# taz.de -- Debatte Staatsmacht nach dem Terror: In den Farben der Gewalt | |
> Nach Anschlägen setzen immer dieselben Mechanismen ein: verschärfte | |
> Gesetze und verstärkte Sicherheit. Dabei wäre Gelassenheit viel | |
> wirksamer. | |
Bild: „Nach X“ – Medien verfallen nach Anschlägen in dieselbe Rhetorik w… | |
Die Zeiten nach Terroranschlägen sind längst auch Zeiten vor | |
Terroranschlägen. Mit der Verkürzung der Intervalle zwischen den | |
terroristischen Attentaten in Paris, Istanbul, Brüssel und Lahore stiegen | |
der Puls vieler Medienleute und die Schnappatmung bei Politikern. Nach | |
jedem Anschlag nehmen Alarmstimmung und an Hysterie gemahnende | |
Aufgeregtheiten zu. | |
Die Frage, was „nach X“ angesagt sei an härterem Durchgreifen, dominiert | |
die Stimmung im Land. Triviale, geschichtsphilosophisch aufgemotzte | |
Leitartikelprosa, die Texte zu Terroranschlägen mit dem Etikett „nach“ plus | |
Ortsangabe versieht, um zu suggerieren, eine neue Epoche oder gleich eine | |
neue Zeitrechnung stehe jetzt auf der Tagesordnung, wird zur Mode. Der öde | |
Refrain in den Kommentarspalten lautet dann: „Nach Köln“, „nach Brüssel… | |
cetera müssten neue Saiten aufgezogen werden im „Krieg gegen den Terror“, | |
in den sich Politik, Medien und Publikum hineinreden beziehungsweise | |
hineinreden lassen. | |
Polizei, Politik und Zuschauer werden auf die Notwendigkeit einer | |
robusteren Gangart, schärferer Gesetze, rigoroseren Überwachens | |
eingeschworen. Dagegen mahnte ein Editorial von Le Monde vom 24. März | |
dieses Jahres zu Gelassenheit und wies darauf hin, „die Stärke | |
demokratischer Gesellschaften bestehe darin, fortzufahren wie vorher“ | |
(„comme avant“). Beispielhaft: Norwegen nach den Breivik-Morden. | |
Terror ist kein Grund, Gesetze zu verschärfen, demokratische Rechte | |
einzuschränken, rechtsstaatliche Prinzipien an den Nagel zu hängen und erst | |
recht nicht, eine militärisch inspirierte Interventionsstrategie | |
auszuprobieren, sondern ein Anlass – trotz der Opfer –, gelassen zu | |
bleiben. Und dies aus einem einfachen Grund: Terror, wenn er nicht gerade | |
von Staaten oder staatsähnlichen Gebilden systematisch ausgeübt wird, ist | |
kein Zeichen von Stärke, sondern eines von Ohnmacht und Schwäche. | |
## Keine Gefahr für Rechtsstaaten | |
Politische Bewegungen und Parteien sowie Gruppen, Banden und Individuen, | |
die sich auf den Weg des Terrors begeben – und dazu zählen in der | |
Bevölkerung verankerte Befreiungs- und Guerillabewegungen meistens nicht –, | |
haben immer schon den Weg der Verlierer gewählt. Im Unterschied zu | |
Staatsterroristen waren Terroristen noch nie und nirgends erfolgreich außer | |
bei der Beihilfe zur Aufrüstung der Staatsmacht bis zum Staatsterror. | |
Insofern sind islamistische Terrorgruppen keine Gefahr für demokratisch | |
legitimierte und gefestigte Rechtsstaaten mit funktionierender Polizei und | |
Justiz, aber sie können nervöse Rechtsstaaten veranlassen, ihre politischen | |
und rechtlichen Grundlagen zu zerstören, indem sie kopflos repressiv | |
agieren und damit auf die schiefe Bahn Richtung Polizeistaat einbiegen. | |
Der „nach 9/11“ in den USA durchgepaukte „Patriot Act“, mit dem staatli… | |
Institutionen zum sprichwörtlich letzten Gefecht aufmunitioniert wurden, | |
ist ebenso ein Beispiel dafür, wie die Verschärfung der Sicherheitsgesetze | |
