigte Flüchtlingspolitik: Die sei unchristlich. | |
## Mehr erreicht als viele seiner Vorgänger | |
Papst Franziskus hat früher als viele andere die nötige Solidarität mit den | |
Flüchtlingen als das europäische Megathema der kommenden Jahre ausgemacht. | |
Seine Reise nach Lampedusa – die erste nach Beginn seines Pontifikats – | |
sprach dafür. Und sein Appell, jede katholische Gemeinde Europas solle eine | |
Flüchtlingsfamilie aufnehmen, war ein Zeichen, dass sich seine eigene | |
Kirche nicht wegducken darf. | |
Jorge Mario Bergoglio ist erst drei Jahre Papst. Im Denken der Kirche ist | |
das fast nichts. Aber in dieser kurzen Zeit hat Franziskus schon jetzt mehr | |
erreicht als viele seiner Vorgänger in mehreren Jahrzehnten auf dem Stuhl | |
Petri. Dank Franziskus ist die Kirche heute wieder näher an dem Ort, an dem | |
sie sein muss: bei den Armen. Und im Heute. | |
13 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
## TAGS | |
Papst Franziskus | |
Katholische Kirche | |
Synode | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Berlin-Kreuzberg | |
Papst Franziskus | |
Papst Franziskus | |
Mutter Teresa | |
Bodo Ramelow | |
Papst Franziskus | |
Vatikan | |
Papst | |
Afrika | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Reformen in der Bischofssynode: Erste Nonne mit Stimmrecht | |
Als erste Frau erhält Nathalie Becquart ein Mitspracherecht bei den | |
Kirchenvätern. Papst Franziskus ernannte sie zur Untersekretärin. | |
Kolumne Afrobeat: Das Schweigen der Hirten | |
Der Auftritt von Papst Franziskus in Polen war beeindruckend. Er sollte | |
aber nicht nur Auschwitz, sondern auch Ruanda besuchen. | |
Praktizierte Nächstenliebe in Berlin: Das Heilige auf der Straße | |
Fast 40 Jahre lang stand seine Wohnungstür in Berlin-Kreuzberg jedem offen. | |
Der Jesuit Christian Herwartz wird jetzt etwas Neues anfangen. | |
Papst zu Ehe und Familie: Ein Himmelreich für Heteros | |
Papst Franziskus veröffentlicht sein Schreiben zum Familienbild und zur | |
Sexualmoral. Sex wird sehr positiv gezeichnet – solange er hetero ist. | |
Osterbotschaft des Papstes: „Moralische Abgründe“ | |
Papst Franziskus verurteilt in seiner Ansprache in Rom den Terrorismus. Er | |
erinnert an das Schicksal der Flüchtlinge und kritisiert die Ausbeutung der | |
Erde. | |
Ehrung von Mutter Teresa: Heilige Abtreibungsgegnerin | |
Die Ordensfrau wird von Papst Franziskus am 4. September heiliggesprochen. | |
Sie unterstützte Arme in Indien, kämpfte aber auch gegen | |
Empfängnisverhütung. | |
Audienz beim Papst: Der Linke und Seine Heiligkeit | |
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat in Rom Papst Franziskus | |
besucht. Die Audienz ist Ramelows Meisterstück. | |
Kommentar Papstbesuch in Mexiko: Mehr Geschichte als Gegenwart | |
Die Reise nutzt dem Image des Papstes als Anwalt der Armen deutlich mehr | |
als den Armen selbst. Konflikte in der Gegenwart vermeidet er. | |
Vatikan unterzeichnet Klimakonvention: Lasst ihn durch, er will die Welt retten | |
Rechtzeitig zur COP21 macht sich der Vatikan an das weltliche Wetter: Der | |
Kirchenstaat plant, die Klimarahmenkonvention zu unterzeichnen. | |
Der Papst auf Afrikareise: „Gemeinsam Nein zu Gewalt“ | |
Am Ende seiner Afrikareise besucht Papst Franziskus die Opfer der Gewalt | |
christlicher Milizen. Bangui erklärte er zur „spirituellen Hauptstadt der | |
Welt“. | |
Besuch der Zentralafrikanischen Republik: Der Papst an der Kriegsfront | |
„Glaube siegt über Angst“: Franziskus besucht die verelendete Stadt Bangui. | |
Die Sicherheitsvorkehrungen sind immens – wie auch die Erwartungen. |