# taz.de -- taz-Serie Fluchtpunkt Berlin: „Helfen, mein Land aufzubauen“ | |
> Familie Mottaweh gehört zur zweiten großen Welle der Syrien-Flüchtlinge. | |
> Seine Heimat, sagt Vater Mahmoud Mottaweh, bleibe aber Damaskus. Dorthin | |
> will er zurück. | |
Bild: Fliegende Tauben am Al-Marjeh Square in Damaskus. Hoffentlich bringen sie… | |
„Sobald Assad weg ist, bin ich mit meiner Frau und unseren Kindern wieder | |
in Syrien. Damaskus bleibt meine Heimat. Im Februar 2013 sind wir vor | |
Assads Bomben geflohen, seit Juli vergangenen Jahres sind wir nun in | |
Berlin. Aber ich habe noch nicht das Gefühl, dass unser neues Leben hier | |
irgendwie angefangen hätte. Wie auch? Solange unser Asylstatus nicht | |
geklärt ist, hänge ich mit meiner Familie im Heim in der Warteschleife: Ich | |
darf nicht arbeiten, ohne Job will mir kein Vermieter eine Wohnung geben. | |
Zu Anfang unserer Flucht war da die Möglichkeit einer „neuen Heimat“ in | |
Europa in meinem Kopf. Jetzt will ich nach Hause, sobald es geht. | |
Ich habe mich in Damaskus nie gegen das Assad-Regime engagiert, ich war | |
kein politischer Aktivist. Ich habe als Elektrotechniker gearbeitet, wir | |
hatten ein Haus in einem Vorort nördlich von Damaskus. Wir hatten ein Auto, | |
ein Einkommen, eine große Familie, Freunde. Es ging uns gut. Wir sind | |
gegangen, als die Bombardierungen immer schlimmer wurden und die Razzien | |
des Regimes willkürlicher. | |
## „Einer der Toten war ein Cousin von mir“ | |
Der Punkt war erreicht, als ich einmal Anfang 2013 geholfen habe, mit | |
meinem Auto Verwundete ins Krankenhaus zu fahren. Assads Leute hatten einen | |
großen, zentralen Platz in Damaskus bombardiert. Ich war zufällig in der | |
Nähe und bin hingefahren, um zu helfen. Einer der Toten war ein Cousin von | |
mir, ich habe ihn erst nicht erkannt. Schau mal, das Foto hier.“ | |
Mahmoud Mottaweh holt sein Smartphone, wischt durch die Fotogalerie, zeigt | |
auf eine beinahe bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche, ein entstelltes | |
Gesicht. Sein mittlerer Sohn Omar, 6, linst ihm neugierig über die | |
Schulter. Der Vater deckt sein Telefon mit der Hand zu, schiebt seinen Sohn | |
weg. | |
„Ich wollte meine Kinder in Sicherheit bringen. Ich habe auch hier keinen | |
Kontakt zu Syrern, die sich politisch engagieren. Es gibt inzwischen ein | |
paar Freundschaften zu anderen Familien im Heim, und da sind die Leute aus | |
meinem Deutschkurs am Hermannplatz in Neukölln. Natürlich reden wir auch | |
über Politik, aber wir reden eben nur. | |
Doch, einmal bin ich demonstrieren gegangen, das war hier in Berlin, | |
letzten Herbst. Da gab es vorm Brandenburger Tor eine Demo gegen die | |
Syrienpolitik des russischen Präsidenten.“ | |
Mahmoud Mottaweh wischt wieder auf seinem Smartphone, zeigt ein | |
offensichtlich bearbeitetes Bild von Wladimir Putin mit rougeroten Wangen | |
und Lippenstift: Putin als Transvestit. Mahmoud amüsiert sich, kichert, | |
lacht. | |
„Putin stützt Assad. Aber Assad muss weg, sonst gibt es keinen Neuanfang in | |
meinem Land. | |
## „Ich will helfen, mein Land wieder aufzubauen“ | |
Ein großer Teil der Familie meiner Frau ist noch in Damaskus. Auch meine | |
drei Schwestern sind noch da, meine Brüder und meine Eltern sind nach | |
Albanien geflohen. Wir halten jeden Tag Kontakt über WhatsApp. Über | |
Facebook erfahre ich, was in Damaskus gerade passiert, ein paar meiner | |
Freunde sind noch dort. Meistens sind es schlechte Nachrichten, dauernd | |
stirbt jemand, den man kennt. Meine Frau will davon nichts mehr hören, es | |
macht sie traurig. | |
Aber so bleibe ich natürlich, auch wenn ich physisch hier bin, mit meinen | |
Gedanken immer in Damaskus. Auch wenn wir hier gleich nach unserer Ankunft | |
in Berlin eine deutsche Familie kennengelernt haben: Wir kochen zusammen, | |
sie haben auch Karten für ein Hertha-Spiel demnächst organisiert. Aber das | |
sind Ablenkungen davon, dass ich warte. Darauf, dass über mein | |
Asylverfahren entschieden wird. Und dass der Krieg zu Hause endet. | |
Ich will helfen, mein Land wieder aufzubauen. Ich schaue mir | |
Satellitenbilder von meinem Dorf auf dem Handy an. Ich versuche, zu | |
erkennen, ob mein Haus noch steht. Siehst du? Schwer zu sagen, oder? Ein | |
brauner Fleck. Aber ich bin Elektrotechniker, und ich kann ein Haus bauen. | |
Ich werde nützlich sein, wenn der Krieg vorbei ist. | |
Ich weiß noch nicht genau, was ich mache, falls meine Kinder mal sagen | |
werden: Wir wollen aber hier in Berlin bleiben. Den Jungs gefällt es hier | |
in der Schule. Mein Ältester fragt mich auch, ob dass nun endlich der Ort | |
ist, an dem wir bleiben können. Wir waren ja zweieinhalb Jahre auf der | |
Flucht. Meine Tochter Alma hingegen war erst ein knappes Jahr alt, als wir | |
weggegangen sind. Ihre Heimat wird einmal eine andere sein als meine, wenn | |
wir länger hierbleiben. Manchmal glaube ich aber, sie träumt noch von | |
Damaskus – sie erzählt manchmal von unserem Haus dort, aber ich glaube, sie | |
plappert uns nur nach.“ | |
19 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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