in Frankreich mit polizei- und sicherheitsstaatlichen Blankovollmachten für | |
Wohnungsdurchsuchungen und Hausarreste ohne richterliche Anordnung oder | |
wenigstens nachträgliche gerichtliche Überprüfung. | |
Dazu hat der Bürger unter dem Druck des Notstandsregimes keine Chance mehr, | |
denn wenn er gegen eine polizeilich angeordnete Wohnungsdurchsuchung | |
nachträglich klagt, begibt er sich in eine aussichtslos kafkaeske | |
Situation: Durch die rechtsstaatswidrige Umkehr der Beweislast muss er | |
seine Unschuld beziehungsweise die Unrechtmäßigkeit der | |
Wohnungsdurchsuchung beweisen und nicht der Staat die legitimen, | |
rechtsstaatlichen Gründe für Wohnungsdurchsuchungen und Hausarrest. Der | |
Bürger steht vor der Mauer, an der ihn der nervös gewordene Staat warten | |
lässt. | |
Wie irrational Rechtsstaaten angesichts terroristischer Attentate agieren, | |
lässt sich an vielen Beispielen erkennen. Nach jedem Anschlag melden sich | |
subalterne Kriminalbeamte in Talkshows und Spitzenbeamte des | |
Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft in den Medien zu Wort – | |
meistens nur mit Vermutungen und Spekulationen, mit denen die Gefahren, die | |
etwa von islamistischen Gruppen wie der aus dem Sauerland angeblich | |
ausgingen, hochgestapelt werden. | |
## Jeder Terroranschlag schafft Arbeitsplätze | |
Solche Interventionen dienen vor allem der Selbstdarstellung der | |
Strafverfolgungsbehörden, mit der sie ihre personelle und finanzielle | |
Ausstattung verbessern wollen. Jeder Terroranschlag und jeder verhinderte | |
Anschlag schafft Arbeitsplätze und zusätzliche finanzielle Ressourcen. | |
Zwei Meldungen nach den Anschlägen von Brüssel sind symptomatisch. Die NZZ | |
kommentierte die internationale Fahndungswelle mit dem Titel: „Europaweit | |
immer mehr Verdächtige“ (29. 3. 2016). Am selben Tag erschien in der FAZ im | |
Lokalteil eine gut 20 Zeilen umfassende Mitteilung, dass der in Gießen | |
verhaftete Mann – entgegen den knalligen Berichten auf den Titelseiten | |
aller Blätter in den Tagen zuvor – „kein Terrorist“ sei. | |
Er wurde verhaftet, weil sich auf seinem Mobiltelefon das Wort „fin“ fand, | |
mit dem allzu flinke Ermittler einen Zusammenhang mit dem „Ende“ der | |
Anschläge in Brüssel konstruierten. „Fin“ ist aber nicht nur französisch | |
(„Ende“), sondern auch die lateinische Umschrift des arabischen Worts für | |
„wo“. Natürlich kann man das als Übereifer von Beamten bagatellisieren. | |
Aber solcher Übereifer gedeiht eben nur in einem bestimmten politischen und | |
medialen Klima, zu dessen Erzeugung Attentate instrumentalisiert werden. | |
Dazu trägt der Überbietungswettstreit zwischen Regierung und Opposition bei | |
– exemplarisch in Frankreich. Obwohl die Regierung mit dem Einbau von | |
Blankovollmachten für die Polizei ins französische Recht sehr weit gegangen | |
ist, will die konservative Opposition die Regierung noch überholen. Die | |
islamistischen Terroristen zugerechnete Logik, „Wir gegen sie“, übernahm | |
der konservative Regionalpräsident Xavier Bertrand wörtlich: „Es geht um | |
sie oder uns, also muss man sie vernichten“. Mit der Überhöhung der ebenso | |
notwendigen wie legitimen polizeilichen und juristischen Bekämpfung zum | |
„Krieg“ manövrieren sich Politik, Polizei und willige Medien in eine | |
Sackgasse. | |
17 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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sein. |