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# taz.de -- Krieg in Syrien: Alawiten gehen auf Distanz zu Assad
> Angehörige der religiösen Minderheit sprechen sich in einem Dokument für
> einen demokratischen Staat aus. Nun stellen sich einige Fragen.
Bild: Syrische Kinder in einer Straße in Damaskus
Berlin taz | Syriens Alawiten wollen sich neu positionieren. Die religiöse
Minderheit, die etwa 10 Prozent der Bevölkerung stellt und der auch
Präsident Baschar al-Assad angehört, wird den Schiiten zugerechnet. Sie
gelten seit der Zeit von Hafis al-Assad, dem Vater des jetzigen
Präsidenten, als eng verbandelt mit dem Regime und sind in Geheimdienst und
Militär überrepräsentiert. Nun hat eine Gruppe von ihnen in einem
ungewöhnlichen Schritt ein achtseitiges Papier vorgelegt, das am Wochenende
mehreren westeuropäischen Medien zugestellt wurde. Die Verfasser streben
eine alawitische „Identitätsreform“ an.
Die Reform bezieht sich auf eine Veränderung ihrer Stellung als
Religionsgemeinschaft, aber auch auf die gegenwärtige Verfasstheit des
syrischen Staates. Damit distanzieren sie sich vom Assad-Regime.
Hinsichtlich der Religion weisen die Verfasser des Dokuments jede
Vereinnahmung der Alawiten als integralen Teil des Schiismus oder einer
seiner Unterströmungen zurück. Stattdessen definieren sie sich als eine
eigenständige islamische Religion, unabhängig von Schiiten und Sunniten,
und betonen zugleich, dass der Koran ihr einziges religiöses Buch sei. Im
innersyrischen Kontext ist das als ein Schritt in Richtung einer Versöhnung
mit den Sunniten zu bewerten, von denen viele das Assad-Regime ablehnen und
militärisch bekämpfen.
In politischer Hinsicht befürworten die Verfasser des Dokuments eine
Trennung zwischen Staat und Religion. Sie setzen sich für einen säkularen,
demokratischen Staat ein, der auf der Gleichheit aller Bürger basiert. „Die
herrschende Macht, wer immer sie verkörpert, repräsentiert uns nicht,
bestimmt nicht unsere Identität oder sorgt für unsere Sicherheit und unser
Ansehen“, heißt es in dem Dokument. Einer der Initiatoren sagte gegenüber
der Welt am Sonntag: „Das jetzige Regime ist totalitär und vertritt nicht
die Alawiten. Damit es Frieden geben kann, müssen seine Vertreter aus der
Regierung verschwinden.“
Sollte das Dokument, in dem der Name Assads nicht erwähnt wird, authentisch
sein, wäre es angesichts des Bürgerkriegs ein wichtiger Schritt, auf den
Teile der Opposition lange gehofft haben. Bislang gingen Beobachter davon
aus, dass Syriens Alawiten im Assad-Regime einen Garanten für die eigene
Sicherheit sahen. Doch mittlerweile sind im Kampf für Assad so viele junge
Alawiten ums Leben gekommen, dass unter den alawitischen Küstenbewohnern
Unmut und Kritik wuchsen. Desertionen und Flucht waren die Folge.
Sollte Präsident Assad, der mit Iran, Hisbollah und anderen Milizen gleich
mehrere ausländische schiitische Verbündete hat, den Rückhalt eines Teils
der Alawiten verlieren, hätte er ein Legitimationsproblem und wäre intern
deutlich geschwächt.
Allerdings stellen sich hinsichtlich der Veröffentlichung des Dokuments
einige Fragen. So wurden die Namen der Initiatoren der Erklärung vermutlich
aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht. In dem Dokument gibt es
mehrfach Bezüge auf das „Haus“ – im alawitischen Kontext eine Bezeichnung
für das Haus des Patriarchen, also des Oberhaupts einer Großfamilie. Daher
wird angenommen, dass die Verfasser aus diesem Personenkreis stammen.
Über eine eigene religiöse Hierarchie verfügen die Alawiten nicht; das
wussten die Assads zu verhindern. Auch ist nicht bekannt, wie repräsentativ
das Papier ist; die Initiatoren gehen davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der
Alawiten hinter ihnen stehen.
Ebenso wenig ist bekannt, seit wann über das Dokument diskutiert wurde und
was der Anlass für die Initiative war. Möglicherweise wollen die Führer der
alawitischen Gemeinde sich für den Fall politischer Veränderungen rüsten.
Dann können sie ein beizeiten veröffentlichen Dokument vorweisen, das ihre
Distanzierung vom Assad-Regime dokumentiert.
5 Apr 2016
## AUTOREN
Beate Seel
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Schwerpunkt Syrien
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